Léon Foucault
Mit seinem Namen ist der legendäre Pendelversuch zum Nachweis der Erddrehung verbunden. Außerdem erfand der vielseitige Autodidakt das Gyroskop, maß die Entfernung der Sonne und perfektionierte das Spiegelteleskop.
Im 19. Jahrhundert bestritt kein Gebildeter mehr, daß die Erde sich um ihre Achse dreht, doch ein unmittelbar handgreiflicher Beweis stand noch immer aus. Schon seit Galileis und Newtons Zeiten wußten die Physiker, daß aufgrund der Erdrotation einem irdischen Beobachter die Bahn eines an sich geradlinig bewegten Körpers gekrümmt erscheinen muß – wie bei einem im kreisenden Karussell ausgeführten Zielwurf. Mehr als 200 Jahre lang waren die Naturforscher dem Phänomen nachgejagt. Sie hatten Gewichte von Türmen oder in tiefe Brunnen fallen lassen und sogar erwogen, Kanonenkugeln lotrecht nach oben abzufeuern, um kleinste Abweichungen von der Vertikalen zu entdecken. Aber alle Versuche, auf diese Weise die Erddrehung nachzuweisen, schlugen fehl.
Erst 1851 verblüffte ein junger französischer Physiker die gelehrte Welt mit dem Nachweis, daß ein einfaches Pendel, je länger es schwingt, die winzigen Effekte der Erdrotation immer augenfälliger akkumuliert. Indem die Schwingungsebene des gewaltigen Foucaultschen Pendels im Pariser Panthéon sich allmählich im Uhrzeigersinn drehte, enthüllte es die entgegengesetzte Rotation des Erdbodens.
Das war keineswegs Foucaults einziger Beitrag zur Physik des 19. Jahrhunderts. Er lieferte unumstößliche Indizien gegen die Korpuskulartheorie des Lichts, erfand das Gyroskop – mit dem sich zusätzliche Hinweise auf die Erddrehung geben ließen –, perfektionierte das Spiegelteleskop und vermaß den Sonnenabstand. Sein Lebenswerk ist eine faszinierende Mischung aus reiner und angewandter Wissenschaft, aus penibler Präzision und kühner Intuition. Einigen Zeitgenossen galt er als führender Physiker Frankreichs, andere sahen in ihm kaum mehr als einen begabten Bastler.
Geschickte Hände
Jean Bernard Léon Foucault war Pariser durch und durch. Er wurde 1819 in der "Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts" (Walter Benjamin) geboren und lebte dort – außer während einiger Kindheitsjahre in der Bretagne – bis zu seinem Tod im Jahre 1868. Sein Vater war ein Verleger und Buchhändler, der viele Bände zur Geschichte Frankreichs publiziert hatte. Die Foucaults waren wohlhabend. Die Familie besaß mehrere Immobilien und konnte dem jungen Léon den Besuch des Collège Stanislas, einer renommierten Privatschule, ermöglichen. Anscheinend war der Heranwachsende von eher schwächlicher Gesundheit und benötigte als mittelmäßiger Schüler private Nachhilfe.
Doch Foucault hatte eine große Begabung: ausgeprägte Fingerfertigkeit. In seinen Mußestunden baute er Modellboote, Telegraphen und Dampfmaschinen. 1839 schrieb er sich an der Pariser medizinischen Fakultät ein, um Chirurg zu werden – in der Hoffnung, seine manuelle Geschicklichkeit käme ihm dabei zugute. Doch er konnte kein Blut sehen und gab die Medizin bald auf.
Dafür begann ihn die Daguerreotypie zu faszinieren. Bei dieser Urform der Photographie wurden mit Silber beschichtete Platten durch Ioddämpfe lichtempfindlich gemacht und die Bilder mit Quecksilberdampf entwickelt. Der große Nachteil des Verfahrens waren lange Belichtungszeiten bis zu einer Stunde. Doch 1841 entdeckte Hippolyte Fizeau, ein früherer Schulkollege Foucaults aus dem Collège Stanislas, daß Brom die Platten empfindlicher machte, und Foucault entwickelte eine Methode, den giftigen Dampf gleichmäßig anzuwenden. Infolgedessen sank die Belichtungszeit so drastisch, daß Porträtaufnahmen möglich wurden.
Foucault und Fizeau hatten viel gemeinsam: Sie waren fast auf den Tag genau gleich alt, und beide wechselten von der Medizin zur Physik. Bald nach ihren Versuchen mit Brom begannen sie zusammenzuarbeiten. 1844 gelang ihnen die erste Daguerreotypie der Sonne. Die Aufnahme, die sie im Auftrag von François Arago – Sekretär der französischen Akademie der Wissenschaften und Direktor des Pariser Observatoriums – anfertigten, zeigte deutlich, daß die Sonnenscheibe in der Mitte heller ist als an den Rändern; dies bestätigte visuelle Beobachtungen und widerlegte die Hypothese des niederländischen Astronomen und Physikers Christiaan Huygens, die Sonne sei eine Flüssigkeitskugel.
Foucault erprobte die Daguerreotypie auch für medizinische Zwecke, wobei er mit Alfred Donné (1801-1878) zusammenarbeitete, einem seiner früheren ärztlichen Lehrer. Donné untersuchte Milch und Körperflüssigkeiten wie Blut unter dem Mikroskop. Ein gemeinsam hergestellter Atlas mit 80 Mikro-Aufnahmen – die meisten stammten von Foucault – markierte 1845 den ersten medizinischen Einsatz der Daguerreotypie.
Im selben Jahr übernahm Foucault von Donné die Aufgabe, für das Journal des Débats, eine einflußreiche Pariser Zeitung, über die Montagstreffen der Akademie der Wissenschaften zu berichten. Donné hatte in seinen Artikeln Arago vorgeworfen, er nutze die Akademie für persönliche Pfründe. Foucault schrieb weniger direkt, aber seine Kritik fiel manchmal recht scharf aus. Die Kolumne betreute er mit einigen Unterbrechungen mehr als 15 Jahre lang.
Licht: Wellen statt Teilchen
Im Jahre 1850 machte Foucault seine erste große Entdeckung: Er lieferte eindeutige Ergebnisse, die den seit langem währenden Streit um das Wesen des Lichts entschieden. Mit Beginn des Jahrhunderts hatte die Wellentheorie von Robert Hooke und Huygens die Oberhand über die Partikeltheorie von René Descartes und Isaac Newton gewonnen. Die Phänomene der Interferenz und der Polarisation sprachen für die Wellennatur des Lichts; aber die Verfechter der Teilchen-Hypothese fanden immer wieder Wege, ihre Theorie den experimentellen Resultaten anzupassen.
In dieser Situation schlug Arago einen Versuch vor, der die Entscheidung bringen sollte. Wenn Lichtstrahlen von Luft in Wasser eintreten, werden sie an der Grenzschicht gebrochen. Die beiden konkurrierenden Theorien erklärten die Brechung höchst unterschiedlich. Gemäß der Korpuskulartheorie wurden die Lichtteilchen an der Grenzfläche beschleunigt und bewegten sich darum in Wasser schneller als in Luft. Die Wellentheorie berief sich auf die Kontinuität der Wellenfront und sagte darum eine verringerte Fortpflanzungsgeschwindigkeit in Wasser voraus. Demnach ließe sich das Problem eindeutig klären, so Arago, wenn es gelänge, die Lichtgeschwindigkeit in Luft mit der in Wasser zu vergleichen.
Das Problem war natürlich die enorme Größe der Lichtgeschwindigkeit. Aragos Idee sah zwei parallele und exakt gleich lange Wege durch Luft beziehungsweise durch Wasser vor, auf denen Licht von einer einzigen Quelle aus zu einem möglichst schnell rotierenden Spiegel geführt wurde, der die beiden Strahlen ablenkte. Der langsamere Strahl kam später an und wurde darum stärker abgelenkt. Arago verwendete ein Uhrwerk, das den Spiegel bis zu 2000mal pro Sekunde rotieren ließ, doch fiel es ihm schwer, die rasch wandernden Reflexionen auseinanderzuhalten. Bald ließ zudem seine Sehkraft aufgrund von Diabetes nach, und er mußte seine Versuche schließlich einstellen.
Foucault und Fizeau nahmen die Idee auf. Sie fanden heraus, daß die Reflexionen stationär – und somit beobachtbar – gemacht werden konnten, wenn zusätzliche konkave Spiegel die Strahlen nach Durchgang durch die unterschiedlichen Medien nochmals zum rotierenden Spiegel zurückwarfen; dort wurden die Strahlen erneut reflektiert und gelangten schließlich zu einem feststehenden Okular (siehe Kasten oben). Doch an diesem Wendepunkt gerieten die beiden Physiker, die fast zehn Jahre lang so erfolgreich kooperiert hatten, in Streit. Der Grund ist unklar. Vermutlich ging es um den besten Antrieb für den Drehspiegel. Vielleicht hat Foucaults notorische Halsstarrigkeit die Versöhnung verhindert. Donné schrieb später: "Foucault war nicht, was man liebenswert nennt; er besaß weder genügend charakterliche Flexibilität noch Gefälligkeit, um in der Welt als angenehmer Mensch aufzutreten." Wer auch immer letztlich schuld gewesen sein mag, die beiden arbeiteten nun getrennt; jeder wollte der erste sein, der aus Aragos Idee ein Experiment mit eindeutigem Resultat zu entwickeln vermochte. Fizeau blieb bei dem Uhrwerkantrieb, während Foucault seinen Spiegel mit einer kleinen Dampfmaschine in 800 Umdrehungen pro Sekunde versetzte.
Foucault gewann das Rennen: Im April 1850 wies er nach, daß Wasser das Licht verlangsamt. Sieben Wochen später bestätigte sein Konkurrent das Ergebnis. Die Korpuskulartheorie war blamiert; Foucault wurde weithin bekannt und zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt.
Später mußten die Physiker freilich erkennen, daß Foucaults Experiment die Teilchentheorie des Lichts nicht ganz so endgültig erledigte, wie es seinerzeit den Anschein hatte. Das Verhalten des Lichts läßt sich mit Wellen allein nicht vollständig beschreiben: In der Quantenmechanik benötigt man den Teilchenaspekt, um Phänomene wie den photoelektrischen Effekt, die Strahlung schwarzer Körper und den Laser zu erklären.
Der Pendelversuch: durch eine Drehbank inspiriert
Foucaults nächste Leistung ist am berühmtesten geworden. Die Anregung für den legendären Pendelversuch lieferte ihm ein dünner Stahlstab, der in eine schnell rotierende Drehbank gespannt war. Als Foucault spielerisch am Stab zupfte und ihn in Vibration versetzte, fiel ihm auf, daß die Schwingungsebene nicht mit dem Stab mitrotierte. Der Grund für diesen noch heute überraschenden Effekt (siehe Abbildung auf Seite 82 oben) ist, daß ein Objekt aufgrund seiner Trägheit in demselben Bewegungszustand verharrt, solange es nicht von einer äußeren Kraft daran gehindert wird. Wie Foucault erkannte, entsprechen die rotierende Klemme und der vibrierende Stab der Erde und einem Pendel: Für einen Beobachter auf der langsam rotierenden Erde scheint die Schwingungsebene des Pendels sich ebenso langsam in der Gegenrichtung zu drehen.
Im Keller des Hauses, das Foucault mit seiner Mutter bewohnte, konstruierte er zunächst ein Pendel mit einem 5 Kilogramm schweren Messinggewicht an einer 2 Meter langen Schnur. Beim ersten Versuch am 3. Januar 1851 riß der Faden. Doch fünf Tage später hatte Foucault Erfolg: Die Schwingungsebene des Pendels drehte sich.
Auf Einladung Aragos installierte Foucault nun am Pariser Observatorium ein 11 Meter langes Pendel. Wenige Tage später teilte er seine Entdeckung der Akademie der Wissenschaften mit. Er erklärte, daß die Schwingungsebene sich an den geographischen Polen pro Tag um 360 Grad drehen würde, während diese Drehung sich andernorts um den Sinus der jeweiligen geographischen Breite verlangsame; demnach wäre am Äquator gar kein Effekt zu beobachten. Um den Sinusfaktor herzuleiten, müsse man "entweder auf die Analysis zurückgreifen oder auf mechanische und geometrische Überlegungen, die über die Grenzen dieser Notiz hinausgehen."
Mit Unterstützung des Präsidenten der Republik, Louis-Napoléon Bonaparte (des späteren Kaisers Napoléon III.), wurde für eine spektakuläre öffentliche Demonstration ein noch größeres Pendel installiert. Im Frühjahr 1851 strömten die Pariser ins Panthéon, um ein 28-Kilogramm-Gewicht zu bestaunen, daß an einem 67 Meter langen Drahtseil von der Kuppel hing und knapp über dem Boden majestätisch hin und her schwang. Die Verlagerung der Schwingungsebene wurde durch einen Stift an der Unterseite des Pendelgewichts deutlich, der an den Umkehrpunkten feuchte Sandhaufen durchpflügte.
Dies und der Luftwiderstand dämpften allmählich die Oszillation, und nach fünf bis sechs Stunden mußte das Pendel neu gestartet werden. Doch in dieser Zeitspanne hatte sich die Schwingungsebene wie erwartet um 60 bis 70 Grad im Uhrzeigersinn gedreht. Bald wurde das Experiment in aller Welt wiederholt. In Rio de Janeiro, jenseits des Äquators, bewegte die Schwingungsebene sich erwartungsgemäß entgegen dem Uhrzeigersinn.
Foucault tat gut daran, den Sinusfaktor nicht öffentlich begründen zu wollen. In den folgenden Monaten versuchten Dutzende Gelehrte, die Bewegung des Pendels entweder geometrisch oder analytisch zu erklären, wobei die Anhänger beider Ansätze einander heftig befehdeten.
Der Sinusfaktor kommt zustande, weil das Pendel nicht völlig frei im Raum schwingt: Außer an den geographischen Polen beschreibt seine Aufhängung einen Kreis, und die Richtung der Schwerkraft verändert sich unentwegt, während die Erde rotiert. Letztlich folgt das Pendel der scheinbaren Bewegung der Fixsternhimmels (siehe Kasten Seite 84). Analytisch ausgedrückt resultiert die Pendeldrehung aus der Corioliskraft – einer nach dem französischen Physiker Gaspard Gustave Coriolis (1792-1843) benannten Trägheitskraft in rotierenden Bezugssystemen, die beispielsweise einen im Karussell geworfenen Gegenstand seitlich vom Ziel abzulenken scheint.
Für Foucault stellte die Pendeldrehung kein philosophisches Problem dar: Sie demonstrierte das absolute Wesen des Raumes. Jahrzehnte später widersprach der österreichische Physiker und Philosoph Ernst Mach dieser "metaphysischen" Ansicht. Nach Machs Überzeugung verursacht der Fixsternhimmel die Trägheitseffekte und bildet das unbeschleunigte Bezugssystem (Inertialsystem), gegenüber dem Beschleunigungen und Rotationen letztlich definiert und quantifiziert werden können. Demnach wäre es unmöglich, die Rotation eines Planeten in einem völlig leeren Universum festzustellen, und ein Foucaultsches Pendel würde auf einem solchen Planeten nicht die Schwingungsebene ändern.
Machs Ideen übten beträchtlichen Einfluß auf Albert Einstein aus. Dessen allgemeine Relativitätstheorie greift den Gedanken auf, daß der Raum nicht unabhängig von den darin befindlichen Massen ist. Allerdings gibt es in Einsteins Theorie nicht ein einziges, unendlich ausgedehntes Inertialsystem, sondern viele lokale Bezugssysteme, in denen sich jeweils Rotationen definieren lassen. Gemäß der allgemeinen Relativitätstheorie dreht ein rotierender Körper, etwa ein Planet, außerdem das umgebende Inertialsystem geringfügig mit; darum ist das Foucaultsche Pendel nicht absolut fest an den Fixsternhimmel gekoppelt. An den Erdpolen macht dieser sogenannte Lense-Thirring-Effekt 0,2 Bogensekunden pro Jahr aus; die winzige Abweichung ist durch präzise Entfernungsmessungen an Satelliten mittels Laser kürzlich nachgewiesen worden.
Verbesserungen des Spiegelteleskops
Weil der Sinusfaktor für allerlei Verwirrung und Mißverständnisse sorgte, suchte Foucault einen von der geographischen Breite unabhängigen Nachweis der Erdrotation. Nach einem Jahr präsentierte er ein Gerät, das er Gyroskop nannte: einen Kreisel mit völlig frei beweglicher Drehachse, der darum seine Lage im Raum beibehalten konnte. Die allmähliche Verlagerung der Kreiselachse gegenüber der Erde ließ sich mit einem Mikroskop beobachten. In unserem Jahrhundert sind mechanische Gyroskope für die Vermessung und Navigation unentbehrlich geworden.
Trotz aller Erfolge war Foucault noch immer ohne feste Anstellung – vielleicht unter anderem wegen seiner abweisenden Persönlichkeit. "Sein Gehabe eines Pascha mit drei Zöpfen gefiel nicht jedermann", bemerkte ein Zeitgenosse. Erst 1855 wurde er zum offiziellen Physiker des Pariser Observatoriums ernannt; es wurde nach Aragos Tod nun von Urbain Leverrier geleitet, dessen astronomische Berechnungen zur Entdeckung des Planeten Neptun geführt hatten. Leverrier wollte die Instrumente der Sternwarte modernisieren und bat Foucault, ein riesiges Linsenfernrohr von 74 Zentimetern Durchmesser zu konstruieren. Dieser fand aber bald, ein großes Spiegelteleskop sei vorzuziehen.
Damals baute Lord Rosse solche Instrumente in Irland, doch seine Metallspiegel waren schwer, mühsam herzustellen und brauchten sorgsame Pflege, damit sie nicht trübe wurden. Wie schon Newton gewußt hatte, eignete sich Glas als Spiegelmaterial besser – vorausgesetzt, das Reflexionsvermögen ließ sich ausreichend steigern.
Doch Foucault war nun nicht mehr auf das schädliche Quecksilber-Amalgam angewiesen, mit dem seinerzeit Spiegel auf der Rückseite beschichtet wurden. Schon für den Drehspiegel seines Brechungsexperiments hatte er statt dessen eine Silberschicht verwendet, die durch chemische Reduktion von Silbernitrat-Lösungen abgelagert wurde. Die so erzeugte Schicht war äußerst dünn und ließ sich darum auf die Vorderseite von Teleskopspiegeln auftragen, ohne deren Fokussiervermögen zu schmälern. Außerdem konnte das Silber, wenn es trübe wurde, leicht ersetzt werden, ohne daß die optische Qualität der darunterliegenden Glasfläche beeinträchtigt wurde. Damit war es auf einmal technisch möglich, Teleskope mit metallisierten Glasspiegeln herzustellen.
Foucault fabrizierte brauchbare 10- und 22-Zentimeter-Spiegelteleskope, doch die damaligen Schleif- und Polierverfahren waren eher Glückssache und eigneten sich nicht für größere Durchmesser. Nachdem er fünfmal an der Herstellung eines 42-Zentimeter-Spiegels gescheitert war, erfand Foucault drei Prüfmethoden für optische Flächen. Am genauesten ist das nach ihm benannte Schneidenverfahren: Eine geschärfte Klinge wird so in den reflektierten Strahlengang einer Punktquelle gehalten, daß die Kante das Spiegelbild teilweise überdeckt und Polierfehler deutlich hervortreten läßt.
Foucaults größtes Fernrohr hatte einen 80-Zentimeter-Spiegel und wurde in der Sternwarte von Marseille unter dem klaren Himmel des Mittelmeers installiert. Damit war der Weg frei für immer größere Spiegelteleskope – bis zu den riesigen Geräten unserer Zeit.
Für Leverrier war die rechnerische Vorhersage des Ortes der Neptun-Entdeckung nur das Vorspiel zu seinem Lebenswerk: einer umfassenden Darstellung der Bewegungen im Sonnensystem mit Hilfe der Newtonschen Mechanik. In aufwendigen Rechnungen verbesserte er die Schätzungen der Planetenmassen und kam zu dem Schluß, die Entfernung der Sonne sei um rund 3 Prozent kleiner als bisher angenommen. Darum schloß Leverrier, auch die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum sei in Wahrheit um rund 3 Prozent geringer als der seinerzeit beste Schätzwert von 308000 Kilometern pro Sekunde.
Vermessung des Sonnenabstands
Damals pflegte man den Wert der Lichtgeschwindigkeit aus astronomischen Messungen herzuleiten, beispielsweise aus solchen des Sonnenabstands. Erst Foucaults Rivale Fizeau maß 1849 zum ersten Mal die Lichtgeschwindigkeit auf der Erde mit Hilfe eines schnell rotierenden Zahnrads, durch dessen Kerben er einen Lichtstrahl über einen weit entfernten Spiegel auf einen 9 Kilometer langen Hin- und Rückweg schickte; bei einer bestimmten Drehgeschwindigkeit unterbrach der nachfolgende Zahn den Strahl. Doch Fizeaus Ergebnis lag sogar noch über den astronomisch gewonnenen Werten und widersprach darum Leverriers Vermutung.
Um seine Vorhersage zu prüfen, wandte Leverrier sich darum erneut an Foucault und bat den Physiker des Observatoriums, das Drehspiegel-Experiment zur relativen Lichtgeschwindigkeit aus dem Jahre 1850 für eine Messung des absoluten Werts zu modifizieren. Zu diesem Zweck verlängerte Foucault den Lichtweg durch eine Anordnung von fünf vorne silberbeschichteten Spiegeln auf 20 Meter. Ein uhrwerkgetriebenes Zahnrad diente dazu, den durch die Zacken hindurch beleuchteten rotierenden Spiegel stroboskopisch auf exakt 400 Umdrehungen pro Sekunde einzustellen. Im September 1862 gab Foucault der Akademie der Wissenschaften sein Resultat bekannt: 298 000 Kilometer pro Sekunde. Dieser Wert stimmte nicht nur mit Leverriers Prognose überein, sondern entspricht auch auf 1 Prozent genau modernsten Messungen.
Heutige Physik-Lehrbücher zitieren Foucaults Versuch manchmal als Vorstufe zu den Messungen der Lichtgeschwindigkeit, die der amerikanische Physiker Albert A. Michelson in unserem Jahrhundert durchgeführt hat. Doch dabei wird der Zweck, den Foucault verfolgte, oft falsch verstanden. Seinerzeit wußten die Physiker noch nicht um die grundlegende Bedeutung der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante; der britische Physiker James Clerk Maxwell publizierte seine Theorie des Elektromagnetismus erst 1865, und Einstein war noch gar nicht geboren. Im Jahre 1862 ging es nur um den Sonnenabstand – in Leverriers Worten "die delikateste Frage der modernen Astronomie".
Das Experiment zur Lichtgeschwindigkeit war Foucaults letztes Projekt von Bedeutung. Sein restliches Leben widmete er hauptsächlich der Mitarbeit in wissenschaftlichen Gremien und der Suche nach einem universell verwendbaren mechanischen Regler, der ihn reich machen sollte. Doch damit hatte er keinen Erfolg: Die Erfordernisse der Industrie waren allzu vielfältig, und seine Konstruktionen erwiesen sich als dynamisch instabil.
Ein scheuer Kater
Wie läßt sich Foucault als Wissenschaftler charakterisieren? "Nicht jedermann betrachtete Foucault als echten Physiker", schrieb Donné, "... und da er nicht alle Zweige der Wissenschaft studiert hatte, wäre er vielleicht unfähig gewesen, eine vollständige Physik-Vorlesung für Anfänger zu halten... In vieler Hinsicht war er ein Amateur. Er selbst verlieh sich diesen Titel und rühmte sich seiner. ‚Wir sind Amateure..., aber im guten Sinne; ... wir kultivieren die Punkte der Wissenschaft, zu denen uns unser Instinkt leitet.'"
Foucaults Stärke war das präzise Experiment. Selbst heute ist der Bau eines Foucaultschen Pendels keineswegs einfach. Die Drehgeschwindigkeit der Schwingungsebene beträgt in der Regel nur 1/20 000 der Pendelgeschwindigkeit. Oft verlagert ein vermeintliches Foucaultsches Pendel seine Schwingungsrichtung nicht aufgrund der Erdrotation, sondern weil es nicht sauber in Bewegung versetzt wurde.
Neben vielen anderen gelehrten Organisationen erkannte die Londoner Royal Society Foucaults Verdienste an, indem sie ihm 1855 ihre höchste Auszeichnung verlieh, die Copley-Medaille. Doch im eigenen Land ließen die Ehrungen auf sich warten. Frankreichs wissenschaftliche Tradition war analytisch und formal geprägt; obwohl Foucault über erstaunliche mechanische Intuition verfügte, hatte er wenig mathematische Begabung. Seine Doktorarbeit über seine Messungen der Lichtgeschwindigkeit in Luft und Wasser aus dem Jahre 1850 enthielt algebraische Fehler, die er bei der mündlichen Prüfung nicht zu korrigieren vermochte.
Auch waren abstrakte Überlegungen nicht seine Stärke. Als er 1849 den elektrischen Lichtbogen untersuchte, berichtete er, dieser könne gelbe Spektrallinien sowohl absorbieren als auch emittieren; er meinte sogar, die Astronomie könne vom Studium der Sternenspektren profitieren. Doch nicht er, sondern der deutsche Physiker Gustav Kirchhoff formulierte ein Jahrzehnt später klare empirische Regeln für die Absorption und Emission von Strahlung.
Insbesondere hatte Foucault nicht die angesehenen Bildungsstätten der wissenschaftlichen Elite besucht – weder die École Polytechnique noch die École Normale Supérieure. Vielleicht deswegen und weil er sich mit seinen Zeitungsartikeln unbeliebt gemacht hatte, wurde er erst 1865 beim sechsten Versuch endlich in die französische Akademie der Wissenschaften gewählt.
Zwei Jahre später, im Juli 1867, traten bei Foucault erste Lähmungserscheinungen auf. Er starb innerhalb von sieben Monaten mit 48 Jahren, wahrscheinlich an rapide fortschreitender multipler Sklerose – und nicht, wie seinerzeit vermutet, an Überarbeitung und Sorgen. Donnés Nachruf für den Freund enthüllt einige Facetten von dessen vielseitiger Persönlichkeit: "Nachdem ich ihn in die Intimität meiner Familie eingeführt hatte, erschien er uns oft als unangenehm und lästig, vor allem weil er sich nie ereiferte, sondern seine Meinung immer in demselben kalten und ruhigen Ton aufrechterhielt. Diese Ruhe war in bestimmten Situationen eine große Stärke, und ich habe erlebt, wie er – obgleich von schwächlicher und gebrechlicher Erscheinung – die furchtbarsten Gegner zum Rückzug trieb. ... Er war stets bereit, den Unwissenden, vor allem den weiblichen, die abstraktesten Gesetze der Physik zu erklären."
Trotz dieser letzten Beobachtung heiratete Foucault niemals. Donné schreibt: "Er führte sozusagen das Leben einer dieser Katzen aus gutem Hause, die sich auf dem besten Platz im Schlafzimmer oder im Salon niederlassen... Wenn ein Besuch kam, der ihm nicht behagte, zog er sich in einen Winkel zurück, mit seinem Notizbuch und seinem Bleistift, die er immer bei sich hatte. ... Obgleich er nicht zu gefallen verstand, war seine Treue zu Freunden über jeden Zweifel erhaben."
Darum versammelte sich ein großer Freundeskreis bei seinem Begräbnis. Später sollte sein Name in die Eisenträger des Eiffelturms gegossen werden. Foucault war kein Genie vom Format Newtons oder Einsteins, aber die Nachwelt erinnert sich mit Recht dieses großen Sohnes der Lichterstadt Paris.
Literaturhinweise
Perfecting the Modern Reflector. Von William Tobin in: Sky & Telescope, Bd. 74, Heft 4, S. 358 – 359 (1987).
Toothed Wheels and Rotating Mirrors: Parisian Astronomy and Mid-Nineteenth Century Experimental Measurements of the Speed of Light. Von William Tobin in: Vistas in Astronomy, Bd. 36, S. 253 – 294 (1993).
Foucault, His Pendulum and the Rotation of the Earth. Von W. Tobin und B. Pippard in: Interdisciplinary Science Reviews, Bd. 19, Heft 4, S. 326 – 337 (1994)
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1999, Seite 78
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