Von seriös bis abgefahren: 7 gute Ideen, um Gravitationswellen zu messen
Die vermeintliche Entdeckung von Gravitationswellen mit dem BICEP2-Experiment hat sich in Staub aufgelöst. Nach enthusiastischen Pressekonferenzen und herzerweichenden Videoclips alternder Gravitationswellenpioniere ist nun die Ernüchterung groß. Doch die Zuversicht muss man noch lange nicht begraben. Neben erdgebundenen Laserinterferometern wie LIGO, dem wohl bekanntesten und hoffnungsträchtigsten Ansatz der Gravitationswellenjäger, gibt es jede Menge alternative Ideen, wie sich die Verformungen der Raumzeit am Ende doch noch dingfest machen lassen könnten. Einige davon sind ernst zu nehmen, andere eher nicht.
Wir stellen vor: sieben Ideen für Gravitationswellendetektoren. Vom historischen Startpunkt in den 1960er Jahren bis in die Zukunft des Jahres 2034. Guido Müller, Physikprofessor an der University of Florida, leitender Forscher bei LIGO und 2011 an einer NASA-Studie zur Zukunft der Gravitationswellenmessung beteiligt, hat uns gesagt, bei welchen Ideen er zuversichtlich ist – und welche ihn eher irritieren.
1. Zylinder zum Schwingen bringen
Die ersten Gravitationswellendetektoren der Welt waren massive Aluminiumzylinder von der Größe einer ausgewachsenen Wildsau und dem Gewicht eines modernen Kleinwagens. An der University of Maryland entwickelte der Elektroingenieur und Physiker Joseph Weber die Idee zur Messung der Wellen, deren Existenz in der Forschergemeinde damals noch äußerst skeptisch betrachtet wurde. Die Aluminiumzylinder sollten – ähnlich wie eine Stimmgabel bei der passenden Tonfrequenz – von Gravitationswellen zum Schwingen gebracht werden. Piezosensoren um ihre Taille konnten Bewegungen von 10-20 Metern messen. Ein Proton ist 100 000-mal dicker. 1969 und 1970 veröffentlichte Weber Messungen simultaner Signale von zwei Detektoren in über 1000 Kilometer Entfernung. Einige Physiker witterten eine Sensation und stellten die Messungen Webers nach. Als sich diese nicht reproduzieren ließen und ein Softwarefehler bei den Auswertungen Webers sich als mögliche Quelle für die Signale entpuppte, brach die Unterstützung in der Fachwelt schnell ein.
Später versuchten Forscher in den Niederlanden und Brasilien mit den kugelförmigen, kryogekühlten Resonatoren MiniGRAIL und "Mário Schenberg" ihr Glück – bislang jedoch ohne Erfolg. MiniGRAIL wurde mittlerweile eingemottet. Weber jedoch hat als "Vater der Gravitationswellenmessung" mit Enthusiasmus und Beharrlichkeit das Feld für alle anderen Gravitationswellenjäger bereitet. Guido Müller setzt nur noch bedingt Hoffnung in das Konzept: "Diese Detektoren sind leider nicht sehr empfindlich und in der Wellenlänge, die sie messen, beschränkt. In Zukunft könnten sie vielleicht dazu dienen, andere Messungen zu ergänzen und abzusichern."
2. Kosmische Zeitgeber abhorchen
Millisekundenpulsare sind rotierende Neutronensterne, die mehrere hundert Mal pro Sekunde ihre Strahlungskegel durchs All schicken – ähnlich wie ein Leuchtturm, nur sehr viel schneller, heller und mit einer enorm stabilen Wiederholungsfrequenz. 200 dieser kosmischen Taktgeber wurden bislang entdeckt. Um ihre hochpräzisen Signale für den Nachweis von Gravitationswellen zu nutzen, beobachten Forscher mit verschiedenen erdgebundenen Radioteleskopen Systeme von mehreren Dutzend Millisekundenpulsaren, so genannte "Pulsar Timing Arrays" (PTAs), und gleichen dann ihre Messungen ab. Gravitationswellen, die beim Verschmelzen zweier supermassereicher Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien entstehen, würden die Raumzeit verbiegen und den gemessenen Ankunftszeiten der Pulsarsignale ein spezifisches Muster im Nano- bis Millihertzbereich aufprägen. So könnte ein indirekter Nachweis gelingen. Es sind große Projekte in Europa, Nordamerika und Australien am Start, ein Konsortium soll sie miteinander vernetzen. "Einige Experten sehen in diesem Konzept eine echte Konkurrenz zu LIGO", sagt Guido Müller. "Ich hoffe, die kommen uns nicht zuvor."
3. Tonnenschwere Metallstäbe verdrehen
Der Physiker Masaki Ando, damals an der Universität von Kyoto, schlug 2010 ein neuartiges mechanisches Konzept zur Messung von Gravitationswellen vor. Zwei Metallstäbe sollten in ihrer Mitte befestigt und über Kreuz aufgehängt werden, so dass die Gezeitenkräfte einer einlaufenden Gravitationswelle sie gegeneinander verdrehen würden. Mit Laserinterferometern müsste sich dann eine Veränderung des Winkels zwischen den Stäben nachweisen lassen. Erste Prototypen entstanden in Laboren in Tokio und Kyoto aus 20 Zentimeter langen Teststäben in gekühlten, kühlschrankgroßen Kästen. Eine rotierende Masse simulierte darin die Schwankung des Gravitationsfelds. Für das endgültige Projekt sind Stäbe von 10 Metern Länge und einem Gewicht von 7,6 Tonnen angedacht. "Masaki und ich kennen uns seit Jahren", sagt Guido Müller. "Wir sitzen zusammen in einigen Komitees. TOBA ist eine schöne Idee. Aber selbst wenn es jemals gebaut wird, sind die Ereignisse, die es messen könnte – die Verschmelzung von Schwarzen Löchern mit 100- bis 1000-facher Sonnenmasse –, sehr selten und die Chancen auf einen Nachweis klein."
4. Atome mit Pinzetten in Gravitationswellen halten
Ein auf Laseroptik basierender Ansatz kommt aus dem Westen der USA. Asimina Arvanitaki von der Stanford University und Andrew Geraci von der University of Nevada in Reno wollen eine "optische Pinzette" verwenden, um darin festgehaltene Minikugeln oder -scheiben als Messkörper für Gravitationswellen zu benutzen. Dazu würden sie eine stehende Lichtwelle in einem aus Spiegeln aufgebauten optischen Resonator erzeugen, die dann Mikropartikel an Ort und Stelle in der Schwebe halten kann. Weitere Laser würden dazu den Mikromesskörpern ihre Bewegungsenergie rauben; nach dem Prinzip der so genannten Laserkühlung. Nun würde eine einlaufende Gravitationswelle die Stellung der Spiegel des optischen Resonators so verändern, dass sich die Position des festgehaltenen Mikropartikels im Resonator minimal verschiebt, was sich wiederum an der Reflexion des Laserlichts aus dem Resonator erkennen ließe. Guido Müller kann sich keinen rechten Reim auf diese Idee machen: "Das Paper hat mich vor allen Dingen verwirrt. Ich bin aber auch kein Experte auf dem Gebiet."
5. Auf Quantentricks hoffen
Nur vier Tage nach der ersten Meldung über den Nachweis von Gravitationswellen mit BICEP2 im März 2014 veröffentlichte Carlos Sabin von der University of Nottingham einen Artikel über eine recht ungewöhnliche Idee zur Messung von Gravitationswellen. Unter dem Titel "Das nächste große Ding: Gravitationswellen am Schreibtisch nachweisen" erläuterte der Forscher auf der australischen Non-Profit-Newsseite "The Conversation", wie er einen Effekt aus der Quantenmechanik dazu nutzen will, die phantomhaften Raumzeit-Riffel zu entblößen. Gravitationswellen, so schreiben Sabin und seine Kollegen in einer wissenschaftlichen Arbeit, könnten ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat – einen besonderen quantenmechanischen Zustand, in dem sich Atome im Kollektiv verhalten – zum Schwingen anregen. Diese Schwingungen, auch Phononen genannt, müssten "prinzipiell messbar" sein, eine praktische Umsetzung wären unter Verwendung neuester quantenmetrologischer Erkenntnisse (die ebenfalls von Sabin und Co. stammen) in technischer Reichweite. Gravitationswellen von Supernovae und Gammastrahlenausbrüchen könnten im Idealfall mit einer um Größenordnungen besseren Empfindlichkeit erfasst werden als mit LIGO, behaupten Sabin und Kollegen. Guido Müller: "Die Idee ist mir bisher unbekannt. Ich habe leider gerade keine Zeit, mir das anzusehen. Verzeihung."
6. Laserstrahlen im Weltall vermessen
Neben bodengebundenen Laserinterferometern wie LIGO in den USA oder GEO600 in Deutschland gilt ein Ansatz zur Messung der Raumzeitschwingungen als besonders viel versprechend: eine Gravitationswellen-Antenne im Weltraum. Unter dem Namen LISA (Laser Interferometer Space Antenna) arbeiteten ESA und NASA gemeinsam an einem System aus drei Raumsonden, zwischen denen Laserstrahlen im Dreieck ausgetauscht werden sollten, während sie der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne folgen. Über eine Entfernung von je fünf Millionen Kilometern sollen so Änderungen des Abstands zwischen den Sonden festgestellt werden, als deren Ursache Gravitationswellen aus der Verschmelzung supermassereicher Schwarzer Löcher in Betracht kommen würden. Leider befand die NASA die Mission 2011 als zu teuer. Sie wird aber unter dem Namen eLISA ("e" für "evolved", also fortentwickelt) von der ESA unter rein europäischer Finanzierung weitergeführt. Mit einer verringerten Ziel-Armlänge von "nur" einer Million Kilometern soll das Projekt 2034 von Sojus-Raketen ins All geschossen werden. Für Guido Müller der "Heilige Gral" seines Forschungsgebiets: "Die meisten verschiedenen detektierbaren Ereignisse, die gewaltigsten Quellen, die beste Messgenauigkeit und der breiteste Frequenzbereich – alles spricht für einen Weltraumdetektor nach dem Schema von LISA."
7. Die komplette Erde als Resonator verwenden
Auch unser Heimatplanet selbst rückte bereits in den Fokus der Gravitationswellenjäger. Schon Pionier Joseph Weber dachte daran, neben seinen Aluminiumzylindern auch die Erde als Ganzes als Resonanzkörper für kosmische Raumzeitschwingungsmuster zu nutzen. Mit einem Netz so genannter gravimetrischer Sensoren, die die Schwerkraft vermessen, ließe sich erkennen, wie sich die Erde unter dem Einfluss von Gravitationswellen verformt. Lieber noch wäre ihm allerdings der Mond gewesen: Dort gibt es weniger Störsignale von Erdbeben, Ozeanen und dem Wetter. Ihm gelang es, sich bei der letzten Apollo-Mission 1972 an Messungen des lokalen Schwerefelds zu beteiligen. Ein Nachweis von Gravitationswellen blieb allerdings aus. Doch die Idee lebt weiter. Zwei Forscher aus Harvard und Florenz berechnen in einer aktuellen Arbeit, wie sich das Netz von Sensoren zur Erdbebenüberwachung in einen Detektor für ein astrophysikalisches Experiment umwandeln ließe. Guido Müller hält den Plan für machbar: "Erst jetzt gibt es genügend Daten über die seismische Aktivität der Erde. Im Prinzip müsste der Ansatz funktionieren."
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