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IceCube: Wir waren absolut isoliert, in völliger Dunkelheit und extremer Kälte

Die Winterpause auf der Amundsen-Scott-Südpolstation geht vorüber und die letzten Arbeiten am Neutrinoobservatorium IceCube kommen allmählich in Gang. In einigen Wochen werden rund 250 Forscher auf der Station sein. Für Ralf Auer und Emanuel Jacobi heißt es dagegen Abschied nehmen - 13 Monate in der Antarktis liegen hinter ihnen. Von Februar bis November kümmerten sich die beiden als einzige Wissenschaftler vor Ort um das Experiment. Über den harten Winter im ewigen Eis, die Jagd nach Neutrinos und das Essen am Südpol sprachen sie nun mit spektrumdirekt.
Emanuel Jacobi
spektrumdirekt: Sie haben über ein Jahr lang am Südpol gelebt. Was hat Sie dorthin gezogen?

Ralf Auer | Die vergangenen 13 Monate verbrachte Ralf Auer am Südpol. Im antarktischen Winter kümmerte er sich mit seinem Kollegen Emanuel Jacobi um das Neutrinoobservatorium IceCube.
Ralf Auer: Überwintern am Südpol ist etwas ganz Besonderes. Es ist eine physische, psychische und soziale Herausforderung, was aber gerade auch den Reiz ausmacht. Man lebt in einer riesigen Eiswüste, die eine einmalige, wunderschöne Landschaft ist. Während des Winters hatten wir einen imposanten Sternenhimmel und spektakuläre Polarlichter, das war ein außergewöhnliches Erlebnis.

Während des antarktischen Winters waren Sie beide allein für den reibungslosen Betrieb von IceCube verantwortlich. Wie sah ein typischer Tag bei Ihnen aus?

Emanuel Jacobi: Als "WinterOver" für IceCube war unsere primäre Aufgabe, den Detektor am Laufen zu halten. Dazu gehört das Administrieren der Rechnerfarm, die die Rohdaten prozessiert, das Überwachen der Datennahme und das Archivieren der Daten. Außerdem sind wir die "verlängerte Hand" für die Wissenschaftler im Norden. Neben täglichen Kontroll- und Routineaufgaben mussten wir zu jeder Tag- und Nachtzeit auf Probleme mit dem Detektor reagieren. Dabei musste man oftmals improvisieren. Schließlich konnten wir beispielsweise nicht mal eben schnell ein Ersatzteil bestellen.

Der antarktische Winter ist praktisch eine einzige lange Nacht. Wie sind Sie damit umgegangen?

Rund um die Station | Die Amundsen-Scott-Südpolstation liegt nur einige 100 Meter vom geografischen Südpol entfernt. Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen kommen für ihre Forschungen hierher. Im antarktischen Winter wohnen nur rund 50 Leute auf der Station – bei Außentemperaturen von bis zu minus 75 Grad Celsius.
Ralf Auer: Ja, die Sonne geht am Südpol nur einmal im Jahr auf und ist im Winter für sechs Monate unter dem Horizont. Nach knapp drei Wochen Dämmerung bleibt es für etwa fünf Monate dunkel. In den ersten Wochen nach Sonnenuntergang braucht der Körper etwas Gewöhnungszeit, bis sich die innere Uhr eingependelt hat. Auf der Station gibt es aber ein relativ großes Freizeitangebot wie Sprachkurse, Vorträge, eine gut ausgerüstete Sporthalle, eine Sauna und noch vieles mehr, um sich die Zeit zu vertreiben – das hilft auf jeden Fall die Dunkelheit zu ertragen.

Und wie ist es um das Essen im ewigen Eis bestellt?

Emanuel Jacobi: Das Essen dort unten war unerwartet gut. Allerdings hatten wir nach Ende der Sommersaison keine frischen Lebensmittel mehr, mit der Ausnahme von ein wenig Salat und anderem Gemüse aus unserem Gewächshaus. Schließlich kommen während des antarktischen Winters – also von Februar bis Oktober – keine Flugzeuge an den Südpol. Man ist von der Außenwelt abgeschnitten.

Welches Ereignis ist Ihnen in diesem Jahr besonders im Gedächtnis geblieben?

Ralf Auer: Es gab eine Vielzahl von Ereignissen, die uns im Gedächtnis bleiben werden. Beispielsweise befindet sich der IceCube-Kontrollraum etwa einen Kilometer von der Station entfernt. Und es war eine außergewöhnliche Erfahrung, den mit Flaggen markierten Weg über Schnee und Eis dorthin in völliger Dunkelheit zu gehen.

Emanuel Jacobi | Zusammen mit Ralf Auer hielt Emanuel Jacobi als "WinterOver" die Stellung am Südpol.
Emanuel Jacobi: Ganz sicher nicht vergessen werden wir die Polarlichter. Und auch das Eintreffen des ersten Flugzeuges nach acht Monaten war ein ganz besonderer Moment.

Was fasziniert Sie am Projekt IceCube?

Ralf Auer: Als Wissenschaftler fasziniert uns das Forschungsgebiet der Astroteilchenphysik und die Möglichkeit, an diesem spannenden Experiment mitzuwirken. Die Konstruktion und der Standort im ewigen Eis sind einzigartig.
Können Sie kurz erläutern, wie IceCube funktioniert?

Ralf Auer: IceCube ist ein Neutrinoobservatorium, das Neutrinoreaktionen indirekt über so genanntes Tscherenkow-Licht detektiert. Im Eis befindet sich in bis zu 2500 Meter Tiefe ein ein Quadratkilometer großes Array aus Fotosensoren, das sensitiv genug ist, um aus diesem Licht die Richtung und Energie der Neutrinos zu rekonstruieren. Und das gibt uns Aufschluss über extragalaktische Objekte. IceCube beobachtet die nördliche Hemisphäre und benutzt dabei die Erde als Filter.

Was unterscheidet IceCube von anderen Neutrinodetektoren?

Der Detektor von IceCube | Neutrinos können die Erde ungehindert durchdringen, weshalb Wissenschaftler unseren Planeten als Filter benutzen. Der Nachweis der Teilchen gelingt nur, wenn ein Neutrino auf seiner Reise durch die Erde mit einem Atomkern zusammenstößt. Der Atomkern bricht auseinander und aus dem Neutrino entsteht ein Myon, das ein schwaches blaues Licht – die sogenannte Tscherenkow-Strahlung – aussendet. Nach diesem Licht fahnden die Wissenschaftler bei IceCube. Die Sensoren des Detektors erstrecken sich von 1450 bis 2450 Meter in die Tiefe und überspannen einen Bereich von einem Quadratkilometer. Zum Vergleich ist der Eifelturm eingezeichnet.
Emanuel Jacobi: Im Gegensatz zu den meisten anderen Neutrinodetektoren ist IceCube in einem sehr großen Energiebereich sensitiv. Daher gibt es ein großes Potenzial, Entdeckungen zu machen.

Nach über fünf Jahren Bauzeit soll der Detektor im Dezember dieses Jahres fertig gestellt werden. Was bedeutet das für das Projekt?

Ralf Auer: Seitdem der erste Sensor im Eis versenkt wurde – das war im Januar 2005 – nimmt IceCube Daten bereits auf. Der Detektor ist also kontinuierlich gewachsen. Inzwischen haben wir knapp 5000 Sensoren im Eis. Da der Detektor schon jetzt zu über 90 Prozent fertig ist, wird sich für die Analyse der Daten nur wenig ändern. Mit jedem zusätzlichem Sensor erhöht sich aber die Auflösung. Außerdem ist die Fertigstellung des Projekts unter den besonderen Bedingungen am Südpol und im angesetzten Zeit- und Budgetrahmen ein großer Erfolg.

Das Experiment soll dann für mindestens zehn Jahre laufen. Was hoffen Sie, in dieser Zeit mit IceCube zu entdecken?

Emanuel Jacobi: IceCube öffnet ein neues Fenster zu extragalaktischer Astronomie und Astrophysik. Primär sucht IceCube nach Punktquellen kosmischer Neutrinos, aber es gibt eine Reihe von weiteren Analysen, wie die Suche nach Dunkler Materie, magnetischen Monopolen und vielem mehr.

Gibt es schon jetzt erste wissenschaftliche Ergebnisse?

Einbau der Sensoren | Im Januar 2005 wurde der erste Sensor im Eis versenkt. Seitdem ist der Detektor kontinuierlich gewachsen. Inzwischen befinden sich knapp 5000 Sensoren im Eis.
Ralf Auer: Ja, durchaus. Mit IceCube konnten wir beispielsweise die Anisotropie von geladenen kosmischen Strahlen mit Energien im Teraelektronenvoltbereich zeigen und mehr über das Spektrum und die Zusammensetzung der höchstenergetischen kosmischen Strahlung erfahren. Außerdem haben wir mit IceCube neue Ausschlussgrenzen für verschiedene Modelle, beispielsweise für Dunkle Materie, magnetische Monopole und Quantengravitation, bestimmt.
Würden Sie es noch einmal tun – in der Antarktis überwintern?

Emanuel Jacobi: Nun ja. Wir haben den Winter in einer Gruppe von 47 Leuten verbracht und waren vollkommen isoliert, die meiste Zeit in völliger Dunkelheit und das alles bei extremer Kälte und einer Luftfeuchtigkeit von nahe null Prozent. Ob wir wiederkommen würden? Natürlich, es war eine tolle Zeit.

Ralf Auer: Ja, wir können uns sehr gut vorstellen zurückzukehren.

Herr Auer, Herr Jacobi, vielen Dank für das Gespräch.

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