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Nobelpreise 2005: Bäumchen, wechsle dich

Der Nobelpreis für Chemie geht 2005 nach Frankreich und in die USA - und zwar für einen Reaktionsmechanismus, der außerhalb von Expertenkreisen wenig bekannt sein dürfte: die Metathese. Doch die Entdeckungen von Yves Chauvin, Robert Grubbs und Richard Schrock sind heute in der chemischen Industrie nicht mehr wegzudenken.
Metathese
Als Friedrich Wöhler im Jahre 1828 aus Ammoniumcyanat Harnstoff synthetisierte, ahnte er vermutlich noch nicht, dass er den Grundbaustein für einen gigantischen Industriezweig gelegt hatte. Klar war dem 28-jährigen Heidelberger Professor allerdings, dass er eine bis dahin geltende Annahme als Unsinn widerlegt hatte: Organische Moleküle benötigen eben keine "Lebenskraft" zu ihrer Erzeugung. Die Wöhler'sche Harnstoffsynthese gilt daher als eine Geburtsstunde der organischen Chemie.

Yves Chauvin, Robert Grubbs, Richard Schrock | Die Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 2005: Yves Chauvin, Robert Grubbs und Richard Schrock
Heute prägen die Erzeugnisse der chemischen Industrie unser Leben: Ob Plastik, Benzin oder Medikamente – ohne organische Chemie läuft nichts. Dabei ist die Grundlage ganz einfach: Kohlenstoff hat die Eigenschaft, mit sich selbst stabile Verbindungen einzugehen und kann daher lange Ketten oder Ringstrukturen bilden. Zusammen mit Wasserstoff und anderen Elementen wie Sauerstoff, Stickstoff oder den Halogenen ergeben sich somit beliebig viele Kombinationsmöglichkeiten, von denen die Natur nur zu einem Bruchteil Gebrauch macht.

In der Vielzahl liegt jedoch auch die Crux. Denn die chemischen Bastler müssen ihre Reaktionen so gezielt steuern können, dass das gewünschte Produkt in ausreichender Menge entsteht. Dazu brauchen sie die "Lebenskraft" der organischen Chemie: Katalysatoren – also Verbindungen, welche die Reaktion beschleunigen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Doch welcher Katalysator ist der richtige?

Metathese | Bei der Metathese tauschen zwei Alkene ihre funktionellen Gruppen aus.
Oft hilft hier der Zufall weiter. So beobachteten Petrochemiker in den 1950er Jahren, dass sich Moleküle mit Kohlenstoff-Doppelbindungen – die früher Olefine genannt wurden, heute aber auf den Namen Alkene hören – umlagern, sobald sie mit metallhaltigen Verbindungen zusammengebracht werden. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn Doppelbindungen galten in der Chemiker-Gemeinde als so stabil, dass eine Spaltung und Neuordnung unter moderaten Bedingungen schwer vorstellbar war. Doch "das entstandene Polymer sah so aus, als ob jemand mit einer Schere Cyclopenten geöffnet und dann wieder geschickt zusammengenäht hätte", erinnert sich Herbert Eleuterio, der damals beim US-Chemiekonzern DuPont arbeitete.

Was dabei passierte, wussten die Industriechemiker nicht. In ihrer Verlegenheit nannten sie den rätelhaften Prozess "Olefin-Metathese" – nach dem griechischen Wort metathesis für Umstellung. Vereinfacht ausgedrückt findet Metathese statt, wenn zwei Substanzen Molekülteile untereinander austauschen:
AB + CD –> AC + CD

Die Entdeckung der Metathese führte zu zahlreichen Patenten in der chemischen Industrie, doch der zu Grunde liegende Mechanismus blieb weiterhin rätselhaft. Vergeblich versuchten vor allem US-amerikanische Chemiker, das Geheimnis zu ergründen. Denn nur wer den Reaktionsmechanismus kennt, kann ihn optimieren und so die Ausbeute – und damit den wirtschaftlichen Profit – steigern.

Tanz der Metathese | Der Tanz der Metathese: Nach Yves Chauvins Hypothese "tanzt" ein Katalysator (schwarz) zunächst mit einem Reaktionspartner, bildet dann einen Viererring, um anschließend den Reaktionspartner auszutauschen.
Die Lösung kam aus Frankreich. 1971 publizierten Yves Chauvin und sein Doktorand Louis Hérisson vom Französischen Institut für Erdölforschung in Rueil-Malmaison, wie sie sich den Tanz der Moleküle vorstellten: Als Tanzlehrer dient ein Metall-Carben – eine Metallverbindung, die über eine Doppelbindung mit einer funktionellen Gruppe verknüpft ist. Der Katalysator spaltet die Doppelbindung eines Alkens und bildet mit ihm einen Ring. Dieser Ring wird sofort wieder aufgetrennt – allerdings so, dass das Metall seine funktionelle Gruppe an das sich lösende Alken abgibt und dafür dessen funktionelle Gruppe übernimmt.

Chauvin-Mechanismus | Der Chauvin-Mechanismus erklärt die Metathese: Eine Metall-Carben-Verbindung bildet mit Alkenen einen Ring und tauscht so die funktionellen Gruppen der Alkene aus.
Jetzt kommt das zweite Alken ins Spiel. Wieder bildet sich mit der Metallverbindung ein Ring, der erneut geöffnet wird – unter Austausch der funktionellen Gruppen. Damit schließt sich der Kreis: Zwei funktionelle Gruppen haben ihren Platz gewechselt, der Katalysator steht unverbraucht für einen zweiten Zyklus zur Verfügung.

Jetzt, nachdem das Geheimnis gelüftet war, stand eigentlich der Entwicklung effektiver Katalysatoren nichts mehr im Wege. Doch bis dahin sollten noch fast zwanzig Jahre vergehen. Im Jahr 1990 präsentierte endlich Richard Schrock vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge die ersten einsatzfähigen Katalysatoren für die Metathese. Er probierte verschiedene Metalle, wie Tantal, Wolfram und Molybdän, durch. Molybdän erwies sich schließlich als am effektivsten: Die Reaktionsausbeute war hoch, störende Nebenreaktionen traten kaum auf. Damit war der Weg frei für einen großindustriellen Einsatz.

Schrock- und Grubbs-Katalysatoren | Während Schrock-Kataylsatoren Molybdän als Metall enthalten (links), basieren Grubbs-Katalysatoren auf Ruthenium.
Doch die "Schrock-Katalysatoren" zeigten sich immer noch als ausgesprochene Sensibelchen – Feuchtigkeit und Luft mögen sie gar nicht; die Reaktion muss in organischen Lösungsmitteln stattfinden. Robert Grubbs vom California Institute of Technology in Pasadena konnte zwei Jahre später weiterhelfen: "Grubbs-Katalysatoren" basieren auf Ruthenium, einem der seltesten chemischen Elemente der Erde. Das Metall hatte zwar schon zuvor seine Eignung als Reaktionsbeschleuniger demonstriert, doch erst Grubbs gelang es, die Ruthenium-Verbindungen so zu optimieren, dass sie maßgeschneidert einsetzbar wurden. Und das Beste: Sie funktionieren auch in Wasser und an der Luft.

Mit der Entwicklung der Metathese haben die drei Laureaten einen Grundstein für die wichtigsten Reaktionen der organischen Chemie gelegt. Durch die von ihnen entwickelten Katalysatoren verlaufen viele Herstellungsprozesse in der chemischen und pharmazeutischen Industrie einfacher, schneller und auch umweltfreundlicher ab, da weniger schädliche Abfälle entstehen.

Die Geehrten reagierten übrigens unterschiedlich auf die mit 10 Millionen Schwedischen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotierte Auszeichnung. Während sich der 63-jährige Robert Grubbs und sein drei Jahre jüngerer Kollege Richard Schrock begeistert zeigten, blieb der 74-jährige Yves Chauvin eher zurückhaltend: "Mir ist dieser Preis ausgesprochen peinlich. Meine Entdeckungen sind schon 40 Jahre alt, und ich bin ein alter Mann."

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