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Antimaterie: Anti-Elektronen in der Galaxis

Beobachtungen des Satellit Integral zeigen merkwürdig ungleich verteilte Antimaterie-Spuren inmitten unserer Galaxie. Sind Röntgendoppelsterne die Quelle des Phänomens?
Positronenverteilung
Alles hat zwei Seiten – auch die Materie: So existiert zu jedem Elementarteilchen ein Antiteilchen mit derselben Masse, aber der entgegengesetzten elektrischen Ladung. Zwar haben die Astronomen bisher nirgendwo im Weltall die in der Science-Fiction-Literatur viel beschworene Antimaterie entdeckt, wohl aber einen ihrer Bausteine: das Gegenstück zum Elektron, das sogenannte Positron.

Beim Nachweis der Positronen kommt den Wissenschaftlern gleichsam ein Knalleffekt zu Hilfe: Wenn ein Antiteilchen auf sein Gegenstück der normalen Materie trifft, löschen sich beide gegenseitig aus. Die bei diesem Annihilation genannten Prozess in Form von Gammastrahlung freigesetzte Energie entspricht der Masse des Teilchen-Antiteilchen-Paares. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Annihilation von Elektron und Positron in zwei Gammaquanten der charakteristischen Energie von 511 000 Elektronenvolt.

Die Existenz von Positronen in den zentralen Regionen unserer Galaxis wurde bereits vor etwa 30 Jahren entdeckt. Detektoren für Gammastrahlung, von Ballons an den oberen Rand der Erdatmosphäre getragen, registrierten die charakteristische Strahlung bei 511 Kiloelektronenvolt aus der ungefähren Richtung des galaktischen Zentrums. Der Ursprung der Positronen blieb jedoch rätselhaft und wird seither lebhaft diskutiert.

Verteilung von Positronen und Röntgendoppelsternen | Die Karte (oben) zeigt den gesamten Himmel im Licht der 511-Kiloelektronvolt-Strahlung; in der Mitte das Zentrum der Milchstraße. Die Strahlung aus der westlichen galaktischen Scheibe ist deutlich heller als die aus der östlichen. Ein sehr ähnliches Bild ergibt die Verteilung der massearmen Röntgendoppelsterne (unten). Forscher schließen daraus auf einen Zusammenhang von Sternen und Strahlung.
Einer der Theorien zufolge entstammen die Positronen dem Zerfall von radioaktiven Kernen, die in großer Zahl in stellaren Explosionen, den Supernovae entstehen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem radioaktiven Cobalt-Isotop 56Co mit einer Halbwertszeit von etwa 77 Tagen zu. Es ist jedoch noch umstritten, ob die bei dessen Zerfall erzeugten Positronen in ausreichender Anzahl die Überreste des explodierten Sterns verlassen können, um die beobachtete Verteilung der 511-Kiloelektronenvolt-Strahlung zu erklären. Ein anderes wichtiges radioaktives Isotop ist 26Al (Aluminium) mit einer Halbwertszeit von etwa einer Million Jahren, das vor allem von massereichen Sternen erzeugt wird. Doch auf das Konto von 26Al gehen nach neuesten Messungen nur etwa ein Viertel der in unserer Galaxis beobachteten Positronen.

Deshalb haben einige Theoretiker vorgeschlagen, die Positronen entstünden bei der Annihilation oder dem radioaktiven Zerfall von Teilchen der rätselhaften dunklen Materie. Sie sollte sich sphärisch um das Zentrum unserer Galaxis sammeln und würde damit auf einfache Weise erklären, warum die Positronen vor allem in dieser Region beobachtet werden.

Jetzt haben die Wissenschaftler mit Integral den entscheidenden Hinweis gefunden, dass auch die sphärisch verteilte dunkle Materie nicht die Hauptquelle der Positronen sein kann: Westlich der zentralen Region unserer Galaxis wurde etwa doppelt so starke 511-Kiloelektronenvolt-Strahlung entlang der galaktischen Scheibe beobachtet wie östlich davon. Eine solch ungleiche Verteilung erscheint sehr überraschend, weil in der inneren Galaxis sowohl Gas als auch Sterne relativ gleichmäßig verteilt sind.

Interessanterweise zeigen aber die bisher mit Integral im Licht der harten, hochenergetischen Röntgenstrahlung gefundenen sogenannten massearmen Röntgendoppelsterne eine ähnlich ungleiche Verteilung wie die charakteristische 511-Kiloelektronenvolt-Strahlung. "Diese Übereinstimmung legt die Vermutung nahe, dass diese Röntgendoppelsterne für einen wesentlichen Anteil der Positronen in unserer Galaxis sorgen – sowohl in der Zentralregion als auch in der Scheibe", sagt Georg Weidenspointner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.

"Röntgendoppelsterne könnten für einen wesentlichen Anteil der Positronen sorgen"
(Georg Weidenspointner)
Ein massearmer Röntgendoppelstern ist ein System, in dem ein sonnenähnlicher Stern und ein kompaktes stellares Objekt – etwa ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch – einander in relativ geringem Abstand umkreisen. Die Gravitation des kompakten Objekts ist dabei so stark, dass es Gas von seinem Begleiterstern absaugt. Das Gas stürzt jedoch nicht direkt auf das kompakte Objekt, sondern umkreist es zunächst in einer Akkretionsscheibe. Dabei erhitzt sich das Gas durch innere Reibung derart stark, dass es im harten Röntgenlicht hell aufleuchtet. Bei diesem Prozess kann die Intensität der Strahlung so hoch werden, dass aus der Energie zweier Lichtteilchen ein Elektron-Positron-Paar entsteht – der umgekehrte Prozess der Annihilation von Elektron und Positron.

"Einfache Abschätzungen zeigen, dass die Positronen in unserer Galaxis mindestens zur Hälfte von massearmen Röntgendoppelsternen erzeugt werden", sagt Georg Weidenspointner. Die andere Hälfte könnte durch einen ähnlichen Prozess der Massenakkretion vom supermassiven schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxis stammen oder aus Sternexplosionen in der zentralen Region.

Integral ist für absehbare Zeit das einzige Observatorium, mit dem sich sowohl die charakteristische 511-Kiloelektronenvolt-Strahlung als auch die massearmen Röntgendoppelsterne beobachten lassen. In den kommenden Jahren werden Weidenspointner und seine Kollegen versuchen, ihre Ergebnisse zu erhärten und zu verfeinern.

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