»Allein beim Kind anzusetzen, ist nicht sinnvoll«
Herr Professor Jenni, der Heidelberger Psychotherapeut und ADHS-Spezialist Helmut Bonney erklärte einst in »Gehirn&Geist«: »ADHS ist keine Krankheit.« In Ihrem Buch »Die kindliche Entwicklung verstehen« bestätigen Sie, dass es keinen eindeutigen Test gibt und verschiedene Störungsmodelle für ADHS diskutiert werden. Welchen Sinn macht dann überhaupt eine Aussage wie »Dieses Kind hat ADHS«?
Das kommt sehr auf den Kontext an. Eine Diagnose ist zunächst einmal ein Etikett, das den Betroffenen Zugang zu Hilfe und Unterstützung ermöglicht. Man sollte mit der Diagnose »ADHS« aber umsichtig sein, denn sie birgt sowohl Vor- als auch Nachteile. Ein Vorteil ist, dass die Diagnose für die Familien entlastend sein kann. Bei verzweifelten Eltern und ihren Kindern, die oft auf eine schon länger andauernde Leidensgeschichte zurückblicken, kann sich eine gewisse Erleichterung einstellen, wenn sie den Problemen einen Namen geben können. Und natürlich ist ADHS insofern eine Krankheit, als es sich hier um eine behandlungswürdige Störung handelt. Doch gleichzeitig steht viel mehr dahinter als ein gut definiertes und einheitliches Störungsbild mit klarer Abgrenzung zum Normalen und einer einzigen Ursache. ADHS ähnelt einer Spektrum-Störung und kann vielfältige Hintergründe haben.
Sie sprachen von Vor- und Nachteilen der Diagnose. Wo liegen die größten Gefahren?
Es gibt eine Reihe von Risiken: So kann die Diagnose auf einer Fehleinschätzung beruhen, wenn man etwa Kinder, die nur etwas zu »hibbelig« für ihr Alter erscheinen, zu Unrecht pathologisiert ...
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