Aufmerksamkeitsstörung: Übersehene Mädchen
Es passierte, als ihre Eltern sie beim Naschen erwischten: Plötzlich wurde sie steif, zitterte am ganzen Körper und reagierte nicht mehr auf Ansprache. Danach sank Mia*, 13 Jahre alt, in sich zusammen und weinte heftig. »Hat unsere Tochter Epilepsie?«, fragten die Eltern in der Ambulanz. Doch weder die Anamnese noch die gemessenen Hirnströme gaben einen Hinweis darauf. Schließlich stellte sich heraus: Mia hatte einen dissoziativen Anfall erlitten, ausgelöst durch schwere psychische Belastung.
»Ich habe nichts unter Kontrolle – auch das Naschen nicht«, klagt das Mädchen, von ihren Eltern in meiner Praxis vorgestellt. »Jeden Morgen nehme ich mir fest vor, weniger zu essen. In der Klasse lachen sie mich aus, ›Fetti‹ rufen sie mich.« Die Eltern berichten, dass mehrere Ernährungsberatungen und zwei Reha-Kuren ergebnislos waren. Von klein auf habe Mia ohne Bremse gegessen. Sie habe sogar Geld entwendet, um sich Süßes zu kaufen. Sport gehe gar nicht, besonders beim Schwimmen schäme sie sich, erzählt mir die junge Patientin, die einen BMI von 47 hat. Aus Angst, ausgelacht zu werden, möchte sie das Haus gar nicht mehr verlassen. Freunde habe sie keine mehr.
Zur Schule gehe sie nur noch ungern, immer schweiften ihre Gedanken ab und sie bekomme nichts vom Unterricht mit. »In der Klasse ist es sehr laut«, sagt sie. Zwar sei sie eine gute Schülerin, aber in allem sehr langsam. Zu Hause könne sie besser lernen, doch auch hier starre sie häufig nur in die Luft, werde schnell abgelenkt und unterbreche ihre Aufgaben, wenn sie etwa einen Vogel oder ein Eichhörnchen vor dem Fenster sehe.
* Name von der Redaktion geändert
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