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Fortpflanzung: Altmännerstatistiken

Lebensdauer und Fortpflanzung des Menschen hängen eng zusammen: Letzteres klappt logischerweise besser, wenn Erstere schön lang ist. Mehr Zusammenhänge führen allerdings bald in die Grenzregionen von Logik und theoretischer Leistung - zum Beispiel auf der Suche nach Gründen dafür, dass alte Männer mit jungen Frauen das Leben von Großmüttern verlängern.
Auch ältere Männer pflanzen sich gelegentlich fort
Shripad Tuljapurkar fordert Gleichberechtigung. Lange genug seien die Herren der Schöpfung gegenüber den Damen vernachlässigt worden. Dabei wären es doch gerade die laufend übergangenen Männer, die in Geschlechterfragen über unser aller Zukunft entscheiden: Nur wegen der Männer können alle Frauen länger leben, als sie vielleicht eigentlich sollten, findet der Evolutionsforscher mit seinem Team heraus. Mathematisch hat er sogar recht, aber dazu später.

Tuljapurkar forscht an der Stanford-Universität und arbeitet mit seinem Team an einer mysteriösen Fragestellung, die Evolutionforscher schon seit Jahrzehnten plagt, weil sich die verworrene Wirklichkeit dabei wieder einmal partout nicht an die eleganten Vorhersagen der Wissenschaftstheoretiker hält. Zuerst hatte wohl schon in den 1960er Jahren ein Herr namens Hamilton den Widerspruch untersucht: Ältere Frauen, um es einmal in der technokratischen Sprache der durchökonomisierten Evolutionseffizienz-Apologeten auszudrücken, ältere Frauen also, die keine Kinder mehr bekommen können, dürfte es eigentlich nicht geben – ihr Lebenszweck, die Vermehrung, sei schließlich erfüllt oder nicht mehr erreichbar. Sie sind demnach letztlich eine Verschwendung wertvoller Ressourcen.

Zur Ehrenrettung der Forscher sei gesagt, dass auch sie natürlich schon immer den Grund für den Widerspruch nicht in der Natur, sondern in einem Makel ihrer unterkomplexen Theorie suchten. Erklärungen für die reale Existenz von Omas fanden auch sie genug, ohne dafür gleich sentimental werden zu müssen: Sie könnten sich zum Beispiel deswegen für Homo sapiens insgesamt rechnen, weil ältere und erfahrene Frauen auch dann noch wertvolle Hüter und Lehrer der Kinder sind, wenn sie selbst keine mehr bekommen. Insgesamt ergeben eine Reihe von mathematischen Modellsimulationen und Korrelationen recht eindeutig, dass sich die "Gesamtfitness" von Menschengruppen durch Großmütter eher erhöht.

Das wird bestimmt viele beruhigen, die auf Großmütter nicht verzichten wollen. Nicht aber Tuljapurkar und Konsorten, denn trotz allem bleibt eine Beobachtung von Hamilton unwiderlegt, die sich aus seiner alten Analyse von demografischen Daten und theoretischen Erwägungen tatsächlich recht zwingend ergibt.

Eine martialische Mauer der Statistik

Ausgangspunkt dieser Überlegung sind zwei Typen hypothetischer, im Prinzip vererbbarer Mutationen in einem nicht geschlechtspezifischen Chromosom, die beide aber die Überlebenswahrscheinlichkeit des Individuums drastisch reduzieren, sobald sie durchschlagen. Modell-Mutation eins des Gedankenspiels tritt dabei typischerweise in Lebensaltern vor der Menopause einer Frau auf (Variante "früh sterben"), Mutationsart zwei dagegen erst danach (Variante "später sterben"). Logischerweise würden beide Mutationsformen dann aber im Laufe der Zeit deutlich unterschiedlich oft in die nächste Generation übertragen – die erste Mutation sorgt ja dafür, dass ihre Trägerin viel seltener Kinder bekommt, weil sie häufiger früher tot ist. Variante Zwei dagegen wird fast immer weitergegeben, weil sie ja oft erst nach dem Ende der Fortpflanzungsperiode zum Tode führt.

In der Konsequenz sollte dies nach einigen Generationen ungebremster Evolution zu einem Phänomen führen, dass die Modellbiologen im englischen Sprachgebrauch unbedingt "Wand des Todes" nennen mussten: Nach der Menopause sollte, bedingt durch die unselektierte Häufung von im Alter durchschlagenden Mutationen, die Todeswahrscheinlichkeit steil – sehr steil – ansteigen. Genau das aber passiert im wahren Leben nicht, die Überlebenswahrscheinlichkeit sinkt vielmehr nur sanft und stetig statt steil und sprunghaft vom mittleren bis hohen Alter. Die Realität ignoriert eben die Theorie. Warum nur?

Tuljapurkar und Kollegen haben alles nun erneut durchgerechnet – nur streng gleichberechtigt. Denn wo Hamiltons Rechnungen ausschließlich die Überlebenswahrscheinlichkeit von Frauen eingehen ließ, erstellten die Stanforder nun ein deutlich realistischeres Zwei-Geschlechter-Modell [1].

Alte Frau | Wendet man die Effizienzgedanken zu konsequent an und lässt soziologische Faktoren beiseite, dann sollte die Evolution eigentlich auf Dauer keine älteren Frauen dulden: Im Gegensatz zu Männern pflanzen sie sich nicht mehr fort. Das sorgt als Sekundäreffekt im Laufe der Zeit dafür, dass Mutationen, die im Alter einsetzten, in immer mehr alten Menschen von Generation zu Generation gehäuft nach dem durchschnittlichen Menopausealter wirken – was die Überlebensrate ab diesem Zeitpunkt eigentlich steil sinken lassen müsste. In der Realität passiert dies nicht, offenbar weil auch genug alte Männer Langlebigkeitsgene in den Gesamtgenpool streuen. Ginge es streng nach den Effizienzregeln Ältere Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können, dürfte es strengenommen nicht geben – ihr Lebenszweck, die Vermehrung, sei schließlich erfüllt oder nicht mehr erreichbar. Sie sind demnach letztlich eine Verschwendung wertvoller Ressourcen.
Zur Legitimation untermauerten sie es zunächst mit Daten zur männlichen Fortpflanzungsbiologie und -realität: In vielen menschlichen Populationen zeugen schließlich, so bezeugen die Daten der Forscher, Männer auch mit 55 bis 70 Jahren durchaus noch Nachwuchs. Dies habe gerade in ursprünglichen menschlichen Wildbeuter-Gemeinschaften einen großen Einfluss auf das zu erwartende Durchschnittsalter der gesamten Population. In dem Alter, in dem Frauen keine Kinder mehr bekommen, produzierten die Männer sie vielleicht sogar häufiger: Über die langen frühen Jahrtausende der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung war hohes Lebensalter mit einem gehobenen sozialer Status und einer damit verbundenen größeren Vaterschaftswahrscheinlichkeit verknüpft, vermuten die Evolutionsbiologen. Ältere Männer aber geben eine mögliche Veranlagung zur Langlebigkeit natürlich auch an weiblichen Nachwuchs weiter – und kompensieren damit das erwartet traurige, vermeintlich mutationshäufungsbedingte Frühableben aller Sippschaftsnachkommen inklusive der Frauen.

Im mathematischen Modell von Tuljapurkars Team bewährt sich diese Ansicht jedenfalls gut – rechnet man die Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit des Mannes ein, so ist in der Überlebenskurve von der zuvor bedrohlich ragenden "Wand des Todes" nach dem Menopause-Durchschnittsalter nichts mehr zu erkennen. Die theoretische Kurve ähnelt ganz im Gegenteil schon fast erschreckend gut der tatsächlichen, anhand von realen Lebens- und Sterbedaten erstellten Verteilung – ein schöner Erfolg auf dem Weg, die Theorien zur Erklärung der Welt an die Welt anzupassen.

Undiziplinierte Fortpflanzung

Arbeitslos dürften die Forscher deswegen nicht werden: Die Realität arbeitet nachweislich schon am nächsten Konflikt, wie aus Daten zum Thema von Martin Fieder und Susanne Huber von der Universität Wien abzulesen ist. Die Forscher beschäftigten sich mit langen Statistiken zum Thema Alter und Partnerwahl. Solche Erhebungen können die Überlegungen von Tuljapurkars Team durchaus stützen – gerade in ursprünglicheren Gemeinschaften, so ergaben einige Datenreihen längst, tendieren immer ältere Männer tatsächlich zu immer jüngeren Frauen.

Dieser Trend aber hält in der Moderne nicht, wie das bedenkliche Resultat von Fiedlers und Hubers Analyse zum Verpaarungsverhalten von rund 10 000 Schweden aussagt: Männer, so die unbestechliche Wahrheit, hatten ihre größten Fortpflanzungserfolge mit einer gerade mal 5,92 Jahre jüngeren Durchschnittsfrau, Frauen den ihren mit einem 3,97 Jahre älteren Modellmann [2]. Daraus könnte nun geschlussfolgert werden, dass der optimale Fortpflanzungserfolg unmöglich ist – die idealen Vorstellungen differieren schließlich um gut 23 Monate. Pessimisten könnten daraus außerdem doch auf lange Sicht eine Gefahr für die Großmütter ableiten – so groß ist der Altersunterschied von Paaren in modernen Gesellschaften offenbar nicht mehr, als dass die alten Männer mit den jungen Dingern die mutationsbedingte Gefährdung der Omas kompensieren. Wie gut, dass Statistik auch dann nur Statistik ist, wenn die Zahlen durchaus real sind.

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