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Epidemiologie: Auf den Hund kommen

Neue Seuchen für die Menschheit kommen nie aus dem nirgendwo, sondern haben stets Vorläufermodelle. Diese können zur echten Gefahr werden, wenn wir ihnen permanent zu nahe kommen - und wenn sie sich uns plötzlich und zufällig zu gut anpassen. Letzteres ist offenbar entscheidend.
Von Zeit zu Zeit lernen wir immer mal wieder Abkürzungen besser kennen als wir wollen – zum Beispiel "Sars", "HIV" oder "H5N1", die Namen scheinbar aus dem Nichts kommender, urplötzlich aber sehr bedrohlicher Krankheitserreger. Die Viren hinter diesen Abkürzungen sind dabei oft alles andere als neu: Eine Art Aids-Erreger hat wohl schon lange vor der ersten großen HIV-Angst der 1980er Jahre sein Unwesen getrieben – allerdings fernab der Öffentlichkeit in den Affen dichter afrikanischer Wälder. Das Sars-Virus hatte vor seinem Auftritt Anfang dieses Jahrtausends das Aufmerksamkeitsradar der Öffentlichkeit unbeachtet wohl in einer Schleichkatzen-Spezies unterflogen – als einer der ungezählten Krankheitserreger eben, in einer der vielen exotischen nicht menschlichen Erdbewohner. Und H5N1 war schon recht bekannt dafür gewesen, unter Geflügel gründlich aufzuräumen – seinen Siegeszug durch die Schlagzeilen begann naturgemäß erst, als schlagartig Menschen daran erkrankten und starben.

Was hinter der tückischen Plötzlichkeit steckt, die immer wieder für Menschen lange als harmlos geltende Viren zu einer potenziell tödlichen und globalen Bedrohung macht, ist bislang nur theoretisch geklärt, nicht aber praktisch wirklich nachvollzogen und dokumentiert. Eine Rolle spielt sicher der Mensch selbst: In der globalisierten Welt des Handels und Reisens, des Eindringens in bis dato unerschlossene Gebiete werden geografische Barrieren nieder gerissen, die einer Ausbreitung exotischer Krankheiten immer einen Riegel vorgeschoben hatten. Das aber Schleichkatzen- oder Affen-Viren plötzlich auch Homo sapiens infizieren, ist allein damit allerdings nur teilweise zu erklären.

Offenbar, so spekulieren Wissenschaftler, kann ein für eine Art ansteckender Erreger durch erstaunlich geringfügige Umbauten zu einer tödlichen Bedrohung anderer Spezies werden – falls diese Umbauten durch einen unglücklichen Zufall an ganz entscheidender Stelle erfolgen. Solche sensiblen Bereichen könnten beispielsweise die äußeren Abtastinstrumente eines Virus sein, mit dem er an der Oberfläche seiner Ziel-Zelle in Mensch, Affe oder Katze herumfingert, um sie zu identifizieren und schließlich in sie einzudringen.

Derlei klingt plausibel – ist allerdings meist nicht viel mehr als eine schlüssige Theorie. Bewiesen werden könnte sie nur dann, wenn Wissenschaftler dreierlei gelänge: Der Nachweis einer bestimmten Mutation zu einem bestimmten Zeitpunkt, die den Invasionsmechanismus des Virus tatsächlich so umkrempelt, dass er bei anderer Spezifität funktionsfähig bleibt. Nur alles gemeinsam erzeugt dann einen Selektionsdruck, der Viren des neuen Typs reüssieren lässt: Dann, wenn der zufällig neu erschlossene Wirt häufig genug mit dem neuen Virus in engen, infektionsförderlichen Kontakt kommt – und womöglich sogar unter seinesgleichen Viren austauscht und sich damit untereinander ansteckt.

Alex McCarthy und seine Kollegen von der Universität Leeds präsentieren nun erstmals einen Fall, bei dem sich Mutationsereignisse, Wirtswechsel und tatsächliche Epidemieereignisse zu einem nachvollziehbaren Gesamtbild zusammenfügen lassen. Sie beschäftigten sich dabei mit der wechselhaften und gut untersuchten Geschichte eines Virus aus der Gruppe der Morbilliviren: dem Erreger der Hundestaupe oder CDV (canine distemper virus), einem Verwandten des menschlichen Masernvirus.

Das Virus macht befallene Hunde meist fiebrig und abgespannt, zieht aber auch nicht selten kaum Symptome nach sich. Infizierte Tiere geben den Erreger aber weiter; sie gelten deshalb als ernsthafte Bedrohung für eine Vielzahl von Wildtieren, seit in den vergangenen Jahren immer wieder einmal Löwen, Hyänen, Schwarzfuß-Iltisse, Schleichkatzen und sogar Panda- und Waschbären nach Kontakt mit dem Hundevirus erkrankten und starben. Ein prominentes endgültiges Opfer von CDV dürfte auch der Tasmanische Tiger sein, dessen Restbeständen das Virus wohl Anfang des 20. Jahrhunderts den Rest gegeben hat, wie einige Forscher vermuten. Wie und wodurch schafft es CDV, sich immer wieder an fremde Organismen anzupassen?

Das simple RNA-Virus besitzt einen einzelnen Erbgutstrang, in dem gerade einmal die Bauanleitung für sechs Proteine steckt. Entscheidend für die Wirtsspezifität dürften die Glykoproteine Hämagglutinin (H) und Fusion (F) sein, die zusammen die Hülle bilden: Das Eiweiß H bindet an einen oder mehrere Rezeptoren der Zellen und aktiviert F, welches dann gewebespezifische Proteasen rekrutiert und mit deren Hilfe einen Weg ins Zellinnere bahnt. Mit besonderem Augenmerk auf Mutationen in den Bauanleitungen dieser beiden Proteine untersuchte McCarthys Team nun die RNA-Sequenzen von 73 unterschiedlichen CD-Viren aus den acht Stämmen, die den Erreger weltweit vertreten. Alle Proben waren dabei zu unterschiedlichen Zeiten aus den verschiedensten Tierarten isoliert worden.

Am Ende der Auswertungen blieb kein Zweifel: Ein Wirtswechsel auf neue Arten war für CDV nur dann möglich, wenn an der Position 530 des H-Proteins ein Aminosäuretausch erfolgte – und somit die Bindung des Glykoproteins an andere Zelloberflächenmoleküle beeinflusst worden ist. Dieser Austausch unterlag dann stets einer starken positiven Selektion – Viren mit veränderter Kennung breiteten sich in den neuen Wirten, aus denen sie ja anlässlich einer Seuche isoliert worden waren, eben stark aus; geänderte genetischen Signaturen und epidemiologischen Befunde der artfremden Staupeseuche passen mithin perfekt zueinander.

So oder so ähnlich wie am Beispiel CDV läuft das immer, meinen McCarthy und Co: Ganz analog dürften Sequenzänderungen in wesentlichen Erkennungsregionen auch immer wieder dazu geführt haben, dass Lentiviren (zu diesen RNA-Viren gehören HIV und die Affenvariante SIV) für andere Arten gefährlich wurden. Das alles seien nun, je nach Blickrichtung, gute oder schlechte Nachrichten für die globalisierte Menschheit, schließen die Wissenschaftler: Die kaum umkehrbare Globalisierung der Virengefahren sei nun nachweislich als alleiniger Grund für zunehmende Seuchen entlastet – zusätzlich müsse immer auch eine recht spezifische, funktionale Anpassung das Virus erfolgen.

Beunruhigend bleibt, dass diese den Viren offenbar immer wieder einmal gelingt. Damit geschieht nachweislich tatsächlich eben das, vor dem die am Vogelgrippevirus H5N1 forschenden Kollegen seit einiger Zeit warnen. Einen genauen Blick sollten die Wissenschaftler in diesem Fall insbesondere auf zwei Aminosäuren im Hämagglutinin-Rezeptor werfen – erkennt das Virus mit einer veränderten Variante plötzlich nicht mehr die Vogel-, sondern die menschliche Spielart einer bestimmten Sialinsäure-Oberflächenstruktur, dann könnte es bald sehr schnell gehen mit einer fatalen Vogelgrippeseuche, warnen McCarthy und Kollegen – die bei CDV nachgewiesenermaßen schnelle, nur aus Sicht des Virus "positive" Selektion dieser Variante könnte dafür sorgen.

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