Atomuhren: Atomares Ticken
Frequenzen gehören zum Präzisesten, was Ingenieure heute messen können. Und die zuverlässigsten Signale, die Natur und Technik zu bieten haben, ist die elektromagnetische Strahlung, die ein gebundenes Elektron absorbiert oder emittiert, wenn es von einem Energieniveau auf ein anderes springt. Daher nutzen Physiker diese Schwingungen seit 1967 zur Definition der Zeit: Demnach beträgt eine Sekunde genau das "9 192 631 770-Fache der Periodendauer, der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Zäsiumnuklids mit der Ordnungszahl 133 entsprechenden Strahlung". Diese Schwingung von etwas über neun Milliarden Hertz (Gigahertz) entspricht einer Mikrowellenstrahlung, die etwa vier Mal schneller oszilliert als die eines typischen Haushaltsmikrowellenherds.
Die derzeit genauesten Zeitmesser sind Zäsium-Fontänen- oder -Springbrunnen-Atomuhren. Sie geben präzise den Takt an in der Informations- und Kommunikationstechnik, in der Energieversorgung, für Abstimmungsprozesse in der Industrie oder bei der Satellitennavigation, etwa beim europäischen Navigationssystem Galileo oder dem amerikanischen Pendant GPS. Empfänger messen die Laufzeiten der Signale und errechnen daraus auf einige Meter genau den eigenen Standort. Ohne die kontinuierliche Synchronisation mit den Atomuhren an Bord der Satelliten würden diese wegen relativistischer Effekte aber schnell falsche Werte angeben.
Das Ticken der Uhr
Wegen des perfekten Timings ist es den Wissenschaftlern heute sogar möglich zu zeigen, dass die Erde ihrer Zeit hinterherhinkt: Die astronomisch errechnete Sekunde eines mittleren Sonnentages ist im Mittel etwas länger als die "Atomsekunde". Seit dem Jahr 1958 bis heute hat sich deswegen eine Zeitdifferenz von 34 Sekunden angehäuft. Damit aber auch in einigen Millionen Jahren Weihnachten oder Silvester noch im Winter gefeiert werden können, muss dem Kalender immer mal wieder eine so genannte Schaltsekunde spendiert werden. Vor gut einem Jahr war es wieder soweit: In der Nacht zum 1. Juli 2012 folgte auf 01:59:59 mitteleuropäischer Sommerzeit die Schaltsekunde mit der Bezeichnung 01:59:60 und dann erst 02:00:00. Unbemerkt genossen wir damals also eine Art überlange Sommernacht. In diesem Jahr benötigen wir voraussichtlich keine Schaltsekunde, verkündet die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Zusammen mit 70 weiteren Instituten sorgen ihre vier Atomuhren für die 1972 eingeführte koordinierte Weltzeit UTC (Coordinated Universal Time), die das Bureau International des Poids et Mesures in Paris als Internationale Atomzeit (TAI) und Referenzzeit festlegt. Und seit 1991 liefert die Braunschweiger Zäsiumuhr CS2 das Zeitnormal für die Funkuhren in Deutschland, das auch im Internet abrufbar ist.
Zur exakten Messung der Zeit schleudert ein Laser in der Cäsium-Springbrunnen-Atomuhr thermisch stark gekühlte Atome auf eine ballistische Flugbahn. Die durchfliegen zwei Mal ein Mikrowellenfeld: einmal auf ihrem Weg nach oben, ein zweites Mal auf ihrem Rückweg, wenn sie aufgrund der Schwerkraft wieder nach unten fallen. Bei einer ganz bestimmten Frequenz absorbieren die Atome besonders viel Energie. Mittels einer Regelschleife wird diese Resonanz verwendet, um einen Mikrowellenoszillator stabil zu halten. Dieses Signal definiert dann das "Ticken" der Uhr. Die nur etwa einen Zentimeter pro Sekunde langsamen Atome halten sich relativ lange im Mikrowellenfeld auf. Das erhöht die Präzision. Die besten Zäsiumatomuhren erreichen heute eine Genauigkeit von 3 x 10-16. Das bedeutet, dass sie noch in gut 100 Millionen Jahren auf die Sekunde genau gehen.
Doch viel genauer können die Zäsium-Springbrunnen nicht mehr werden: Stöße zwischen den Atomen während des Parabelfluges verschieben die atomare Resonanzfrequenz, und das limitiert deren Ganggenauigkeit. Auch wenn diese Präzision für den Hausgebrauch allemal ausreicht, vielen Wissenschaftlern ist das nicht genug. Deswegen planen sie, anstelle von Mikrowellen künftig sichtbares Licht zur Messung der Zeit zu nutzen. Dessen Frequenzen ist einige zehntausend Mal höher, was eine entsprechend höhere Genauigkeit verspricht.
Strontium ersetzt Zäsium
Für die Absorption von Lichtwellen ist Strontium aber besser geeignet als Zäsium. Deswegen konstruierte eine Arbeitsgruppe um Jérôme Lodewyck vom Observatoire de Paris nun aus elektrisch neutralen Strontiumatomen eine neue Art von Atomuhr. Die Wissenschaftler schleudern die Atome auch nicht mehr in die Höhe, sondern fesseln mehrere Tausend von ihnen in einem optischen Gitter aus gekreuzten Laserstrahlen. Dadurch erzielen die Wissenschaftler eine deutlich bessere Statistik, als wenn sie jeweils nur wenige Atome messen, wie bei Zäsiumatomuhren üblich.
Ytterbium – noch eine Alternative
Für die neuen, optischen Atomuhren eignen sich chemische Elemente wie Aluminium, Quecksilber, Kalzium, Strontium oder gar Ytterbium besser als Zäsium. Ein Vorteil optischer Atomuhren ist, dass Messungen an zum Teil vielen tausend Atomen gleichzeitig durchgeführt werden können. Das erhöht nicht nur deren Präzision, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der diese erreicht werden kann. So benötigen heute gebräuchliche Zäsium-Springbrunnen-Atomuhren oft mehrere Tage, um ihre optimale Genauigkeit zu erreichen. Diese Zeit ist nötig, um mögliche statistische Schwankungen herauszumitteln. Die neuen Strontiumuhren brauchen dafür immerhin noch fünfzehn Minuten bis zu einigen Stunden. Nun hat eine Arbeitsgruppe um Nathan Hinkley von der Colorado Universität in Boulder, USA, eine optische Atomuhr auf Basis von Ytterbiumatomen konstruiert, die schon nach gut einer Sekunde die Genauigkeit von Zäsium-Springbrunnen-Atomuhren erzielt. Innerhalb von sieben Stunden kommt sie sogar auf eine Genauigkeit von 1,6 x 10-18. Das ist noch einmal um rund einen Faktor zehn besser als die der neuen Strontiumatomuhren von Jérôme Lodewyck. Hinkleys Uhr "tickt" dabei rund 519 Billionen Mal in der Sekunde.
Dass sich das Erdalkalimetall Strontium für Atomuhren eignet, hatte bereits eine Arbeitsgruppe um Masao Takamoto von der Universität Tokio um 2005 gezeigt. Sie kühlten die Atome auf eine Temperatur von etwa zwei Millikelvin. Die Frequenz der von Takamoto benutzten Übergangsstrahlung betrug über 429 Terahertz (429 Billionen Schwingungen pro Sekunde). Die Sekunde wäre damit auf bis zu achtzehn Stellen hinter dem Komma exakt bestimmbar, was einer Verbesserung der Genauigkeit um den Faktor Tausend gegenüber Zäsiumatomuhren entspräche.
Aus unterschiedlichen technischen Gründen erreichen die optischen Atomuhren aber noch nicht die Genauigkeit von Zäsiumatomuhren. Eine Herausforderung ist beispielsweise, die hohe Frequenz des Lasers auf elektronisch zählbare Zahlen herunter zu brechen. Denn auf elektronischem Wege können optische Schwingungen nicht so einfach gezählt werden wie Mikrowellenschwingungen – die heute verfügbare Elektronik "tickt" einfach zu langsam. Deswegen greifen die Forscher zu einem Trick: sie nutzen einen sogenannten Frequenzkammgenerator. Dieses Instrument wurde 1998 in der Arbeitsgruppe von Theodor W. Hänsch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik bei Garching erfunden, der dafür im Jahr 2005 den Nobelpreis für Physik erhielt.
Herzstück des Instruments ist ein Laser. Der besitzt mehrere scharfe Linien, was seinen Namen erklärt. Der Laser interferiert nun mit dem zu vermessenden Lichtstrahl. Beide bilden daraufhin ein charakteristisches Hell-Dunkel-Muster. Deren Minima und Maxima liegen im Radiofrequenzbereich. Die Berge und Täler lassen sich daher elektronisch auszählen. Die Physiker können nun auf die höhere Periodenzahl hochrechnen und so Schwingungen bestimmen, die fünf Größenordnungen höher liegen als die von Mikrowellen.
Nie gekannte Präzision
Diese Technik ermöglicht es den Forschern, ihre Uhren mit Zäsiumatomuhr zu vergleichen und zu prüfen, ob ihre neuen Chronografen richtig "ticken". So gelang es kürzlich beispielsweise Ingenieuren der Physikalisch-Technische Bundesanstalt mit einem transportablen Frequenzkamm, die Frequenz einer optischen Atomuhr vom JILA Institute der University of Colorado in Boulder, die auf spinpolarisierten Strontiumatomen basiert, auf 429 228 004 229 874 ± 1 Hertz zu bestimmen. Und die Arbeitsgruppe um Jérôme Lodewyck vom Paris Observatorium hat nun noch eine weitere Hürde auf den Weg zu einer verlässlichen optischen Atomuhr genommen: sein Team konnte zeigen, dass zwei ihrer Uhren genau gleich gehen – zumindest mit einer Messgenauigkeit, die durch eine herkömmliche Zäsiumatomuhr vorgegeben wurde.
Mit derart akkurat gehenden Zeitmessern wollen Forscher künftig Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie sowie der Quantenelektrodynamik mit bislang ungekannter Präzision prüfen. Darüber hinaus wollen Astronomen diese Atomuhren nutzen, um die Rotationsgeschwindigkeit von Neutronensternen oder Pulsaren exakt zu vermessen. Ferner ließe sich mit solch ultrapräzisen Chronometern nachweisen, ob einige der viel beschworenen physikalischen Naturkonstanten sich eventuell doch über die Zeit ändern – zumindest sagen das einige Theorien voraus. Im Mittelpunkt des Interesses steht insbesondere die so genannte Feinstrukturkonstante α: Sie bestimmt unter anderem die Stärke der abstoßenden oder anziehenden Kräfte zwischen elektrisch geladenen Teilchen. Einige Wissenschaftler vermuten, dass sie sich im Laufe der Entstehung des Universums möglicherweise verändert habe, was die Entwicklung des Weltalls in einem neuen Licht erscheinen ließe.
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