Coronaschutzimpfung: Das bringt der zweite Booster
Die Omikron-Variante BA.5 verursacht gerade eine große Infektionswelle. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz liegt bei knapp 700, und Experten schätzen, dass es eine zwei- bis dreimal höhere Dunkelziffer gibt – und das im Sommer, einer Jahreszeit, die für Atemwegserreger ungünstig ist. Auch dreifach Geimpfte sind mittlerweile kaum noch davor geschützt, sich anzustecken.
»Durch die starken Veränderungen im Spike-Protein von Omikron können Antikörper, die als Reaktion auf die ursprünglichen Impfstoffe gebildet werden, nur noch unzureichend an Omikron binden«, sagt Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. »Daher ist der Impfschutz gegen die reine Infektion selbst nach dreifacher Impfung nicht so gut, wie er gegen frühere Varianten war. Zusätzlich lässt dieser Schutz auch noch schneller nach.«
Viele fragen sich deshalb, was uns im kommenden Herbst erwartet. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) rät mittlerweile bereits im Alter über 60 Jahre – und nicht, wie die STIKO bisher empfiehlt, erst ab 70 – zu einer zweiten Auffrischimpfung gegen Covid-19. Wie sinnvoll ist der zweite Booster? Und gegen welche Varianten wird er gerichtet sein? Mit solchen Fragen beschäftigte sich vergangene Woche auch die wohl weltweit wichtigste Zulassungsbehörde, die US-amerikanische FDA.
Moderna und Biontech/Pfizer haben Daten aus ihren ersten Studien mit den Omikron-Vakzinen präsentiert. Die von beiden Impfstoffherstellern verwendete mRNA codiert für das Spike-Protein der ersten Omikron-Linie (BA.1). Die Menge der Antikörper, die Omikron neutralisierten, war danach höher als nach Verabreichen der bisherigen Impfstoffe: etwa um das Achtfache beim Moderna-Omikron-Booster (enthält sowohl die Information für das Spike-Protein der Omikron-Variante als auch für den Wildtyp) und um das 19,6-Fache für eine Version von Biontech/Pfizer, die nur das Omikron-Spike enthielt, aber in doppelter Dosierung. Die Verbesserung der Antikörperantwort schmolz jedoch gegenüber den neuen Varianten BA.4/BA.5 auf ein Drittel.
Die unabhängigen Experten, die die FDA beraten, plädierten dafür, den Impfstoff an die Omikron-Sublinien BA.4/BA.5 anzupassen – obwohl dafür noch keine Studiendaten beim Menschen vorliegen. Die FDA folgte nun der Einschätzung des Expertengremiums und beschloss diese Anpassung.
Und auch deutsche Experten sprechen sich dafür aus. »Ich bin dafür, Zulassungsverfahren für angepasste Covid-Impfstoffe zu beschleunigen«, twitterte Leif Erik Sander. Auch Carsten Watzl hält ein schnelleres Prozedere als bislang für dringend nötig. »Für die Zukunft wäre es zu begrüßen, wenn man zu einem Verfahren kommt, das schneller reagieren kann.« In Europa ist die EMA zuständig, sie hat darüber aber bislang noch nicht entschieden. Gut möglich, dass sie dem Beispiel der FDA folgen wird.
»Bei der Grippeimpfung wird der jährliche Impfstoff ja nicht auch noch vorher in Studien getestet«Carsten Watzl, Immunologe
Ist es ein Risiko, einen Impfstoff einzusetzen, der in genau dieser Zusammensetzung noch gar nicht oder kaum an Menschen getestet wurde? »Bei der Grippeimpfung wird der jährliche Impfstoff ja nicht auch noch vorher in Studien getestet«, sagt Carsten Watzl. Die Veränderungen vom Wildtyp-Corona-Impfstoff gegenüber dem Omikron-Booster sind geringer als bei Influenza-Vakzinen. Bei den Grippe-Impfstoffen werden oft Viruslinien mit ausgetauschten Genomteilen (so genannten Gensegmenten) verwendet, bei Sars-Cov-2-Impfstoffen dagegen lediglich einige Buchstaben der mRNA so verändert, dass wenige Aminosäuren ausgetauscht werden. »Die Verträglichkeit der angepassten Impfstoffe scheint vergleichbar mit den Originalimpfstoffen zu sein«, sagt Watzl.
Die Veränderungen könnten allerdings durchaus Auswirkungen haben, allerdings eher auf die Wirksamkeit. »In den Vorexperimenten mit Affen hat man gesehen, dass die Omikron-Impfstoffe nicht ganz so gut funktionieren wie diejenigen gegen den Wuhan-Typ«, sagt Christian Münz, Professor für virale Immunbiologie an der Uni Zürich. »Das könnte darauf hindeuten, dass sich das durch die Impfung gebildete Omikron-Spike in Abwesenheit der anderen Virusproteine nicht so gut in die natürliche dreidimensionale Form faltet, und je besser das klappt, desto besser können die B-Zellen stimuliert werden.«
Wird der Omikron-Impfstoff im Herbst noch aktuell sein?
Das könnte auch der Grund sein, warum sich die FDA dafür ausgesprochen hat, im Herbst einen bivalenten Impfstoff einzusetzen, bestehend aus einer Omikron-Komponente sowie dem Wildtyp-Impfstoff. Und das, obwohl diese ursprüngliche Virusvariante weitgehend ausgestorben ist. »Die Mischung ist eine gute Idee, denn so behält man die Komponente, von der man weiß, dass sie funktioniert«, sagt Münz. »Zusätzlich nimmt man noch etwas rein, damit auch B-Zellen stimuliert werden, die die neuen Teile des Omikron-Spikes erkennen.«
Wenn die Impfstoffhersteller diese Komponente nach dem Beschluss der FDA nun aber an den aktuellen Omikron-Varianten BA.4/BA.5 ausrichten – wird die Zusammensetzung dann im Herbst überhaupt noch aktuell sein? »Ich erwarte absolut, dass das Virus sich weiter verändern wird«, twitterte Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Center in Seattle, ein Spezialist für Virusevolution. »Aber diese Evolution wird höchstwahrscheinlich auf BA.4/BA.5 aufbauen, so dass Impfstoff-Updates nicht davon tangiert werden sollten.«
Für wen kommt eine weitere Auffrischungsimpfung in Betracht? Die bislang erhältliche vierte Impfung mit dem Wildtyp-Impfstoff hilft, das Risiko für betagte Menschen zu verringern – für schwere Erkrankungen um 67 Prozent, an Covid-19 zu sterben um 72 Prozent. Aktuell empfiehlt die STIKO Menschen ab 70 Jahren sowie Immunsupprimierten die vierte Impfung bereits drei Monate nach der vorherigen Impfung. Den zweiten Booster, das heißt die vierte Impfdosis zu erhalten, ist derzeit in Deutschland unkompliziert. Eine Studie aus Israel zeigt, dass er auch die über 60-Jährigen schon besser vor schweren Krankheitsverläufen schützt als nur drei Impfungen, allerdings bei Omikron nicht sehr langfristig.
Deshalb verzichtet die STIKO auf die generelle Empfehlung einer vierten Impfdosis. »Auch der Omikron-Booster wird sich vorwiegend an die Risikogruppen richten, damit diese vor dem Herbst noch mal ihre Immunantwort auffrischen«, sagt Christian Münz. »Junge und gesunde Menschen bleiben vor einem schweren Verlauf durch T-Zellen geschützt, diesen kann das Virus nur sehr schwer entkommen.«
Die Sommerwelle könnte den Menschen, die nicht zu einer Risikogruppe gehören, helfen, ohne weitere Impfung durch den Winter zu kommen. »Je häufiger das Immunsystem auf das Antigen trifft, desto besser wird die Immunantwort«, sagt Christian Münz. »Diese stärkere Übertragung, die wir jetzt über den Sommer haben, macht den Omikron-Booster im Herbst zumindest für gesunde Menschen, die sich jetzt infizieren, nicht unbedingt notwendig.«
»Wir werden uns alle immer wieder infizieren, irgendwann wird man es dann kaum mehr wahrnehmen«Christian Münz, Immunologe
Münz kalkuliert, dass man als Gesunder durchschnittlich alle sechs Monate mit dem Antigen Kontakt haben müsse, um gut geschützt zu sein. »Wenn ich die Wahl habe im Herbst, werde ich die Impfung wählen«, sagt Münz. »Aber wenn ich mir das Infektionsgeschehen anschaue, dann ist der Booster durch die Infektion relativ häufig zurzeit. Wir werden uns alle immer wieder infizieren, irgendwann wird man es dann kaum mehr wahrnehmen.«
Gegen den zweiten Booster spricht wenig
Gegen eine zusätzliche Impfung spricht andererseits wenig. »Die Sicherheitsdaten der mRNA-Impfstoffe sind sehr gut, und von einer Erschöpfung des Immunsystems durch Impfungen ist nicht auszugehen«, sagt Münz. »Wir wehren ständig Erreger ab. Einige Viren bleiben sogar für immer im Körper und werden ein Leben lang durch unser Immunsystem in Schach gehalten.«
Ältere Personen und Immunsupprimierte, bei denen die letzte Impfung mehr als vier Wochen zurückliegt, können sich aus immunologischer Sicht jetzt noch mit dem Wildtyp-Vakzine impfen lassen, ohne auf den Omikron-Booster im Herbst verzichten zu müssen. »Ein Monat sollte nur mindestens zwischen den Impfungen liegen«, sagt Münz. So lange verbessere die so genannte Affinitätsreifung die Antikörper stetig, ein Prozess, den man besser nicht stört. »Aber danach verstärkt eine zusätzliche Konfrontation mit Virusantigen die Bindung der Antikörper«, sagt der Immunologe.
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