Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Neuroimmunologie: Der siebte Sinn

Lange glaubten Forscher, Nerven- und Immunsystem hätten nicht viel miteinander zu tun. Doch nun zeigt sich, wie unser Gehirn auf die stetige Unterstützung durch die Körperabwehr angewiesen ist.
Dendritische Zelle

Jahrzehntelang lehrten Anatomiebücher, dass die beiden komplexesten Systeme des Körpers – das Gehirn und das Immunsystem – fast völlig getrennt voneinander arbeiten. Ersteres sei für die Steuerung des Körpers zuständig; Letzteres dafür, diesen gegen Angriffe zu verteidigen.

Die Lehrmeinung besteht seit fast 100 Jahren. In den 1920er Jahren entdeckten Forscher, dass das Gehirn eigene Immunzellen besitzt – die Mikroglia – und solche aus anderen Teilen des Körpers (so genannte periphere Immunzellen) in der Regel nicht ins gesunde Gehirn gelangen. Zwei Jahrzehnte später fand der britische Biologe Peter Medawar (1915–1987) etwas heraus, wofür er letztlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt: Der Körper stößt Fremdgewebe, das ins Gehirn transplantiert wurde, langsamer ab als solches, das an eine andere Stelle im Körper verpflanzt wurde. Medawar hielt das Gehirn daher für »immunprivilegiert«; es sei undurchdringlich für das Abwehrsystem und nicht Teil von dessen Aufgabenbereich. Lediglich bei Patienten mit Hirninfektionen oder -verletzungen finden sich periphere Immunzellen im zentralen Nervensystem (ZNS). Diese scheinen Neurone anzugreifen und Lähmungen zu verursachen. Bei gesunden Menschen haben Zentralnerven- und Immunsystem also nichts miteinander zu tun, schlussfolgerten Wissenschaftler.

Manchen Forschern erschien es zwar unsinnig, wa­rum das Gehirn ausgerechnet dem entscheidenden Kämpfer gegen Krankheitserreger den Zugang verwehren sollte. Andere hielten aber dagegen, dass die Blut-Hirn-Schranke die meisten Erreger aussperrt und es daher keine Notwendigkeit gebe, periphere Immunzellen hineinzulassen. Denn diese machen immer wieder Probleme, etwa indem sie Neurone angreifen. Allerdings scheint das Immunsystem unser Gehirn tatsächlich zu unterstützen, wenn doch einmal Viren, Bakterien oder Parasiten eindringen. Möglicherweise spricht die geringe Zahl an Krankheitserregern im Gehirn daher gar nicht für die Effektivität der Blut-Hirn-Schranke, sondern für die des Immunsystems. Dazu passt die Beobachtung, dass immunsupprimierte Patienten oft unter Komplikationen leiden, die das ZNS betreffen ...

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Süßes Gift?

Entdecken Sie die Vorteile und Risiken einer zuckerfreien Ernährung in unserem Artikel »Süßes Gift«. Plus: Erfahren Sie in unserer Kolumne, warum im amerikanischen Wahlsystem nicht immer die Partei mit den meisten Stimmen gewinnt. Jetzt mehr erfahren!

Spektrum der Wissenschaft – Altern - Was uns länger leben lässt

Menschen altern unterschiedlich – abhängig vom Lebensstil, der Ernährung, dem Stresspegel oder dem sozialen Umfeld. Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch das Risiko für Demenzerkrankungen wie Alzheimer. Ein wirksames Mittel gegen dieses Leiden ist immer noch nicht gefunden, neue Erkenntnisse aus der Forschung lassen jedoch hoffen. Die weltweit alternden Gesellschaften fordern aber nicht nur die Medizin heraus, sondern auch unsere Sozialfürsorge. Letztlich bleibt das wichtigste Ziel, möglichst lange gesund und agil zu bleiben.

Spektrum - Die Woche – Ein langes Leben ist kein Zufall

Wie schafft man es, besonders alt zu werden und dabei fit und gesund zu bleiben? Die Altersforscherin Eline Slagboom weiß, welche Faktoren wir beeinflussen können - und welche nicht. Außerdem in dieser »Woche«: Wie Spannbetonbrücken einfach einstürzen können - und wie man das verhindern kann.

  • Quellen

Chen, C. et al.: IL-17 is a Neuromodulator of Caenorhabditis Elegans Sensory Responses. In: Nature 542, S. 43–48, 2017

Choi, G. B. et al.: The Maternal Interleukin-17a Pathway in Mice Promotes Autism-like Phenotypes in Offspring. In: Science 351, S. 933–939, 2016

Cohen, H. et al.: Maladaptation to Mental Stress mitigated by the Adaptive Immune System via Depletion of Naturally Occurring Regulatory CD4+CD25+ Cells. In: Developmental Neurobiology 66(6), S. 552-563, 2006

Filiano, A. J. et al.: Unexpected role of Interferon-γ in Regulating Neuronal Connectivity and Social Behaviour. In: Nature 535, S. 425–429, 2016

Kipnis, J.: Immune System: The »Seventh Sense«. In: Journal of Experimental Medicine 215, S. 397–398, 2018

Kipnis, J.: Multifaceted Interactions between Adaptive Immunity and the Central Nervous System. In: Science 353, S. 766–771, 2016

Louveau, A. et al.: Structural and Functional Features of Central Nervous System Lymphatic Vessels. In: Nature 523, S. 337–341, 2015

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.