East India Company: Als ein britischer Weltkonzern über Indien herrschte
Im August 1765 war die Macht des Mogulreichs gebrochen. Von den Truppen der East India Company geschlagen und aus seiner Hauptstadt Delhi vertrieben, sah sich Shah Alam II. gezwungen, der Forderung des britischen Handelshauses nachzugeben. Der Mogulkaiser unterzeichnete den »Vertrag von Allahabad« und übertrug das Steuerprivileg – die so genannten Diwani-Rechte – in den Provinzen Bengalen, Bihar und Orissa an die britische Handelsgesellschaft. Damit ging die Kontrolle über einen riesigen Teil seines Reichs an »die Hohen und Mächtigen, die edelsten der erhabenen Adligen, die Obersten der erlauchten Krieger, unsere treuen Diener und aufrichtigen Glückwünscher, die unserer königlichen Gunst würdig sind, die englische Gesellschaft«, wie es in dem Schriftstück heißt. Im Gegenzug sprach die Londoner Handelsgesellschaft dem machtlosen Kaiser zwei Provinzen in Nordindien zu sowie ein fürstliches Jahreseinkommen.
Die Aushändigung der Diwani-Rechte an Robert Clive (1725–1774), den von der Company eingesetzten Gouverneur von Bengalen und Oberbefehlshaber ihrer Truppen auf dem Subkontinent, markiert den Beginn der britischen Herrschaft über Indien – der Herrschaft britischer Kaufleute wohlgemerkt und keineswegs des Königreichs Großbritannien. »Es war nicht die britische Regierung, die Indien Ende des 18. Jahrhunderts eroberte, sondern ein gefährlich unreguliertes Privatunternehmen, das seinen Sitz in einem kleinen, fünf Fenster breiten Büro in London hatte«, schreibt der Historiker William Dalrymple in seinem 2019 erschienenen Buch »The Anarchy. The Relentless Rise of the East India Company«.
»In diesem Moment hörte die East India Company auf, ein konventionelles, mit Stoffen und Gewürzen handelndes Unternehmen zu sein, und wurde zu etwas weit Ungewöhnlicherem«, fährt Dalrymple fort. »Innerhalb weniger Monate waren die 250 Angestellten des Unternehmens, gestützt auf 20 000 vor Ort rekrutierte indische Soldaten, zu den faktischen Herrschern der reichsten Provinz des Mogulreichs geworden.« Ein internationaler Konzern hatte sich in eine aggressive Kolonialmacht verwandelt.
Händler ohne Skrupel
Die Verwandlung geschah erstaunlich schnell. Mit Hilfe seiner stetig wachsenden Streitmacht – bis 1803 sollte die Privatarmee der Company bereits 260 000 Mann zählen – unterwarf das Handelshaus auch noch fast den gesamten Rest des Subkontinents. Die ersten Eroberungen hatten die kriegerischen Händler bereits 1756 in Bengalen gemacht. Keine fünf Jahrzehnte später reichte ihr Einflussbereich bis in die Mogulhauptstadt Delhi und den Osten Indiens. Eine große Region, die sie von ihrer vergleichsweise bescheidenen Zentrale in der Londoner City aus regierten. »Welche Ehre bleibt uns noch«, fragte ein Mogulbeamter namens Narayan Singh kurz nach der Übergabe der Diwani-Rechte, »wenn wir Befehle von einer Hand voll Händler annehmen müssen, die noch nicht gelernt haben, ihren Hintern zu waschen?«
Alles hatte am 24. September 1599 begonnen. 80 Kaufleute und Abenteurer fanden sich in der Founders' Hall in London zusammen unter dem Namen »Governor and Company of Merchants of London Trading into the East Indies« und richteten eine Petition an Königin Elisabeth I. Sie baten um Erlaubnis, eine Gesellschaft für den Handel mit Ostindien gründen zu dürfen. Im Jahr darauf erhielt die auf 218 Männer angewachsene Company ein königliches Dokument, die ihr die Einrichtung einer damals noch neuen Unternehmensform gestattete: einer Aktiengesellschaft, die auf dem freien Markt handelbare Aktien an eine beliebige Anzahl von Anlegern ausgeben und sich so größere Kapitalbeträge sichern konnte. Darüber hinaus garantierte die Urkunde den Kaufleuten für 15 Jahre das Monopol auf den Handel mit dem Osten und gestattete ihnen ausdrücklich, ihre Interessen in nicht christlichen Ländern nötigenfalls mit Waffengewalt durchzusetzen.
Der ursprüngliche Plan der Anteilseigner war es, mit einem Grundkapital von rund 68 000 Pfund – nach heutiger Kaufkraft wären das etwa sieben Millionen Pfund – den Gewürzhandel mit Südostasien zu kontrollieren. In dieser Sparte dominierte allerdings binnen kürzester Zeit die 1602 gegründete Niederländische Ostindien-Kompanie, die über mehr und besser bewaffnete Schiffe sowie über ein Kapital von rund 550 000 Pfund verfügte. Nach einigen Rückschlägen gab die East India Company auf. Sie tauschte 1667 ihren letzten Außenposten in der Region, die Banda-Insel Run in den Molukken, gegen die Insel Manhattan ein und fasste so Fuß in Amerika – dann suchte sie sich ein neues Geschäftsfeld. »Die Direktoren beschlossen, dass sie keine andere Wahl hatten, als den lukrativen Handel mit den Gewürzinseln den Niederländern zu überlassen und sich stattdessen auf weniger umkämpfte, aber potenziell vielversprechendere Bereiche des Handels mit Asien zu konzentrieren: auf feine Baumwollstoffe, Indigo und [das Textil] Chintz«, erklärt Dalrymple. »Die Quelle aller drei Luxusgüter war Indien.«
Das Reich der Moguln, eine globale Wirtschaftsmacht
Im 17. Jahrhundert erreichte das muslimische Mogulreich, das sich über einen Großteil des Subkontinents bis nach Afghanistan erstreckte, seine volle kulturelle und wirtschaftliche Blüte. Ab 1605 herrschte Jahangir als Großmogul über den reichen Staat, dessen rund hundert Millionen zählende Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt geschätzte 25 bis 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung erbrachte. Zum Vergleich: Der Anteil Englands machte damals weniger als zwei Prozent aus.
Trotz oder gerade wegen ihres legendären Reichtums hatten die seit 1526 herrschenden Mogulkaiser kaum Interesse am Überseehandel entwickelt, sie verfügten nicht einmal über eine nennenswerte Flotte. In diese Bresche sprang die Company, die sich im Lauf des 17. Jahrhunderts erfolgreich als führender Exporteur indischer Luxusgüter in alle Welt etablierte. Dazu errichteten die britischen Kaufleute befestigte Niederlassungen an den Küsten des Subkontinents.
Die Geschäfte liefen gut. Gehandelt wurde unter anderem mit Indigo, Salpeter und Tee, vor allem aber mit Baumwolle und Seide. »Indien erlebte einen beispiellosen Aufschwung, da der Zufluss von Silber [aus den europäischen Kolonien in Amerika] die Nachfrage nach Textilien und anderen Waren ankurbelte«, erklärt der britische Wirtschaftshistoriker Nick Robins vom Grantham Research Institute in London. »Auch die Aktionäre der Kompanie kamen auf ihre Kosten: Die jährlichen Dividenden aus dem von der Company kontrollierten Monopol auf den Handel mit dem Osten betrugen in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts über 25 Prozent«, schreibt Robins in seinem Buch »The Corporation That Changed the World«.
Dank ihres Handelsprivilegs konnte die East India Company die Preise für die indischen Waren bestimmen. Zwar gab es wiederholt Bestrebungen, ihr Monopol zu brechen, jedoch vergeblich. »Alle 20 Jahre wurde Druck ausgeübt, um den Handel für andere Kaufleute und Städte in England zu öffnen, aber die Company verstand es, ihre Unterstützer bei Hofe und im Parlament zu belohnen«, erläutert Robins. 1693 wurde erstmals ruchbar, dass das Unternehmen sich das Wohlwollen der Politiker erkaufte. Eine parlamentarische Untersuchung dieses ersten Lobbyismus-Skandals der britischen Geschichte befand die Company der Bestechung und des Insiderhandels für schuldig, ihr Direktor wurde sogar vorübergehend in den Tower gesperrt. Im Jahr darauf wurden die Privilegien allerdings erneut bestätigt.
Allmählich perfektionierte die East India Company ihr Geschäftsmodell. Mit indischen Baumwollwaren kaufte sie beispielsweise afrikanische Sklaven und verkaufte diese in Amerika für dort abgebautes Gold und Silber. Das Edelmetall setzte man wiederum ein, um in Indien weitere Textilien zu erwerben. »Ein schreckliches Dreieck«, so bezeichnet Robins den Handelskreislauf. Die Einfuhr großer Mengen preiswerter und qualitativ hochwertiger Baumwollprodukte aus Indien stieß bei englischen Textilarbeitern indes auf Widerstand. 1699 stürmten Londons Seidenweber das East India House aus Protest gegen die Billigimporte. Im folgenden Jahr verbot das Parlament die Einfuhr aller gefärbten und bedruckten Stoffe aus dem Osten. Kurzerhand eröffnete sich das Unternehmen neue Geschäftsfelder.
In ganz Indien entstanden Konkurrenzreiche
Die East India Company florierte auch deshalb so rasant, weil das Mogulreich im 18. Jahrhundert in eine Katastrophe steuerte. Als von 1658 bis 1707 der Großmogul Aurangzeb herrschte, zeigte das Reich erste Zerfallserscheinungen. Das lag auch an Aurangzeb, der sich im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger extrem intolerant gab. Der Muslim drängte Hindus aus der Verwaltung und ließ eine Reihe ihrer Tempel zerstören, was wiederum zu Aufständen führte. Dass mit dem hinduistischen Reich der Marathen in Zentralindien ein ernst zu nehmender Rivale um die Herrschaft über den Subkontinent erwachsen war, trug nicht zur Beruhigung der Lage bei. »Nach Aurangzebs Tod geriet das Reich in eine unaufhaltbare Krise«, sagt Marian Füssel, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Göttingen. »Ab den 1720er Jahren entwickelten sich im ganzen Land verschiedene mehr oder weniger von der Mogulhauptstadt Delhi unabhängige Herrschaften.«
Häufige Streitigkeiten um die Thronfolge sowie eine Reihe von schwachen Mogulkaisern verschärften die Reichskrise. »Mit dem Zerfall der zentralen Autorität ergriff jeder Maßnahmen zu seinem eigenen Schutz«, schreibt William Dalrymple. »Indien wurde zu einer dezentralisierten und zersplitterten, aber zutiefst militarisierten Gesellschaft.« Es sollte noch schlimmer kommen: 1739 fiel der persische König Nadir Schah mit 150 000 Mann in Indien ein und schlug die zahlenmäßig um das Zehnfache stärkere Mogularmee. Die Hauptstadt Delhi wurde besetzt und geplündert, Zehntausende ihrer Einwohner massakriert.
Als das persische Heer nach nur drei Monaten wieder abmarschierte, nahm es als Kriegsbeute all die Schätze mit, die das Mogulreich in zwei Jahrhunderten angehäuft hatte. »Mit einem einzigen Schlag hatte Nadir Schah den Bann der Moguln gebrochen«, so Dalrymple. Innerhalb weniger Monate zersplitterte das Mogulreich in mehrere kleinere und anfälligere Nachfolgestaaten. Selbstverständlich war das auch den europäischen Handelsgesellschaften nicht entgangen – insbesondere nicht der East India Company und ihrem Rivalen, der französischen Compagnie des Indes Orientales. Beide begannen ihre Streitkräfte zu verstärken und lokale Infanterietruppen zu rekrutieren.
Sprunghaft, reizbar und schwer zu disziplinieren
Fünf Jahre nach Nadir Schahs Abzug betrat jener Mann erstmals indischen Boden, der dem Land die reichste Provinz rauben sollte: Robert Clive, gerade mal 18 Jahre alt, ein Schulabbrecher und Raufbold aus der englischen Provinz, sprunghaft, reizbar und schwer zu disziplinieren. Der 1725 in den Midlands geborene Sohn einer Familie aus dem besitzlosen Landadel war 1742 in die Dienste der East India Company getreten und als Schreiber nach Madras geschickt worden, wo er nach einer langen und überaus strapaziösen Reise fast zwei Jahre später ankam.
»Er begann schon bald, sich auf seinem Posten als Verwaltungsangestellter im Fort St. George bei Madras zu langweilen«, sagt Historiker Füssel. »Das lag an zu viel Routine und zu wenig Abwechslung in einer engen, streng hierarchisch geordneten Gesellschaft von nur 400 Europäern.« Clive hatte Heimweh, war einsam und schwermütig. »Ich habe keinen einzigen glücklichen Tag erlebt, seit ich mein Heimatland verlassen habe«, schrieb er am Ende seines ersten Auslandjahres in einem Brief an seine Familie. Und noch drei Jahre danach versicherte er, stets nur an »meine geliebte Heimat England« zu denken. In Indien gefiel es ihm nicht, seine Bewohner fand er »träge, genusssüchtig, unverschämt und feige«. Der junge Mann litt womöglich auch unter Depressionen. Angeblich soll er in dieser Zeit mehrmals versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Im persönlichen Umgang war Clive schwierig. Er war aufbrausend und streitlustig, legte sich oft mit Kollegen an, focht einige Duelle, fiel auch seinen Vorgesetzten unangenehm auf.
Erst als der Konflikt zwischen England und Frankreich – als Teil des Österreichischen Erbfolgekriegs – ab 1744 auch in Asien ausgetragen wurde, traten die bis dahin unentdeckten militärischen Talente Clives zu Tage. Er ließ sich als Soldat der East India Company anwerben und zeichnete sich in mehreren Schlachten gegen die Franzosen und mit ihnen verbündete Regionalfürsten aus. »Mit nur 200 Soldaten gelang es ihm etwa, eine Festung 50 Tage lang gegen eine belagernde Armee von 15 000 Mann bis zum Entsatz durch weitere britische Truppen zu halten«, berichtet Füssel. Clive avancierte schnell zum Leutnant und genoss bald den Ruf der Unbesiegbarkeit.
Schwelgen im Luxus
Waren keine Schlachten zu schlagen, widmete sich Clive seinen Aufgaben als Steward im Fort St. George. Weil er auf alle die Garnison erreichenden Waren eine Provision erhielt, häufte er rasch ein Vermögen von 40 000 Pfund an. »Er mietete ein großes Haus, gab rauschende Feste und übte sich in ostentativem Konsum von Luxusgütern«, so Füssel. Clive heiratete die Schwester eines Freundes und kehrte mit ihr 1753 nach England zurück. Dort investierte er sein Vermögen in eine politische Karriere und wurde tatsächlich ins Parlament gewählt. Doch das Geld ging rasch zu Neige. Also nahm der inzwischen 31-Jährige das Angebot der Company an und zog mit seiner Frau erneut nach Indien – als Vizegouverneur der Niederlassung in Madras.
Der Siebenjährige Krieg (1756–1763) fand auch in Indien statt – und der zum Lieutenant-Colonel ernannte Clive bewährte sich wieder gegen die Franzosen und ihre Verbündeten. Seine Sternstunde erlebte er in der Schlacht bei Plassey gegen den letzten eigenständigen Regionalfürsten, den Nawab von Bengalen, Siraj-ud-Daula. Dieser hatte das britische Kalkutta eingenommen und den qualvollen Tod dutzender englischer Gefangener verschuldet.
Clive leitete als Commander-in-Chief ein Expeditionskorps nach Bengalen, mit dem er am 23. Juni 1757 die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen des Inders schlug – und der East India Company die Kontrolle über die reiche Provinz verschaffte. Der von den Briten eingesetzte neue Nawab, Mir Jaffar (1691–1765), hatte sich kaufen lassen und trug zum Sieg der Company bei. Er zahlte seinen neuen Herren anschließend stolze Tribute aus der Schatzkammer seines Vorgängers: Clive erhielt rund 230 000 Pfund, die leitenden Angestellten der Company in Kalkutta erhielten jeweils 27 000 Pfund, die Untergeordneten der Armee je 3000 Pfund und die Navy 400 000 Pfund.
Der neue Nawab gab noch mehr. »Mir Jaffar, von dem Clive immer wieder weitere Zahlungen einforderte, unterbreitete ihm ein großzügiges Angebot: das ›jagir‹, ein persönliches Jahreseinkommen von 27 000 Pfund«, sagt Füssel. Das entsprach exakt der Summe, die der Nawab seinerseits von der Company als jährliche Miete für ihre Ländereien bei Kalkutta bekam. Clive bereicherte sich also de facto auf Kosten der Company. Das Verhältnis zum Arbeitgeber verschlechterte sich rapide, die Clives kehrten 1760 nach England zurück.
Der unaufhaltsame Aufstieg des Robert Clive
Dort wurde der gewinnorientierte Offizier als Held gefeiert. Einen »heaven born general« nannte ihn der spätere Premierminister von Großbritannien, William Pitt, ein Himmelsgeschenk. Auch König George III. (1738–1820) gewährte dem Aufsteiger Audienz. Aus Robert Clive wurde der Baron Clive of Plassey und damit ein Mitglied des irischen House of Lords. 1761 erfolgte auch die Wiederwahl ins britische Unterhaus, dessen Mitglied er bis zu seinem Tod blieb. Seinen Reichtum stellte er nun demonstrativ zur Schau. Er erstand ein Anwesen, kaufte ein Haus im Londoner Nobelviertel sowie Land, auf dem er sich einen Privatzoo einrichtete. Außerdem erwarb Clive mit viel Geld und ohne jeglichen Sinn für die Kunst eine Gemäldesammlung.
Clive ist gleichsam das Urbild des britischen Nabobs – so nannten die Briten abschätzig ihre reich aus Indien zurückgekehrten Landsleute. Unter diesen Neureichen, die immer zahlreicher in London auftauchten, war er der vermögendste. Die vornehme Gesellschaft blickte dennoch auf ihn und seinesgleichen herab. »Er war kein Gentleman«, sagt Füssel. »In den Augen des Adels disqualifizierte er sich durch seine seltsamen Umgangsformen, seinen Kleidungsgeschmack und die schlechte Figur, die er auf der Tanzfläche machte.«
Als auch seine politische Karriere stockte und zugleich Bengalen der Company militärisch zu entgleiten drohte, begab sich Clive 1765 ein drittes Mal nach Indien. Es folgte die Übernahme großer Landesteile samt den Diwani-Rechten. Außerdem trat Clive in Kalkutta die Leitung der dortigen Company-Niederlassung an und reformierte sie – in England war die Handelsgesellschaft wegen Korruption und der brutalen Ausbeutung der indischen Bevölkerung ins Gerede gekommen. »Ironischerweise trat der größte wirtschaftliche Profiteur des britischen Engagements in Indien bei seiner dritten Reise dorthin nun dazu an, die ökonomische Ausbeutung einzudämmen und stattdessen eine stabile Kolonialherrschaft aufzubauen«, schrieb Marian Füssel in einem 2021 erschienenen Aufsatz.
Der mutmaßliche Held geriet in eine Krise
Diesmal blieb Clive allerdings nicht lange in Indien. Seit Jahren schon peinigte ihn eine Magenkrankheit. Gegen die Schmerzen nahm er Opium und wurde mit der Zeit süchtig danach. Auch unter Depressionen litt er wieder. Die endgültige Rückkehr nach England 1767 und der Kauf weiterer Ländereien änderten daran nichts. Zumal in London neuer Ärger drohte.
Ab 1768 durchlebte Bengalen eine Reihe von Dürrejahren, die mehrmals zu Ernteausfällen und zu einer extremen Hungersnot führten. Bis 1773 waren etwa zehn Millionen Menschen gestorben, also etwa ein Drittel der Provinzbevölkerung. Doch anstatt Hilfsmaßnahmen zu organisieren, ihre Speicher zu öffnen und Lebensmittel zu verteilen, wie es die Gouverneure der Moguln bei Hungerkatastrophen getan hatten, ließ die Company weiterhin erbarmungslos Steuern eintreiben. Viele ihrer Beamten und Händler nutzten die Situation überdies aus, raubten den Bauern das Getreide, um es in den Städten zu überhöhten Preisen zu verkaufen. Whistleblower packten aus, Londoner Zeitungen berichteten. Anfang der 1770er Jahre erschienen zahlreiche kritische Artikel über die East India Company. Auch der einst als »Clive of India« gefeierte Mann wurde nun als »monster mogul« scharf kritisiert und zum Teil diffamiert. »Er wird als drogensüchtiges, geldgieriges und sexbesessenes Monster beschrieben«, erklärt Historiker Füssel.
Während der Hungersnot war Clive persönlich zwar nicht mehr in Bengalen gewesen, trotzdem sollte der »Held von Plassey« offenbar als Sündenbock für die zahlreichen Verfehlungen der Company herhalten. Zumal nun die Aktienkurse des Unternehmens fielen. Die Company musste sich von der britischen Regierung eine Million Pfund leihen, um zahlungsfähig zu bleiben. Zweimal, 1772 und 1773, musste sich Clive vor dem Parlament für sein gesamtes Wirken in Indien verantworten. Es drohte ihm der völlige Verlust von Ansehen und Vermögen. Beide Male konnte er sich vor seinen Anklägern behaupten und wurde schließlich von allen Vorwürfen freigesprochen. Seines Lebens wurde er aber nicht mehr froh.
Das Ende der East India Company
Am 22. November 1774 schied Robert Clive aus dem Leben, von eigener Hand, wie es hieß. Der Eroberer Bengalens habe »sein Vermögen durch solche Verbrechen erworben, dass ihn das schlechte Gewissen dazu trieb, sich selbst die Kehle durchzuschneiden«, meinte der Schriftsteller Samuel Johnson (1709–1784). Ob sich Clive tatsächlich das Leben nahm, ist jedoch ungewiss. »Die genauen Umstände seines Todes – Erklärungen reichen von einer Überdosis über Suizid bis Mord – sind bis heute ungeklärt, da seine Familie alles tat, ihn ohne die üblichen medizinischen und juristischen Verfahren in Windeseile und in aller Stille zu beerdigen«, schildert Marian Füssel.
Nachdem die East India Company in den 1770er Jahren derart massiv in die öffentliche Kritik geraten war, kam das Geschäftshaus teilweise unter parlamentarische Aufsicht. Allerdings fanden sich auch unter den Parlamentsmitgliedern immer mehr Aktionäre der Company – ihnen war natürlich persönlich am Wohlergehen des Unternehmens gelegen. Dieses erschloss sich einstweilen im fernen Indien bereits neue Einnahmequellen.
»Als Tee die indischen Textilien als profitabelstes Produkt ablöste, suchte die Company nach Wegen, auch den Handel mit China zu dominieren«, so Nick Robins. China ebenfalls zu erobern, war nicht möglich, vor allem wäre es zu teuer gekommen. Um möglichst Kosten sparend Handel zu treiben, ließ die East India Company in Bengalen Opium anbauen und erzwang dessen Export gegen den ausdrücklichen Willen der dortigen Regierung nach China. Mit den Erlösen aus dem Rauschgifthandel kaufte das Unternehmen Tee. »Bis 1828 deckte der Opiumverkauf in China den gesamten Jahresbedarf der Company an Tee«, schreibt Robins.
Genau drei Jahrzehnte später verlor das Handelshaus die Verwaltungshoheit über den Subkontinent an die britische Regierung. Indien wurde zur Kronkolonie. 1874 schließlich wurde der erste multinationale Konzern der Weltgeschichte komplett aufgelöst.
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