Impfdurchbrüche: Wie viele Geimpfte liegen im Krankenhaus?
Seit mehr als einem Monat steigen die Zahlen der Covid-19-Patientinnen und -Patienten in den Krankenhäusern an, darunter auch vollständig geimpfte. Das lässt manche an der Wirkung einer Corona-Impfung zweifeln. Doch wären weniger Menschen geimpft, würden noch deutlich mehr im Krankenhaus landen.
Dass der Anteil der Geimpften unter den Covid-19-Kranken steigt, liegt zum einen daran, dass der Schutz einer Corona-Impfung mit der Zeit nachlässt und sich dann auch Geimpfte wieder leichter anstecken können. Zum anderen steigt der Anteil der Geimpften in der Bevölkerung. Diese Basisrate wird beim Vergleich von Risiken, wie denen von Geimpften und Ungeimpften, aber häufig vergessen – ein verbreiteter Fehler im Umgang mit Risiken, nicht nur seitens Laien. Und wie der wöchentliche Lagebericht des RKI zeigt, ist der Anteil der Geimpften auf den Stationen um ein Vielfaches kleiner als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung.
Ab Mitte Juli waren mehr als die Hälfte der Erwachsenen unter 60 Jahre vollständig geimpft. Im August, über einen Zeitraum von vier Kalenderwochen, betrug ihr Anteil an allen Covid-Patienten dieser Altersgruppe im Krankenhaus aber nur sechs Prozent, auf Intensivstation sogar nur drei Prozent. Gestorben ist von den Geimpften unter 60 in diesen vier Wochen keiner.
Im Alter unter 60 Jahren ist seit Impfstart überhaupt erst ein geimpfter Covid-Patient gestorben – die übrigen knapp 400 geimpften Verstorbenen waren 60 Jahre und älter, 80 Prozent sogar mindestens 80 Jahre alt. Eine Folge des höheren Sterberisikos der coronainfizierten Hochbetagten, wie das RKI schreibt.
Ab 60 Jahre sieht das Verhältnis insgesamt ein wenig schlechter aus, doch immer noch gut: Mitte Juli waren rund 75 Prozent vollständig geimpft. Im Folgemonat betrug ihr Anteil an den Covid-Patienten dieser Altersgruppe im Krankenhaus 19 Prozent, auf Intensivstation rund 16 Prozent und an den Verstorbenen 26 Prozent. Ältere erleiden häufiger einen Impfdurchbruch mit Symptomen, weil ihr Immunsystem in der Regel schwächer ist und weil ihre Impfung zudem in der Regel länger zurückliegt, das heißt der Impfschutz nachlässt.
Das RKI schätzt die Impfeffektivität für alle Erwachsenen auf mehr als 80 Prozent, bezogen darauf, wie viele registrierte Infektionen die Impfungen verhindern können. Mit einer Methode, die verschiedene Störfaktoren berücksichtigt, kommt es sogar auf rund 95 Prozent der Erwachsenen, die derzeit dank Corona-Impfung vor Hospitalisierung und Intensivstation bewahrt werden. Für die geimpften Kinder zwischen 12 und 17 Jahren gab es zu wenig Daten, um verlässliche Aussagen zu treffen. In den betrachteten vier Kalenderwochen im August zählte das RKI bundesweit zwei Jugendliche auf Intensivstation, beide ungeimpft. Gestorben ist in dieser Zeit und Altersgruppe niemand.
Aber auch die Zahlen bei den Erwachsenen, warnt das RKI, müsse man vorsichtig interpretieren. Unter anderem könnte ein unterschiedliches Testverhalten bei Geimpften und Ungeimpften zu Verzerrungen in den Inzidenzen führen. Die Zahl der Impfdurchbrüche werde wahrscheinlich unterschätzt, da sich Geimpfte womöglich seltener testen lassen, auch wenn sie Symptome haben. Umfragen zufolge sind allerdings auch mehr Menschen geimpft als offiziell erfasst, was die Quote der Impfdurchbrüche senken würde. Nicht zuletzt können die bislang kleinen Fallzahlen – zum Beispiel elf geimpfte Covid-Intensivpatienten im August – auch zufälligen Schwankungen unterliegen. Unter anderem könnten Patienten, die aus anderen Gründen ins Krankenhaus kommen und erst dort positiv getestet werden, die Zahlen verfälschen.
Klar ist jedoch: Impfdurchbrüche sind nicht selten. Geimpfte können sich anstecken, und sie können selbst weiterhin andere anstecken. Das liegt vor allem daran, dass die derzeit dominierende Delta-Variante infolge einer höheren Viruslast deutlich ansteckender ist als frühere Varianten. Die meisten Übertragungen finden vor Krankheitsbeginn statt, wenn sich die frisch Infizierten noch gesund fühlen.
Dass eine vollständig geimpfte Person an Corona erkrankt, passiert vor allem bei hoher Viruslast, etwa in ungelüfteten Räumen, oder wenn die Impfung bereits einige Monate zurückliegt. Doch eine Studie aus Israel zeigt: Auch ein halbes Jahr nach der Corona-Impfung liegt das Risiko für einen schweren Verlauf bei einem Zehntel des Risikos, das Ungeimpfte haben.
Mehr Covid-Fälle unter 60 als über 60 auf Intensivstation
In Deutschland zeigt der Blick auf die aktuellen Zahlen: Der Anteil der älteren Intensivpatienten ab 60 Jahre hat in der vergangenen Woche leicht zugenommen, nachdem er einige Zeit gesunken war. Der Anteil der Covid-Intensivpatienten in den 40ern hatte sich seit Mai mehr als verdoppelt, in den 30ern sogar verdreifacht – im August waren dort mehr Erwachsene unter 60 als über 60. Das hat mit dem vergleichsweise höheren Anteil der Ungeimpften unter Jüngeren zu tun, ihrer »noch unzureichenden Impfquote«, wie das RKI erklärt. Die nun erneute Zunahme an älteren Intensivpatienten könnte eine Zufallsschwankung sein, aber auch ein erster Hinweis auf ihren sinkenden Immunschutz.
Im Herbst könnte es deshalb erneut eng werden. Wenige Prozentpunkte mehr in der Impfquote würden die Intensivstationen erheblich entlasten, haben drei Wissenschaftler um Andreas Schuppert von der RWTH Aachen berechnet. Der Mathematiker und seine Kollegen simulierten den Effekt von Impfungen auf die Intensivbettenbelegung für den Herbst, allerdings mit Daten der weniger ansteckenden Alpha-Variante. Die Zahl der Corona-Fälle auf den Intensivstationen könnte sich demnach mehr als halbieren, wenn die Impfquote um zehn Prozent steigt.
Den nachlassenden Schutz vor Ansteckung hatten sie zwar nicht eingepreist. Am grundsätzlichen Vorteil einer hohen Impfquote für die Intensivstationen und ihr überlastetes Personal würde das aber nichts ändern. Und für die Erwachsenen selbst, ob jung oder alt, lohnt sich die Corona-Impfung ohnehin, weil sie das Risiko eines schweren Verlaufs deutlich senkt.
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