Winters' Nachschlag: Mit der Bahn in den Wahn
Manchmal sind zwei Ohren definitiv eins zu viel.
Ich bestieg den ICE nach Frankfurt um Punkt 6 Uhr. Die dreieinhalbstündige Fahrt wollte ich dafür nutzen, meine Powerpoint-Kundenpräsentation auszuarbeiten. Als alter Bahnprofi hatte ich natürlich einen Platz im Ruheabteil und in Steckdosennähe gebucht. Ich klappte also meinen Laptop auf, doch bevor ich den ersten Satz formuliert hatte, wurde ich durch das Telefonat einer jungen Frau abgelenkt, die direkt hinter mir saß.
Es ging um eine Sabine, die nicht mehr mit einer Elke in Urlaub fahren wollte. Genervt zog ich mein G&G-Heft aus der Tasche und las den Artikel "Die Last des Lauten" ab S. 44. Immerhin, so erfuhr ich darin, war ich nicht der Einzige, dessen Kurzzeitgedächtnis durch Hintergrundgespräche von jedem sinnvollen Gedanken abgeschnitten wird! Als ich den Artikel unter der Dauerbeschallung vom Platz hinter mir mit Mühe zu Ende gelesen hatte, erklärte die Mitreisende gerade, dass Elke immer dicker werde und es daher nur zu verständlich sei, wenn Sabine nicht mehr mit ihr am Strand liegen wolle. Ich war kurz davor, mich bei der überaus mitteilsamen Dame zu beschweren, da fuhr unser Zug in einen Tunnel – und das Gespräch brach jäh ab. Was für ein Glück!
Meine Hände schwebten gerade wieder über der Tastatur, als mich ein freundlicher Minibarverkäufer mit Thaiakzent fragte, ob mir der Sinn nach einem Getränk stehe. Ich nahm einen Kaffee und fixierte wieder die leere Fläche auf meinem Bildschirm.
"Begrüß...", fing ich an zu tippen – da erklang eine schwerfällige Stimme aus dem Lautsprecher und informierte mich über die nächsten 36 Haltebahnhöfe, unsere bisherige Verspätung sowie das Ausmaß des Bedauerns, welches die Bahn darüber empfand. Dann verlas der freundliche Herr noch die komplette Speisenliste des Bistrowagens.
Die im G&G-Artikel skizzierte Erkenntnis, nicht nur muttersprachliches Gebrabbel blockiere das Hirn, konnte ich anschließend live überprüfen, als der ICE-Zugbegleiter seine Litanei in einer mir unbekannten Stammessprache wiederholte, die entfernt an Englisch erinnerte.
So verrann die Zeit. Unser Zug rollte trotz Verspätung bereits durch Hannover, und ich hatte erst ein halbes Wort zu Stande gebracht! Da laut den G&G-Autoren ein Frequenzfilter die störende Wirkung von Lärm zu reduzieren vermag, verstopfte ich meine Ohren mit Tempofetzen und wickelte zusätzlich mein Sakko turbanartig um meinen Kopf. Tatsächlich: Den ersten Satz meiner Präsentation schrieb ich vollkommen ungestört nieder!
Aber die Freude währte nicht lange, denn im nächsten Moment brüllte mir jemand ins Ohr, ich möge meinen Fahrschein vorzeigen. Offenbar hatte ich mehrfach nicht auf die Ansprache des Schaffners reagiert, woraufhin dieser etwas deutlicher geworden war. Vor Schreck warf ich den Pappbecher um, und lauwarmer, löslicher Kaffee ergoss sich über die Tastatur meines Laptops.
Ein voll besetzter Bahnwaggon erfüllt sicherlich bestens die Anforderungen, die man an einen "lärmreduzierten Raum mit kurzer Nachhallzeit" stellen kann. Trotzdem dürften die Verwünschungen, die ich in diesem Moment spontan ausstieß, den anderen Reisenden bis heute in den Ohren klingen. Das Mobilfunkloch hatten wir übrigens offensichtlich wieder verlassen, denn während ich noch versuchte, gleichzeitig mein Ticket aus der Tasche zu ziehen und den Kaffee aus der Tastatur zurück in den Pappbecher zu gießen, ging das Telefonat hinter mir mit unverminderter Intensität weiter. Elke sei ja nur deshalb so dick geworden, weil Tom sie wegen Nadine sitzen gelassen habe, erfuhr ich.
Kurz vor Hanau rief ich schließlich meinen Kunden an, um ihn von der mittlerweile auf anderthalb Stunden angewachsenen Verspätung zu informieren und schonend darauf vorzubereiten, dass ich mich für eine ganz unkonventionelle Präsentation (kurz und locker, ohne Laptop) entschieden hatte.
In dieser Sekunde spürte ich das energische Klopfen eines Zeigefingers auf meiner Schulter. Die Handy-Frau ermahnte mich, ich möge doch bitte leise telefonieren – schließlich sei dies die Ruhezone.
Es ging um eine Sabine, die nicht mehr mit einer Elke in Urlaub fahren wollte. Genervt zog ich mein G&G-Heft aus der Tasche und las den Artikel "Die Last des Lauten" ab S. 44. Immerhin, so erfuhr ich darin, war ich nicht der Einzige, dessen Kurzzeitgedächtnis durch Hintergrundgespräche von jedem sinnvollen Gedanken abgeschnitten wird! Als ich den Artikel unter der Dauerbeschallung vom Platz hinter mir mit Mühe zu Ende gelesen hatte, erklärte die Mitreisende gerade, dass Elke immer dicker werde und es daher nur zu verständlich sei, wenn Sabine nicht mehr mit ihr am Strand liegen wolle. Ich war kurz davor, mich bei der überaus mitteilsamen Dame zu beschweren, da fuhr unser Zug in einen Tunnel – und das Gespräch brach jäh ab. Was für ein Glück!
Meine Hände schwebten gerade wieder über der Tastatur, als mich ein freundlicher Minibarverkäufer mit Thaiakzent fragte, ob mir der Sinn nach einem Getränk stehe. Ich nahm einen Kaffee und fixierte wieder die leere Fläche auf meinem Bildschirm.
"Begrüß...", fing ich an zu tippen – da erklang eine schwerfällige Stimme aus dem Lautsprecher und informierte mich über die nächsten 36 Haltebahnhöfe, unsere bisherige Verspätung sowie das Ausmaß des Bedauerns, welches die Bahn darüber empfand. Dann verlas der freundliche Herr noch die komplette Speisenliste des Bistrowagens.
Die im G&G-Artikel skizzierte Erkenntnis, nicht nur muttersprachliches Gebrabbel blockiere das Hirn, konnte ich anschließend live überprüfen, als der ICE-Zugbegleiter seine Litanei in einer mir unbekannten Stammessprache wiederholte, die entfernt an Englisch erinnerte.
So verrann die Zeit. Unser Zug rollte trotz Verspätung bereits durch Hannover, und ich hatte erst ein halbes Wort zu Stande gebracht! Da laut den G&G-Autoren ein Frequenzfilter die störende Wirkung von Lärm zu reduzieren vermag, verstopfte ich meine Ohren mit Tempofetzen und wickelte zusätzlich mein Sakko turbanartig um meinen Kopf. Tatsächlich: Den ersten Satz meiner Präsentation schrieb ich vollkommen ungestört nieder!
Aber die Freude währte nicht lange, denn im nächsten Moment brüllte mir jemand ins Ohr, ich möge meinen Fahrschein vorzeigen. Offenbar hatte ich mehrfach nicht auf die Ansprache des Schaffners reagiert, woraufhin dieser etwas deutlicher geworden war. Vor Schreck warf ich den Pappbecher um, und lauwarmer, löslicher Kaffee ergoss sich über die Tastatur meines Laptops.
Ein voll besetzter Bahnwaggon erfüllt sicherlich bestens die Anforderungen, die man an einen "lärmreduzierten Raum mit kurzer Nachhallzeit" stellen kann. Trotzdem dürften die Verwünschungen, die ich in diesem Moment spontan ausstieß, den anderen Reisenden bis heute in den Ohren klingen. Das Mobilfunkloch hatten wir übrigens offensichtlich wieder verlassen, denn während ich noch versuchte, gleichzeitig mein Ticket aus der Tasche zu ziehen und den Kaffee aus der Tastatur zurück in den Pappbecher zu gießen, ging das Telefonat hinter mir mit unverminderter Intensität weiter. Elke sei ja nur deshalb so dick geworden, weil Tom sie wegen Nadine sitzen gelassen habe, erfuhr ich.
Kurz vor Hanau rief ich schließlich meinen Kunden an, um ihn von der mittlerweile auf anderthalb Stunden angewachsenen Verspätung zu informieren und schonend darauf vorzubereiten, dass ich mich für eine ganz unkonventionelle Präsentation (kurz und locker, ohne Laptop) entschieden hatte.
In dieser Sekunde spürte ich das energische Klopfen eines Zeigefingers auf meiner Schulter. Die Handy-Frau ermahnte mich, ich möge doch bitte leise telefonieren – schließlich sei dies die Ruhezone.
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