Direkt zum Inhalt
Login erforderlich
Dieser Artikel ist Abonnenten mit Zugriffsrechten für diese Ausgabe frei zugänglich.

Psychiatrie: Störfaktor Immunsystem

Bei manchen Menschen mit einer vermeintlichen ­Schizophrenie, Demenz oder Depression steckt in Wirklichkeit eine leichte ­Entzündung des Gehirns hinter den Symptomen. Das ermöglicht neue, effektivere Behandlungsansätze.
Frau schaut nach unten

Vor sechs Jahren hatten die seltsamen Symptome begonnen. Dabei hatte sich Frau L.* eigentlich gut gefühlt, sehr gut sogar. Nur das Denken fiel ihr zunehmend schwer. Ihre Gedanken waren umständlich, geradezu wirr – und ständig kam ihr etwas Neues in den Sinn. Die Welt sah für sie auch anders aus als vorher, fühlte sich anders an und roch sogar ungewöhnlich: nach Liebe und Sexualität. Sie dachte so oft an diese Themen, dass es ihr schon peinlich war. Aber das konnte ja zum Glück niemand wissen. Oder etwa doch? Eines Tages erzählte ihr ein Nachbar von ­seinen sexuellen Fantasien. Erst war Frau L. erleichtert, dass es ihm ähnlich erging wie ihr. Doch dann erschrak sie, denn es war niemand mit ihr im Raum. Die Worte hörten sich allerdings ganz real an, als würde der Nachbar vor ihr stehen. Später sprachen auch andere Stimmen mit ihr und über sie oder forderten sie zu obszönen Handlungen auf. Das alles machte ihr große Angst. Schließlich bat sie einen Arzt um Hilfe. Sie erhielt die Diagnose Schizophrenie sowie antipsychotische Medikamente.**

Die Halluzinationen verschwanden durch die Behandlung so rasch, wie sie gekommen waren, ebenso das Gefühl, von anderen belauscht und manipuliert zu werden, sowie das verworrene Denken und Sprechen. Doch die sexuellen Gedanken blieben: Die Gestik und Mimik ihrer Mitmenschen hatten für sie nach wie vor eine geheime Bedeutung und offenbarte deren Vorlieben und Fantasien.

Sechs Jahre lang behandelten Ärzte Frau L. wie alle anderen Schizophreniepatienten. Inzwischen war sie 41 Jahre alt und arbeitete als Sporttherapeutin. Zweimal waren die Halluzinationen wiedergekommen, nachdem man die Medikamente wegen starker Nebenwirkungen abgesetzt hatte. Eine Laboruntersuchung ergab, dass bei Frau L. auch eine Hashimoto-Thyreoiditis vorlag, eine weit verbreitete Autoimmunerkrankung, die zu einer chronischen Entzündung der Schilddrüse führt. Zudem zeigte die Patientin im Elektroenzephalogramm (EEG) eine ungewöhnliche Hirnaktivität. Doch eine Magnet­resonanztomografie (MRT) des Gehirns offenbarte ­keine relevanten Besonderheiten und eine Analyse des ­Liquors (des »Gehirnwassers«) lediglich leicht erhöhte Entzündungswerte ...

* Namen geändert
** fiktive Innensicht eines realen Krankheitsfalls (Front. Psychiatry 64, 10.3389, 2017)

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Faszination Gehirn: 38 Infografiken über unser Denken, Fühlen und Handeln

Weil Sprache allein nicht immer das beste Kommunikationsmittel ist, werden seit 2013 ausgewählte Inhalte auf eine andere Art präsentiert: in Infografiken. Denn manches lässt sich in Bildern so viel einfacher darstellen als mit Worten. In dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist« präsentieren wir ein »Best-of« unserer Infografiken zu Psychologie, Hirnforschung und Medizin. Wie funktioniert unser Orientierungssinn? Was haben Darmbakterien mit der Psyche zu tun? Was macht eine angenehme Unterhaltung aus? Wie wirkt Alkohol im Gehirn? Und warum lassen wir uns im Supermarkt so leicht zu Spontankäufen animieren? Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden Sie in dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist«. Jede der 38 Grafiken im Heft widmet sich einem eigenen Thema.

Spektrum Kompakt – Sucht - Abhängigkeit im Alltag

Eine Sucht entsteht nicht nur bei harten Drogen. Unterschiedlichste Mittel und sogar Verhaltensweisen können abhängig machen. Hierzu zählen das Online-Glücksspiel, Sport und auch die sozialen Medien. Bei der Abhängigkeit von Alkohol gibt es neue Therapieansätze, die aus der Sucht helfen sollen.

Spektrum - Die Woche – Wie das Immunsystem wieder normal werden könnte

Neue Hoffnung bei Autoimmunkrankheiten: Erfahren Sie in unserem Artikel, wie innovative Behandlungsansätze das Immunsystem wieder normalisieren könnten. Plus: Warum gehen Wahlen oft knapp aus? Einblicke in die Mathematik politischer Entscheidungen.

  • Film-,Literaturtipp und Quellen

Filmtipp

Feuer im Kopf 89 Minuten, USA 2016

Das Filmdrama von Regisseur Gerard Barrett beruht auf der Autobiografie der New Yorker Journalistin Susannah Cahalan, die eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis mit schweren psychotischen Symptomen und epileptischen Anfällen entwickelte.

Literaturtipp

Tebartz van Elst, L.: Vom Anfang und Ende der Schizophrenie. Eine neuropsychiatrische Perspektive auf das Schizophrenie-Konzept. Kohlhammer, Stuttgart 2017

Der Autor des Artikels gibt einen Überblick über die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zur Schizophrenie.

Quellen

Bogerts, B. et al.: Evidence of Neuroinflammation in Subgroups of Schizophrenia and Mood Disorder Patients: A Semiquantitative Postmortem Study of CD3 and CD20 Immunoreactive Lymphocytes in Several Brain Regions. In: Neurology, Psychiatry and Brain Research 23, S. 2–9, 2017

Dalmau, J. et al.: Autoantibodies to Synaptic Receptors and Neuronal Cell Surface Proteins in Autoimmune Diseases of the Central Nervous System. In: Physiological Reviews 97, S. 839–887, 2017

Endres, D. et al.: Steroid Responsive Encephalopathy Associated with Autoimmune Thyroiditis (SREAT) Presenting as Major Depression. In: BMC Psychiatry 16, 184, 2016

Najjar, S. et al.: A Clinical Approach to New-onset Psychosis Associated with Immune Dysregulation: the Concept of Autoimmune Psychosis. In: Journal of Neuroinflammation, 13;15(1):40, 2018

Najjar, S. et al.: Neuroinflammation and Psychiatric Illness. In: Journal of Neuroinflammation, 10:816, 2013

Steiner, J. et al.: Immunological Aspects in the Neurobiology of Suicide: Elevated Microglial Density in Schizophrenia and Depression is Associated with Suicide. In: Journal of Psychiatric Research 42, 2, S. 151-157, 2008

Tebartz van Elst, L. et al.: Depressionen und Psychosen bei immunologischen Enzephalopathien. In: PSYCH Up2Date 9, S. 265-279, 2015

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.