Nobelpreis für Medizin: Schonender Blick in den Körper
Berührungslos und ohne Strahlenbelastung ein Bild vom Inneren des Patienten zu gewinnen: Dieser alte Traum der Mediziner ging mit der Magnetresonanztomographie in Erfüllung. Zwei ihrer Pioniere erhielten nun mit großer Verspätung den Medizin-Nobelpreis.
Immer mehr Menschen kennen inzwischen die Erfahrung: 30 bis 60 Minuten reglos in einer engen Röhre zu liegen und dabei lautem rhythmischen Pochen oder Rattern ausgesetzt zu sein. Die Magnetresonanztomographie (MRT) oder auch Kernspintomographie, wie die Untersuchungsmethode heißt, hat sich zu einem der wichtigsten Verfahren entwickelt, Bilder aus dem Körperinneren zu gewinnen, und erreicht dabei normalerweise eine räumliche Auflösung von etwa einem halben Millimeter. Das Ausharren in der Röhre ist sicher nicht angenehm – besonders für Klaustrophobiker –, aber es gibt weitaus schlimmere und belastendere medizinische Untersuchungen, die weniger aufschlussreiche Ergebnisse liefern. Außerdem arbeiten Medizintechniker daran, den Lärmpegel zu senken und "offene" Geräte zu entwickeln, bei denen der Patient freien Blick auf seine Umgebung hat.
Die MRT erzielt besonders in weichen Geweben wie dem Gehirn hohe Kontraste und kommt ohne gesundheitsschädliche ionisierende Strahlung aus – beides Vorteile gegenüber den länger bekannten Röntgen- oder nuklearmedizinischen Methoden. Der Patient wird lediglich statischen und niederfrequenten Magnetfeldern sowie hochfrequenten elektromagnetischen Feldern ausgesetzt. Dabei kann sich zwar das Gewebe erwärmen; der Effekt ist jedoch harmlos, wenn bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden.
Heute lässt sich die Zeit für eine Einzelaufnahme auf weniger als eine Sekunde drücken, sodass zum Beispiel das Schlagen des Herzens oder Gelenkbewegungen für die orthopädische Diagnostik darstellbar sind. Generell wandelt sich das Verfahren zunehmend von der ursprünglich rein anatomischen zur physiologischen Bildgebung. So steht etwa die Messung der lokalen Gewebetemperatur, Blutflussgeschwindigkeit, Gewebeelastizität oder Sauerstoffkonzentration an der Schwelle zur klinischen Praxis.
Chemische Analysen sind ebenso möglich wie Messungen der Aktivität in einzelnen Hirnregionen. Mit der MRT lassen sich Gefäßbäume und sogar Nervenfasern im Gehirn sichtbar machen. Kontrastmittel sind nicht nötig, aber bei manchen diagnostischen Fragestellungen hilfreich. Weil man auch die Konzentration solcher eingebrachten Stoffe bestimmen kann, eröffnet das Verfahren aussichtsreiche neue Möglichkeiten im aufkommenden Gebiet der molekularen Bildgebung. Dabei vermitteln Markierungssubstanzen, die sich an spezifische Stellen im Körper anlagern, Einsichten in biochemische Vorgänge in der Zelle.
Aus all diesen Gründen ist die MRT heute aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Etwa 60 Millionen Untersuchungen werden jährlich an den rund 22000 installierten Tomographen weltweit durchgeführt, überwiegend im Bereich der Neurologie und Orthopädie. Angesichts dessen war die Vergabe eines Nobelpreises für zwei der wichtigsten Pioniere des Verfahrens längst überfällig.
Analogie zur Gitarre
Wie funktioniert die MRT? Mit ein wenig Fantasie kann man sie mit dem Spielen einer Gitarre vergleichen. An die Stelle der schwingenden Saiten treten dabei in der Regel Wasserstoffkerne, also Protonen, die im menschlichen Körper in hoher Dichte vorliegen. Sie haben wegen ihrer Eigendrehung, dem so genannten Spin, ein magnetisches Moment und verhalten sich daher ähnlich wie kleine Stabmagnete.
Gitarrensaiten müssen gespannt werden, um schwingen zu können. Diese Aufgabe übernimmt bei der MRT ein starkes statisches Magnetfeld von einigen Tesla (ein Tesla entspricht ungefähr der 25000fachen Stärke des Erdmagnetfeldes), das die kleinen Stabmagnete entlang seiner Feldlinien ausrichtet. Dem Zupfen der Saite entspricht das Senden eines elektromagnetischen Hochfrequenzpulses. Er kippt die parallel zum Feld orientierten Wasserstoffkerne und bringt sie dadurch zum Kreiseln. Infolgedessen senden sie ihrerseits hochfrequente elektromagnetische Wellen aus, bis ihre Rotation abgeklungen und die ursprüngliche Ruhelage wieder erreicht ist. Diese Wellen induzieren in den "Ohren" des Tomographen – den Empfangsspulen – eine messbare Spannung: das Signal.
Da die Saiten einer Gitarre verschieden stark gespannt sind, unterscheidet sich die Frequenz, mit der sie schwingen. Daran erkennt das geübte Ohr, welche gerade gezupft wurde. Auch bei der MRT wird die Herkunft der Signale über eine Frequenzanalyse ermittelt. Für das verschieden starke "Spannen" der Protonen sorgen hier so genannte Gradientenfelder, die dem Hauptmagnetfeld einen schwach linearen Verlauf in der Größenordnung einiger 0,01 Tesla pro Meter geben.
Der außergewöhnliche Bildkontrast kommt bei der MRT allerdings nicht, wie nahe läge, dadurch zu Stande, dass die einzelnen Körperregionen verschieden intensive Signale liefern, weil sich ihre Protonendichte unterscheidet. Gemessen werden vielmehr die Abklingzeiten des Signals ("Relaxationszeiten"), da sie wesentlich stärker mit dem Gewebetyp variieren. Auf die Gitarre übertragen hieße das: Nicht die unterschiedliche Lautstärke der von den einzelnen Saiten erzeugten Töne wird im Bild dargestellt, sondern die Zeit, mit der sie verklingen.
"Tief ist der Brunnen der Vergangenheit", schreibt Thomas Mann. Auch die Wurzeln der MRT reichen weit zurück und sind schwer exakt zu bestimmen. Liegt ihr Ursprung bei William Gilbert, der im Jahr 1600 sein bahnbrechendes Werk "De Magnete" veröffentlichte? Oder doch erst bei Jean-Baptiste-Joseph Fourier, der Anfang des 19. Jahrhunderts grundlegende Arbeiten zur Frequenzanalyse erbrachte, die für die MRT unerlässlich ist? Oder sollte man die Geschichte des Verfahrens bei Nicola Tesla beginnen lassen, der im gleichen Jahrhundert die dafür essenziellen hohen Magnetfelder erforschte?
Erste Aufnahme: eine Muschel
Einen Meilenstein bildete zweifellos Anfang des 20. Jahrhunderts die Entdeckung der Bestandteile des Atoms und ihrer magnetischen Eigenschaften. Im Jahre 1946 gelang es Felix Bloch und Edward Mills Purcell (Physik-Nobelpreis 1952) unabhängig voneinander, gezielt eine magnetische Resonanz von Atomkernen zu erzeugen – ein weiterer, wichtiger Schritt in Richtung MRT. Zunächst eroberte sich diese Technik allerdings den Bereich der Strukturbestimmung und zerstörungsfreien Analyse in der Chemie.
Anfang der 1970er Jahre erkannte dann Raymond Damadian am New York Downstate Health Sciences Center in Brooklyn, dass sich die Relaxationszeiten von gesundem und Tumorgewebe unterscheiden. Roger Gabillard von der Universität Lille (Frankreich) diskutierte als Erster die Möglichkeit, durch inhomogene Magnetfelder die Magnetresonanz auf einzelne Stellen im zu untersuchenden Objekt zu lokalisieren und dieses dann Punkt für Punkt zu analysieren. Allerdings hatten die so erhaltenen Bilder noch eine sehr grobe Auflösung und erforderten inakzeptabel lange Messzeiten.
In dieser Situation schaffte der eine der beiden diesjährigen Nobelpreisträger den Durchbruch zu einer praktikablen Bildgebung: der Chemiker Paul C. Lauterbur, damals an der New York University in Stony Brook. Indem er die oben erwähnten Gradientenfelder einführte, schuf er die Grundlage für die heute üblichen schnellen und hochauflösenden MRT-Verfahren. Unter seiner Regie entstand 1973 auch das erste Magnetresonanz-Bild eines lebenden Wesens – einer Muschel. Lauterbur nannte sein Verfahren "Zeugmatographie" (nach griechisch zeugma, Gespann), weil dabei das Hauptmagnetfeld und die Gradientenfelder gewissermaßen zusammengespannt werden.
Der zweite Preisträger, der Physiker Peter Mansfield, entwickelte mit seinen Mitarbeitern an der Universität Nottingham im Jahre 1974 eine Methode, gezielt einzelne Schichten des untersuchten Objekts abzubilden. Mit ihr gelang ihm dann 1977 die erste Aufnahme an einem Menschen: ein Querschnitt durch einen Finger. Sein zweites großes Verdienst besteht darin, dass er die MRT erheblich beschleunigte, indem er gegen Ende der 1970er Jahre die Echo-Technik zu einer der wichtigsten Formen der MRT-Echtzeitmessung erweiterte. Was ist darunter zu verstehen?
Während die Protonen unmittelbar nach der Anregung mit dem Hochfrequenzpuls synchron rotieren, geraten sie auf Grund kleiner Inhomogenitäten im Magnetfeld relativ bald aus dem Gleichtakt. Als Folge davon verstärken sich die von ihnen abgegebenen elektromagnetischen Wellen nicht mehr, sondern löschen einander in zunehmendem Maße aus. Deshalb erlischt das Signal, lange bevor die Anregung abgeklungen ist und die Protonen wieder zur Ruhe gekommen sind. Erst dann aber ist eine neue Anregung möglich, was lange Wartezeiten zwischen den Messungen bedingt.
Wiederbelebung des erstorbenen Signals
Man kann die Protonen jedoch, wie schon 1950 Erwin L. Hahn an der Universität von Illinois in Urbana-Champaign erkannte, auch vorher wieder in Gleichtakt bringen, wenn man – zum Beispiel mit einem neuen Hochfrequenzpuls geeigneter Intensität – ihre Rotationsrichtung umkehrt (Spektrum der Wissenschaft 2/1985, S. 62). Dadurch lässt sich das erstorbene Signal bereits nach kurzer Zeit gleichsam als Echo wiederbeleben und für die nächste Messung nutzen. Mansfield entwickelte eine Methode, mehrere solche Echos hintereinander zu erzeugen und dadurch den Abstand zwischen den Messungen drastisch zu verkürzen.
Einen weiteren grundlegenden methodischen Fortschritt in der MRT erreichten schließlich im Jahre 1975 Anil Kumar, Dieter Welti und Richard R. Ernst (Chemie-Nobelpreis 1991) durch die Einführung der Fourier-Transformation. Dies erlaubte eine einfache mathematische Rekonstruktion des Bildes aus den Messdaten, während Lauterbur und Mansfield dafür noch aufwendige Projektionsverfahren brauchten, die sich an die Computertomographie anlehnten und mit rotierenden Gradientenfeldern arbeiteten. Voraussetzung für die Fourier-Transformation war allerdings eine andere Codierung der Ortsinformation, welche die Gruppe um Jim Hutchinson an der Universität Aberdeen 1980 einführte. Sie ist heute unter der leicht saloppen (und schwer erklärbaren) Bezeichnung "spin warp" bekannt.
Unzählige weitere Verbesserungen der MRT folgten – so die Einführung der dreidimensionalen Bildgebung, spezieller Kontrastmittel und paralleler Empfangskanäle. Außerdem ermöglichten technische Fortschritte, die Stärke des Hauptmagnetfeldes erheblich zu steigern. Lag sie beim ersten kommerziellen MR-Tomographen noch bei 0,3 Tesla, erreicht sie bei heutigen Standardgeräten das Zehnfache, und es gibt erste Prototypen für den klinischen Einsatz mit sieben Tesla.
Beide Laureaten sind trotz ihres hohen Alters von 74 bzw. 70 Jahren weiterhin wissenschaftlich aktiv, Lauterbur an der Universität von Illinois, Mansfield an der Universität Nottingham. Auch in jüngster Zeit sah man sie noch auf Fachtagungen vor ihrem Poster stehen und Forschungsergebnisse diskutieren. Man darf gespannt sein, ob sie nach der Verleihung der Nobelpreise noch Zeit für solche Auftritte finden werden.
Die Bedeutung der MRT spiegelt sich auch darin, dass es seit den 1980er Jahren eine ganze Reihe von speziellen Fachzeitschriften für das Gebiet gibt. Auf den Jahrestagungen der Internationalen Gesellschaft für Magnetresonanz in der Medizin treffen sich jährlich Tausende von Ärzten, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern aus aller Welt. Diese interdisziplinäre Stellung ist charakteristisch für die MRT und wird auch darin augenfällig, dass die für sie vergebenen Nobelpreise inzwischen alle drei möglichen Disziplinen abdecken: Physik bei Bloch und Purcell, Chemie bei Ernst und nun Medizin – bei dem Chemiker Lauterbur und dem Physiker Mansfield.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2003, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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