Direkt zum Inhalt

Baumsterben: Alptraum in der Ulmenallee

Bereits im Altertum galt die Ulme als Symbol für Tod und Trauer. Nie war dies aber aktueller als heute - nun mit sterbenden Bäumen in der Hauptrolle. Und sie fördern dabei noch ihr eigenen Untergang.
Sterbende Ulme
Eigentlich stammt die Frau von der Ulme ab – zumindest in der germanischen Schöpfungsgeschichte, wie sie in der Edda-Dichtung beschrieben wird. Demnach formte der Oberste der Götter Odin aus einem Stück Ulmenholz das Weib – den Mann schuf er aus der Esche – und hauchte ihr Leben wie Geist ein. Irdischer ging es in Südfrankreich zu: Dort wurde der Schatten ihres Kronendachs geschätzt und zu ihren Füßen Recht gesprochen. Und ein beliebtes Motiv der Dichtkunst war die Vermählung der Ulme mit dem Rebstock als Zeichen ewiger Treue, ausgehend von den Römern, denn sie nutzten die Schösslinge des Baums als Haltestützen des Weins.

Der Übeltäter | Der Schlauchpilz Ophiostoma novo-ulmi ist der Auslöser der verheerenden Holländischen Ulmenkrankheit, die in Nordamerika und Europa Millionen Ulmen tödlich schädigt.
Es ist nicht viel von diesem Glanz übrig geblieben: Die Ulmen sterben in Europa und in Nordamerika, dahingerafft durch die von Pilzen ausgelöste "Holländische Ulmenkrankheit". Der Bäume Fluch wurde wahrscheinlich bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg nach Europa eingeschleppt und stammt wohl aus Ostasien, doch Genaueres ist dazu bislang noch nicht bekannt. Bald schon breitete sich das Pathogen Ophiostoma ulmi dann rasend schnell aus, wobei ihm Ulmen-Alleen als regelrechte Autobahnen dienten.

Doch bis niederländische Forscher dem Pilz auf die Schliche kamen – deshalb auch der Name "Holländische Ulmenkrankheit" –, hatte die Infektion in exportiertem Furnierholz längst den großen Teich übersprungen und verheerte nun Amerikas Bestände. In diesem unfreiwilligen Krieg mit Biowaffen schlug wiederum Kanada zurück: Ebenfalls mit verarbeiteten Holzprodukten kam Ophiostoma novo-ulmi um 1960 nach Europa zurück.

Der Überträger | Die Sporen des Pathogens werden von Käfern – hier der nordamerikanische Hylurgopinus rufipes – übertragen.
Dieser enge Verwandte des ursprünglichen Schlauchpilzes war und ist jedoch noch deutlich angriffslustiger als sein Vorgänger, der im Laufe der Zeit viel von seiner Aggressivität einbüßte: Innerhalb weniger Jahrzehnte infizierte und raffte der neue Erreger neunzig Prozent aller europäischen Ulmen dahin – allein in Großbritannien betraf es zwanzig Millionen Bäume, und ein Ende ist nicht absehbar.

Bislang wies die Wissenschaft Ophiostoma nur eine einzige – relative – Schwachstelle nach: Um sich überhaupt auszubreiten, benötigt er zumeist die Hilfe von Ulmensplintkäfern wie etwa Scolytus scolytus. Die Insekten übertragen die Sporen des Schädlings, wenn sie sich beim Fressen in das Innere der Gewächse vorarbeiten. In den Gefäßbündeln der Stämme löst der Fungus schließlich Zellwucherungen aus, die bald die Wasserbahnen der Bäume verstopfen: Die Ulmen verdursten.

Die Auslöser | Während des Reifefraßes schleppen die Larven der Käfer die Pathogene in die Gefäßbahnen der Bäume ein, was dort Zellwucherungen auslöst. Diese schnüren den Baum regelrecht ab und lassen ihn verdursten.
Wie allerdings bei einem derart heimtückischen Invasor fast schon zu erwarten, ist die Raffinesse von Ophiostoma mit den trojanischen Käfern lange nicht erschöpft. Denn Wissenschaftler um Geoff McLeod von der kanadischen Simon-Fraser-Universität in Burnaby haben nun entdeckt, dass die Pilze ihre Wirte auch noch dazu "zwingen", ihre Todesboten selbst anzulocken.

Das Pathogen macht es sich dabei zu Nutze, dass viele Pflanzen mittels biochemisch synthetisierter Duftstoffe kommunizieren – etwa um Feinde von Schädlingen anzulocken oder ihre Nachbarn zur Produktion von Abwehrmitteln zu animieren. Auch Ulmen verhalten sich dementsprechend und produzieren zudem Allelochemikalien, um Infektionsherde einzudämmen.

Das Opfer | Innerhalb kürzester Zeit stirbt der Baum. Gegenmittel gibt es bislang nicht, die Hoffnung liegt zur Zeit auf der Züchtung resistenter Bäume. Bis dahin dürfte der Anblick alter Ulmen in der Landschaft zur Seltenheit werden.
Dieser Schuss kann allerdings auch nach hinten losgehen, wie die Forscher anhand von Feld- und Laborstudien herausgefunden haben. Sie fingen die von zermahlten kranken Ulmenholzstücken emittierten Gase auf und setzten sie Käfern der Art Hylurgopinus rufipes vor. Die Kerfe, die in Amerika den Überträger spielen, fühlten sich davon sichtlich angezogen. Im nächsten Schritt wurden daher die einzelnen Bestandteile dieses Duftsignals analysiert, wobei isolierte Fühler der Käfer als Signalgeber fungierten.

Lösten Gasspuren Reaktionen der Biodetektoren aus, so wurden sie mit Gaschromatograf und Massenspektrometer näher bestimmt. Als tierisches Lockmittel entpuppten sich ein Mono- und drei Sesquiterpene, die in Kombination unwiderstehlich für die Insekten sind. Nur Fallen, in denen alle vier Bestandteile in natürlichen Mengen ausgebracht wurden, zogen männliche wie weibliche Hylurgopinus rufipes in Massen an – fehlte bereits einer der von den Forschern synthetisierten Bauteile oder war er überproportioniert, so blieben die Duft-Hinterhalte weit gehend leer.

Und es sind tatsächlich die Bäume, die ihre Übeltäter selbst herbeirufen: Auf Zuckern gezogene Ophiostoma novo-ulmi fertigten keine einzige der Komponenten an. Und Vergleiche zwischen gesunden und absichtlich infizierten Ulmenschösslingen zeigten eindeutig, dass nur die kranken Exemplare den Ausstoß dieser auch Semiochemikalien genannten Lockmittel erhöhen, während sich die Produktion bei unversehrten Ulmen in Grenzen hält. Die Käfer fliegen folglich bevorzugt auf verpilzte Individuen.

Wie genau der Erreger die Produktion der Duftstoffe ankurbelt, ist den Forschern noch unklar – das Desaster wird also weiterhin seinen Lauf nehmen. Zu den heutigen Ulmen passt daher wohl eher ihre Rolle in der griechischen Mythologie: Dort begleiteten ihre geflügelten Früchte den Götterboten Hermes auf seinem Weg, die Seelen von Verstorbenen vor das Weltengericht zu bringen. Heute übernehmen allerdings die Käfer diesen tragischen Part und begleiten die Ulmen ins Jenseits.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.