Direkt zum Inhalt

News: Aus dem Konzept gebracht

Ob nun Mensch oder Maus, Mücke oder Elefant - das Leben auf der Erde geht in seiner ganzen Vielfalt auf nur wenige, vor einigen Milliarden Jahren entstandene Zellen zurück. Doch was stellte die Weichen für derart tiefgreifende Veränderungen im Bauplan der Lebewesen? Forscher entdeckten nun die erste genetische Triebfeder für "sprunghafte" Evolutionsvorgänge: Vor 400 Millionen Jahren zwangen Mutationen in bestimmten Erbanlagen offenbar krebsähnliche Vorfahren zu einer radikalen Körperumgestaltung, indem sie die Ausbildung von Beinen am Hinterleib unterdrückten.
Aus den ersten Zellen entwickelte sich im Laufe der Milliarden Jahre eine scheinbar unendliche Vielfalt von komplexen Organismen. Doch noch immer sind sich die Wissenschaftler uneinig, ob es neben dem als Mikroevolution bezeichneten Prozess – einem Wandel auf der niedrigsten Stufe wie beispielsweise der Körperfarbe – auch Veränderungen im großen Maßstab gegeben hat.

Bislang gestaltete es sich äußerst schwierig, eindeutiges Beweismaterial für eine derartige Makroevolution zu finden, bei der eine Lebensform aus einer anderen hervorgeht. Aber nun wurden Matthew Ronshaugen und seine Kollegen von der University of California in San Diego in der Erbsubstanz der Taufliege Drosophila und dem Salinenkrebs Artemia fündig.

Ihr Augenmerk richteten die Forscher dabei auf eine Klasse von Regulationsgenen namens Hox, die bei allen Lebewesen vorkommen. Als eine Art Hauptschalter befinden sie während der Embryonalentwicklung darüber, welche Erbanlagen an- beziehungsweise abzuschalten sind. Doch dieser Prozess hängt offenbar entscheidend von der chemischen Architektur des jeweiligen Regulationsgens ab: Ist das Hox-Gen Ubx nur geringfügig verändert, so setzt es bestimmte Erbanlagen außer Kraft und unterdrückt auf diese Weise bei der Taufliege zu 100 Prozent die Ausbildung von Beinen in der Brustregion, bei dem Krebs allerdings nur zu 15 Prozent.

Derartig modifizierte Gene und die von ihnen codierten Proteine könnten bei den krebsähnlichen Urahnen von Artemia, die noch über Beine an jedem Körpersegment verfügten, letztlich zum Verlust der Hinterbeine geführt haben. Und aus dieser erzwungenen Umgestaltung des Körperkonzeptes haben sich möglicherweise vor 400 Millionen Jahren langsam die sechsbeinigen Insekten herauskristallisiert, spekulieren die Wissenschaftler.

Diese Forschungsergebnisse sind ein Meilenstein in der Evolutionsbiologie, denn sie liefern den ersten Hinweis, wie neue Lebensformen durch einfache genetische Veränderungen entstanden sein mögen. Bislang schlossen die Gegner der Makroevolution einen derartigen Mechanismus aus, da Tiere über einen zweifachen Chromosomensatz verfügen und somit beide Erbanlagen in einem einzigen Organismus mutiert vorliegen müssten, um tiefgreifende Veränderungen zu erreichen – ein höchst unwahrscheinliches Ereignis. Doch in dem speziellen Fall handelt es sich um eine dominante Mutation, die schon als einzige Kopie große Sprünge im Körperbau auszulösen vermag, wie McGinnis aus dem Forscherteam betont.

Nun erhoffen sich die Forscher weitere Aufschlüsse darüber, wie andere Regulationsgene, die in erst kürzlich abgelaufene Evolutionsprozesse verwickelt sind, Änderungen in der Körpergestalt hervorgerufen haben. Und nicht zuletzt könnten Wissenschaftler einen Einblick gewinnen, wie verwandte Hox-Gene mit ähnlicher Struktur in vielen verschiedenen Lebewesen wirken. Da eine ganze Reihe dieser Erbanlagen zur Entstehung von Krebs und genetischen Anomalien wie Syndaktylie (angeborener Verwachsung von Fingern oder Zehen) und Polydaktylie (Mehrfingerigkeit) beitragen, trägt ihre Erforschung möglicherweise zu einem besseren Verständnis der krankhaften Veränderungen bei.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.