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Unbekannte Tiefsee: Knapp 20 000 neue Unterwasservulkane entdeckt

Satellitendaten enthüllen zahlreiche bisher unbekannte Berge am Meeresboden. Sie beeinflussen Meeresströmungen, Klima und die Evolution von Meerestieren.
Dieses Bild des Vulkans O wurde nicht auf dem Mars oder einem anderen fernen Planeten aufgenommen, sondern im südlichen Pazifikbecken der Erde.
Nur ein winziger Bruchteil der Vulkane im Ozean ragt über die Wasseroberfläche. Die meisten sind in der Tiefe verborgen, und es gibt Zehntausende von ihnen.

Bis heute ist nur etwa ein Viertel des Meeresbodens kartiert. Die restlichen drei Viertel bergen bisher völlig unbekannte Tiefseelandschaften – und womöglich zehntausende Vulkane. Die Zahl der bekannten Schlote hat sich nun nahezu verdoppelt. Mit Hilfe von Satellitendaten identifizierte eine Arbeitsgruppe um Julie Gevorgian insgesamt 19 325 neue Unterwasserberge, die sich mehr als einen Kilometer über die Tiefsee erheben. Die in der Fachzeitschrift »Earth and Space Science« veröffentlichte Sammlung umfasst vor allem kleinere Vulkane unter 2500 Meter Höhe, für deren Entdeckung die bisher verfügbaren Daten nicht exakt genug waren. Die neu gefundenen Berge haben große Bedeutung für etliche Forschungsgebiete, zum Beispiel Meeresströmungen, Evolution und Erdgeschichte. Außerdem rammen immer wieder U-Boote unbekannte Berge.

Das Team um Gevorgian nutzte den Gravitationseffekt der Unterwasserberge. Deren Masse zieht das umgebende Wasser an, so dass an der Oberfläche des Meeres ein kleiner Buckel entsteht. Satelliten messen solche leichten Erhebungen in hoher Auflösung mittels Radar; auf dieser Technik basieren moderne großräumige Karten des Meeresbodens, die Tiefseegräben, Gebirgsrücken und die Ränder der Kontinente zeigen. Solche kleinen Änderungen der Wasseroberfläche allerdings zeichnen sich nur sehr schwach ab und werden vom »Rauschen« zufälliger Schwankungen überdeckt.

Neue, sehr hochauflösende Daten von Erdbeobachtungssatelliten wie CryoSat-2 der Europäischen Weltraumagentur ESA oder das Instrument AltiKa des französisch-indischen Satelliten SARAL konnten dieses Rauschen jedoch stark reduzieren, so dass sich nun auch kleinere Berge ab etwa einem Kilometer Höhe abzeichnen. Die Arbeitsgruppe nutzte Tiefendaten von 739 gut kartierten Unterwasservulkanen, um zu modellieren, wie sich Erhebungen kleiner als zweieinhalb Kilometer Höhe an der Wasseroberfläche bemerkbar machen. Mit diesem Modell analysierte sie dann die Höhendaten der Wasseroberfläche.

Die Vulkane verraten Erdgeschichte und Evolution

Die Tiefseeberge, Seamounts genannt, sind allesamt vulkanischen Ursprungs. Während an Land Hebung, Senkung und Erosion Berge modellieren, spielen diese Effekte am Ozeanboden kaum eine Rolle. Dafür ist der Meeresboden vulkanisch viel aktiver. An den untermeerischen Rücken, den Grenzen zwischen ozeanischen Krustenplatten, steigt permanent Magma auf und bildet sehr viele meist recht kleine Vulkane.

Auch davon entfernt bildet aufsteigendes Magma so genannte Hotspots, an denen Vulkane entstehen, die sich bis zu zehn Kilometer über den Meeresboden erheben können. Während die Erdplatten langsam über solche Hotspots driften, bilden sie ganze Ketten von Tiefseebergen – so zum Beispiel die Emperor Seamounts mit den noch aktiven Hawaii-Inseln an ihrem Ende. Seamount-Kataloge können deswegen Aufschluss über das Verhalten von Hotspots und untermeerischen Rücken über Zeiträume von dutzenden Millionen Jahren geben.

Auch für andere Fragen spielen Unterwasserberge eine große Rolle. So sinkt in den polaren Regionen der Ozeane sehr viel Wasser in die Tiefsee ab – die gleiche Menge muss wieder aufsteigen, doch wo, ist unbekannt. Fachleute vermuten, dass gigantische Wasserwirbel hinter Tiefseebergen Wasser aus den tiefsten Schichten aufwärtstransportieren. Wie groß der Effekt ist, ist jedoch unbekannt und hängt auch von der Zahl der Tiefseeberge ab. Außerdem bergen die Seamounts einzigartige Lebensgemeinschaften mit sehr vielen Arten und hoher Biomasse, die beispielweise für die Fischerei wichtig sind.

Bisher jedoch ist unklar, wie die Ökosysteme der Tiefseeberge zusammenhängen: Bilden sie einsame Inseln im weiten Meer, oder tauschen sie permanent Organismen aus, die von Berg zu Berg hüpfen? Die enorme Zahl der Berge unter Wasser spricht eher dafür, dass sie miteinander verbunden sind und einen gemeinsamen Lebensraum bilden. Nicht zuletzt sollen die an Meerestieren reichen Unterwasserberge in Zukunft besser erforscht und vor menschlichen Einflüssen wie Überfischung geschützt werden – was natürlich viel besser funktioniert, wenn man weiß, wo sie sind. Doch trotz der neuen, besseren Daten sind Fachleute sicher, dass die Höhen und Tiefen des Meeresbodens immer noch sehr viele Geheimnisse bergen. Im Dezember 2022 startete der Satellit SWOT, der die Höhe der Meeresoberfläche auf einige Zentimeter genau kartieren kann. Der Katalog der Unterwasservulkane wird also weitere Mitglieder bekommen.

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