Antike: Biblischer Toilettengang
Die 2000 Jahre alte Siedlung Qumran am Toten Meer avancierte durch die in der Nähe gefundenen Schriftrollen zur archäologischen Sensation. Doch wer lebte hier? Die Essener? Das galt als eher unwahrscheinlich - bisher zumindest. Denn jetzt tauchten Spuren der geheimnisvollen Sekte auf - in Form menschlicher Hinterlassenschaften.
Was für eine Enttäuschung! Kein Schatz, nur dunkle, schmutzige Lederbündel! Das mag Mohammed el-Dhib gedacht haben, als er seine Entdeckung genauer inspizierte. Auf der Suche nach einer entlaufenen Ziege war der Beduine Ende 1946 am Nordwestufer des Toten Meeres auf eine kleine Höhlenöffnung gestoßen. Hineingeworfene Steine ließen ein schepperndes Geräusch nach zerschlagenem Ton erklingen – und brachten eine archäologische Lawine ins Rollen.
Denn die 45 Tonkrüge, auf die der Hirte gestoßen war, bargen zwar kein Gold, aber dafür uralte Schriftrollen. Die Beduinen verkauften das für sie wertlose Zeug weiter, und nach eine wahren Odyssee mit mehrfachem Besitzerwechsel gelangten schließlich einige Exemplare in die USA. Hier identifizierte der Theologe John Trever eine der Rollen als älteste Abschrift des Buches Jesaja. Damit war klar: Die Schriftrollen vom Toten Meer enthalten biblische Manuskripte.
Ein Jahrhundertfund
Inzwischen tauchten in weiteren Höhlen tausende Fragmente auf – zum Teil als winzige Schnipselchen –, die zu mehreren hundert Manuskripten zusammengefügt werden konnten. Die Datierung der in Hebräisch, Aramäisch, Nabatäisch und Griechisch verfassten Texte zeigte, dass sie aus der Zeit zwischen dem dritten Jahrhundert v. Chr. und dem ersten Jahrhundert n. Chr. entstanden sind. Doch wer waren die Verfasser?
Schnell war eine verdächtige Gruppierung ausgemacht: die Essener. Diese nach dem Aramäischen "die Frommen" benannte Gemeinschaft entstand um 150 v. Chr. und bildete zur Zeit Jesu mit etwa 4000 Mitgliedern neben den Pharisäern und Sadduzäern die dritte bedeutende jüdische Religionspartei. Die asketische Ordensgemeinschaft zelebrierte einen streng geregelten Tagesablauf und lehnte jeden persönlichen Besitz ab. Im Jahr 68, nach der römischen Niederschlagung des jüdischen Aufstands, verschwand sie wieder im Nichts.
Vom Taufbecken zur Viehtränke
Doch inzwischen geben sich die Forscher etwas vorsichtiger. Denn weitere Grabungen zeigten, dass Qumran gar nicht so isoliert lag, wie zunächst angenommen. Strategisch günstig auf einem Hochplateau angelegt, scheint sich hier vielmehr vor 2000 Jahren ein blühendes Wirtschaftszentrum etabliert zu haben. Und so wandelt sich nach neuerer Interpretation das einsame Kloster zu einem geschäftigen Betrieb, auf dem Tisch wurden keine biblischen Texte, sondern Rechnungen und Inventarlisten geschrieben, und die vermeintlichen Taufbecken dienten als profane Viehtränken.
Ein weiter Weg
Vom zeitgenössischen jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus war bekannt, dass die Essener von Jerusalem ihr Geschäft außerhalb der Stadtmauer in einer Entfernung von mindestens 3000 Ellen – das entspricht immerhin 1,4 Kilometer – zu verrichten hatten. Am Sabbat, an dem Wegstrecken von über 2000 Ellen untersagt blieben, musste das natürliche Bedürfnis demnach ganz ruhen.
Manche Texte reden zwar nur von einer Minimalentfernung von 1000 Ellen, klar war jedoch für die beiden Forscher, dass die Örtlichkeiten außerhalb der Siedlung zu suchen sein mussten, falls Qumran tatsächlich Sitz einer Essener Gemeinschaft war. Da auch die Himmelsrichtung – Nordwest – aus historischen Quellen vorgegeben war, wussten sie, wo sie zu graben hatten.
"Ehrlich gesagt, war ich überrascht", gibt Zias zu. "Ein Parasitologe meinte, dass ich keine Chance hätte, hier etwas zu finden. In einer Latrine ist es kein Problem, Parasiten nachzuweisen, aber mitten in der Wüste ... Aber kleine Dinge wie Parasiteneier in Fäkalien können Jahrtausende herumgammeln."
Ein ungesunder Lebensstil
Somit scheint Qumran tatsächlich eine außerhalb gelegene Latrine besessen zu haben – und erfüllte damit ein klösterliches Kriterium der Essener. Einen antiken Beduinenlokus als Alternative schließen die Forscher aus, da dieses Volk sein Geschäft nicht im Erdboden zu verstecken pflegt, sodass sämtliche Spuren durch Sonne und Wind verloren gehen. "Dieses Zeugs hier war sicherlich vergraben, so wie es die alten Schriften vorschrieben", betont Zias.
Eine Erklärung für den frühen Tod könnte ausgerechnet in den rituellen Waschungen der Essener liegen: Die Gläubigen hatten sich, wenn sie von ihrem Geschäft zurückkehrten, von Kopf bis Fuß gründlich zu reinigen. In Qumran gab es jedoch keine Frischwasserquelle; stattdessen wurde das Regenwasser in großen Becken bis zu neun Monate gesammelt. Eine gemeinsame Badewanne für alle Bewohner der Siedlung wäre jedoch ein idealer Brut- und Tummelplatz für Keime jeglicher Couleur.
"Die Männer von Qumran waren ziemlich krank", meint Tabor. "Aber ich glaube, das hat den religiösen Enthusiasmus der Essener nur noch verstärkt. Überzeugt davon, dass ihre Schwächen die Strafe Gottes für mangelnde Reinlichkeit seien, werden sie versucht haben, sich noch gründlicher zu waschen."
Denn die 45 Tonkrüge, auf die der Hirte gestoßen war, bargen zwar kein Gold, aber dafür uralte Schriftrollen. Die Beduinen verkauften das für sie wertlose Zeug weiter, und nach eine wahren Odyssee mit mehrfachem Besitzerwechsel gelangten schließlich einige Exemplare in die USA. Hier identifizierte der Theologe John Trever eine der Rollen als älteste Abschrift des Buches Jesaja. Damit war klar: Die Schriftrollen vom Toten Meer enthalten biblische Manuskripte.
Ein Jahrhundertfund
Inzwischen tauchten in weiteren Höhlen tausende Fragmente auf – zum Teil als winzige Schnipselchen –, die zu mehreren hundert Manuskripten zusammengefügt werden konnten. Die Datierung der in Hebräisch, Aramäisch, Nabatäisch und Griechisch verfassten Texte zeigte, dass sie aus der Zeit zwischen dem dritten Jahrhundert v. Chr. und dem ersten Jahrhundert n. Chr. entstanden sind. Doch wer waren die Verfasser?
Schnell war eine verdächtige Gruppierung ausgemacht: die Essener. Diese nach dem Aramäischen "die Frommen" benannte Gemeinschaft entstand um 150 v. Chr. und bildete zur Zeit Jesu mit etwa 4000 Mitgliedern neben den Pharisäern und Sadduzäern die dritte bedeutende jüdische Religionspartei. Die asketische Ordensgemeinschaft zelebrierte einen streng geregelten Tagesablauf und lehnte jeden persönlichen Besitz ab. Im Jahr 68, nach der römischen Niederschlagung des jüdischen Aufstands, verschwand sie wieder im Nichts.
Einige der Textrollen stammen ziemlich sicher von den Essenern, und so lag die Vermutung nahe, dass die Höhlen das Archiv einer jüdischen Glaubensgemeinschaft aus biblischer Zeit darstellen. Und eine mögliche Produktionsstätte der Manuskripte konnten die Archäologen in unmittelbarer Nähe ausmachen: die Ruinen von Khirbet Qumran. Ausgrabungen ergaben, dass hier um die Zeitenwende 30 bis 120 Menschen hinter dicken Schutzmauern lebten. Die Funde passten wunderbar zum Bild einer klösterlichen Gemeinschaft: große Wasserbecken für rituelle Waschungen oder ein langer Steintisch zum Abschreiben von Schriftrollen.
Vom Taufbecken zur Viehtränke
Doch inzwischen geben sich die Forscher etwas vorsichtiger. Denn weitere Grabungen zeigten, dass Qumran gar nicht so isoliert lag, wie zunächst angenommen. Strategisch günstig auf einem Hochplateau angelegt, scheint sich hier vielmehr vor 2000 Jahren ein blühendes Wirtschaftszentrum etabliert zu haben. Und so wandelt sich nach neuerer Interpretation das einsame Kloster zu einem geschäftigen Betrieb, auf dem Tisch wurden keine biblischen Texte, sondern Rechnungen und Inventarlisten geschrieben, und die vermeintlichen Taufbecken dienten als profane Viehtränken.
Ist damit die Essener-Hypothese tot? Nicht ganz. Schließlich deuten die gefundenen schlichten Alltagsgegenstände tatsächlich auf ein eher karges Dasein in Qumran. Der Archäologe Joe Zias von der Hebräischen Universität Jerusalem versuchte zusammen mit dem Religionswissenschaftler James Tabor von der Universität von North Carolina in Charlotte einen neuen Ansatz, um nach Essener-Spuren in Qumran zu fahnden. Die Forscher stützten sich dabei auf die besonderen Praktiken der Sekten – beim Toilettengang.
Ein weiter Weg
Vom zeitgenössischen jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus war bekannt, dass die Essener von Jerusalem ihr Geschäft außerhalb der Stadtmauer in einer Entfernung von mindestens 3000 Ellen – das entspricht immerhin 1,4 Kilometer – zu verrichten hatten. Am Sabbat, an dem Wegstrecken von über 2000 Ellen untersagt blieben, musste das natürliche Bedürfnis demnach ganz ruhen.
Manche Texte reden zwar nur von einer Minimalentfernung von 1000 Ellen, klar war jedoch für die beiden Forscher, dass die Örtlichkeiten außerhalb der Siedlung zu suchen sein mussten, falls Qumran tatsächlich Sitz einer Essener Gemeinschaft war. Da auch die Himmelsrichtung – Nordwest – aus historischen Quellen vorgegeben war, wussten sie, wo sie zu graben hatten.
"Kleine Dinge wie Parasiteneier in Fäkalien können Jahrtausende herumgammeln"
(Joe Zias)
Tatsächlich stießen die Wissenschaftler nordwestlich der Siedlung auf eine Stelle, die – versteckt hinter einem Felsvorsprung – geradezu prädestiniert schien für ein antikes Klosett. Mit einem Abstand von etwa 500 Metern lag sie just in der geforderten Minimaldistanz von 1000 Ellen. Die Altertumsforscher entnahmen vier Bodenproben und schickten sie zusammen mit sechs Kontrollproben von anderen Flächen nach Marseille ins Labor von Stephanie Harter-Lailheugue. (Joe Zias)
Die französische Anthropologin und Parasitologin wurde fündig. In allen vier Bodenproben fanden sich getrocknete Eier menschlicher Darmbewohner: Der Spulwurm Ascaris, der Bandwurm Taenia, der Peitschenwurm Trichuris und der Madenwurm Enterobius vermicularis – sie alle schienen sich im Qumran wohl gefühlt zu haben. Dagegen tauchte nur in einer Kontrolle ebenfalls ein Darmparasit auf: der Leberegel Dicrocoelium, der Schafe, Rinder und Schweinen befällt. Kein Wunder – stammte diese Bodenprobe doch von einer Stelle, welche die Archäologen bereits als Stall identifiziert hatten.
"Ehrlich gesagt, war ich überrascht", gibt Zias zu. "Ein Parasitologe meinte, dass ich keine Chance hätte, hier etwas zu finden. In einer Latrine ist es kein Problem, Parasiten nachzuweisen, aber mitten in der Wüste ... Aber kleine Dinge wie Parasiteneier in Fäkalien können Jahrtausende herumgammeln."
Ein ungesunder Lebensstil
Somit scheint Qumran tatsächlich eine außerhalb gelegene Latrine besessen zu haben – und erfüllte damit ein klösterliches Kriterium der Essener. Einen antiken Beduinenlokus als Alternative schließen die Forscher aus, da dieses Volk sein Geschäft nicht im Erdboden zu verstecken pflegt, sodass sämtliche Spuren durch Sonne und Wind verloren gehen. "Dieses Zeugs hier war sicherlich vergraben, so wie es die alten Schriften vorschrieben", betont Zias.
"Die Männer von Qumran waren ziemlich krank"
(James Tabor)
Doch die Interpretationen der Forscher gehen noch weiter: Ihnen war aufgefallen, dass die meisten Bewohner von Qumran eines frühen Todes gestorben sind. Untersuchungen der sterblichen Überreste am Friedhof ergaben, dass die durchschnittliche Lebenserwartung lediglich bei 34 Jahren lag. Nur sechs Prozent der Männer erreichten das 40. Lebensjahr. Dagegen überschritt zur gleichen Zeit im nur 14 Kilometer entfernten Jericho fast die Hälfte der männlichen Bevölkerung die 40. (James Tabor)
Eine Erklärung für den frühen Tod könnte ausgerechnet in den rituellen Waschungen der Essener liegen: Die Gläubigen hatten sich, wenn sie von ihrem Geschäft zurückkehrten, von Kopf bis Fuß gründlich zu reinigen. In Qumran gab es jedoch keine Frischwasserquelle; stattdessen wurde das Regenwasser in großen Becken bis zu neun Monate gesammelt. Eine gemeinsame Badewanne für alle Bewohner der Siedlung wäre jedoch ein idealer Brut- und Tummelplatz für Keime jeglicher Couleur.
"Die Männer von Qumran waren ziemlich krank", meint Tabor. "Aber ich glaube, das hat den religiösen Enthusiasmus der Essener nur noch verstärkt. Überzeugt davon, dass ihre Schwächen die Strafe Gottes für mangelnde Reinlichkeit seien, werden sie versucht haben, sich noch gründlicher zu waschen."
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