News: Beatles statt Beethoven
Die einmal ausgeprägten Neigungen müssen jedoch nicht unveränderlich festgeschrieben bleiben. Giovanni Frisoni vom National Centre for Research and Care of Alzheimers Disease in Brescia beschreibt zwei Fälle, bei denen Altersdemenz zu einer drastischen Veränderung des Musikgeschmacks führten (Neurology vom 26. Dezember 2000).
Ein 68-jähriger Rechtsanwalt wurde mit zunehmenden Alter apathisch, verlor das Interesse an seiner Arbeit, sein Urteils-, Sprach- und Denkvermögen ging zurück. Zwei Jahre nach der Diagnose begann der ehemalige Liebhaber klassischer Musik sich die Platten einer italienischen Popgruppe anzuhören. Vorher hatte er Popmusik als "reinen Lärm" völlig abgelehnt.
Eine 73-jährige Hausfrau litt ebenfalls unter Apathie und Desinteresse. Hier verging nur ein Jahr, bis sie ein gänzlich neues Faible für Musik entwickelte: Plötzlich interessierte sie sich für die gleichen Popgruppen wie ihre elfjährige Enkelin.
"Unsere Patienten entwickelten eine neue Einstellung zu einer Musikart, die sie früher ablehnten", erzählt Frisoni. Er betont jedoch, dass der Hang zur lauten Popmusik nicht als typisch für Altersdemenz angesehen werden kann. Bei Alzheimerpatienten traten diese Geschmacksveränderungen überhaupt nicht auf. Frisonis Patienten litten dagegen unter Schädigungen des Frontal- und Temporallappens des Gehirns. Vielleicht könnte sich dadurch die Wahrnehmung musikalischer Eigenschaften wie Tonhöhe, Klang und Rhythmus verändern, spekuliert er. Oder die Hirnschäden verändern die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen: "Für Menschen über 60 ist Popmusik neu. Ältere Studien zeigen, dass Neuheiten vom rechten Frontallappen des Gehirns verarbeitet werden, und eine Dominanz des rechten über den linken Frontallappen könnte zu einer Suche nach Neuheiten führen." Eine naheliegende Schlussfolgerung lässt der Wissenschaftler jedoch ausdrücklich nicht zu: Popmusikfans hätten einen Hirnschaden.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 28.10.1998
"Genie und Wahnsinn"
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