Corona-Impfung: Covid-19, ein Glücksfall für die Impfstoff-Forschung
Als Wissenschaftler Anfang 2020 mit der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 begannen, waren sie vorsichtig mit ihren Prognosen. Sie wollten lieber keinen schnellen Erfolg versprechen. Die schnellste Entwicklung eines Impfstoffs bis zur Zulassung hatte zuvor vier Jahre gedauert: die Impfung gegen Mumps in den 1960er Jahren. Auf eine Vakzine zu hoffen, die bis zum Sommer 2021 fertig sein würde, schien höchst optimistisch.
Doch bereits Ende 2020 verkündeten die Entwickler mehrerer Impfstoffe sehr gute Ergebnisse in großen klinischen Studien. Am 2. Dezember dann ließ die US-Arzneimittelbehörde FDA ein Mittel von Pfizer und der deutschen Firma Biontech als erste vollständig getestete Immunisierung in den USA für den Notfalleinsatz zu.
Diese Geschwindigkeit »stellt unser ganzes Paradigma dessen, was in der Impfstoffentwicklung möglich ist, in Frage«, sagt Natalie Dean, Biostatistikerin an der University of Florida. Es sei verlockend zu hoffen, dass Forscherinnen und Forscher andere Schutzimpfungen nun in einem vergleichbaren Zeitrahmen entwickeln können. Schließlich werden diese dringend benötigt: Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose und Lungenentzündung töten Millionen von Menschen pro Jahr, zudem rechnen Forscher mit weiteren tödlichen Pandemien in Zukunft. Doch ist die Hoffnung realisitsch?
»Der Entwicklungsprozess neuer Impfstoffe lässt sich erheblich beschleunigen, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen«
Dan Barouch, ein Direktor der Harvard Medical School
Die Erfahrung mit Covid-19 werde mit ziemlicher Sicherheit die Zukunft der Impfstoffforschung verändern, sagt Dan Barouch, Direktor des Center for Virology and Vaccine Research an der Harvard Medical School in Boston. »Hier hat sich gezeigt, wie schnell Impfstoffe entwickelt werden können, wenn ein echter globaler Notfall herrscht und genügend Ressourcen vorhanden sind«, sagt er. Neue Wege der Impfstoffherstellung, wie die Verwendung von Boten-RNA (mRNA), seien nun zudem weiterentwickelt worden, fügt er hinzu. Nun stehe fest, »dass sich der Entwicklungsprozess erheblich beschleunigen lässt, ohne die Sicherheit zu gefährden«.
Das allerdings war nur möglich, weil jahrelang an verwandten Viren geforscht wurde, es schnellere Wege zur Herstellung von Impfstoffen gab, enorme finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die es den Firmen ermöglichten, mehrere Studien parallel durchzuführen, und weil die Aufsichtsbehörden schneller als üblich reagiert haben. Das Gute: Einige dieser Faktoren treffen auch auf andere Mittel zu. Aber es gibt keine Garantie für den Erfolg.
Mit Sars-CoV-2 hatte die Forschung Glück
Um die Leistung zu wiederholen, bedarf es ähnlich massiver Finanzmittel für die Entwicklung. Die jedoch stehen wohl nur dann zur Verfügung, wenn eine vergleichbare gesellschaftliche und politische Dringlichkeit besteht. Auch die Art des Erregers ist relevant. Mit Sars-CoV-2 hatte die Forschung Glück, so seltsam es klingt: Es ist ein Virus, das relativ langsam mutiert und zufällig zu einer gut untersuchten Familie gehört.
Die Forschung, die dazu beigetragen hat, Impfstoffe gegen das neue Coronavirus zu entwickeln, hat nicht erst im Januar begonnen. Seit Jahren haben sich Forscher mit verwandten Coronaviren beschäftigt, die beispielsweise Sars (schweres akutes respiratorisches Syndrom) und Mers (Middle East Respiratory Syndrom) verursachen. Zudem hatten sich einige mit neuartigen Impfstoffen beschäftigt – eine Vorarbeit mit ungewissem Ausgang, die sich nun mehr als ausgezahlt hat.
Herkömmliche Impfstoffe enthalten virale Proteine oder inaktivierte Formen des Virus, die die körpereigene Immunabwehr gegen eine Infektion mit einem lebenden Virus stimulieren. Die ersten beiden Covid-19-Impfstoffe, deren Wirksamkeit in groß angelegten (Phase III) klinischen Studien bekannt gegeben wurde, verwendeten jedoch nur eine Kette von mRNA innerhalb einer Lipidhülle. Die mRNA codiert für ein Schlüsselprotein von Sars-CoV-2. Sobald die mRNA in unsere Zellen gelangt, produziert unser Körper dieses Protein. Das fungiert als Antigen – das fremde Molekül, das eine Immunreaktion auslöst. Die Impfstoffe von Pfizer und Biontech sowie des US-Pharmaunternehmens Moderna verwenden beide mRNA, die für das Spike-Protein codiert, das an menschliche Zellmembranen andockt und dem Coronavirus das Eindringen in die Zelle ermöglicht.
Forschung zu DNA-Impfstoffen seit 25 Jahren
»In die mRNA-Plattform, die wir heute haben, ist viel Arbeit aus den vergangenen Jahren hineingeflossen«, sagt die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale School of Medicine in New Haven, Connecticut, die seit mehr als zwei Jahrzehnten an Nukleinsäure-Impfstoffen arbeitet – Stoffen, die auf DNA- oder RNA-Abschnitten basieren. Die Grundlagenforschung zu DNA-Impfstoffen begann vor mindestens 25 Jahren, und RNA-Impfstoffe haben von 10 bis 15 Jahren intensiver Forschung profitiert, sagt sie, von denen einige auf die Entwicklung von Krebsimpfstoffen abzielten. Der Ansatz ist genau zum richtigen Zeitpunkt gereift; vor fünf Jahren wäre die RNA-Technologie noch nicht bereit gewesen.
So wussten die Forscher am US National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) aus ihren Forschungen zu Mers und Sars, dass es am besten ist, die RNA-Sequenz so abzustimmen, dass das Spike-Protein in der Form stabilisiert wird, die es annimmt, bevor es an eine Wirtszelle andockt. »Wenn man es in seinem ursprünglichen Zustand vor der Fusion einfangen kann, wird es zu einem viel besseren Impfstoff-Antigen«, sagt Barney Graham, stellvertretender Direktor des Impfstoff-Forschungszentrums des NIAID. Diese Arbeit gab dem NIAID-Team, das mit Moderna zusammenarbeitete, einen Vorsprung, als Sars-CoV-2 im Januar sequenziert wurde. »Die Tatsache, dass die Leute den Coronaviren große Aufmerksamkeit geschenkt haben, hat diesen ganzen Prozess wirklich beschleunigt«, sagt Dean.
Der dritte Impfstoff, der im November in klinischen Phase-III-Studien Wirksamkeit gezeigt hat und von der Pharmafirma AstraZeneca in Zusammenarbeit mit der University of Oxford (UK) hergestellt wird, verwendet keine mRNA. Stattdessen enthält ein viraler Träger zusätzliches genetisches Material, das für das Sars-CoV-2-Spike-Protein codiert. Auch hierzu haben Teams jahrelang geforscht. In diesem Fall wählte die Firma eine modifizierte Form des Adenovirus, das aus dem Stuhl von Schimpansen extrahiert wurde. Fortschritte bei konventionellen Impfstoffen wie diesen stammen auch aus der Forschung zu Sars, Mers, Ebola und Malaria, sagt Beate Kampmann, Direktorin des Vaccine Centre an der London School of Hygiene & Tropical Medicine.
Impfstoffforscher hatten mit Sars-CoV-2 in vielerlei Hinsicht Glück, sagt Iwasaki. Das Virus mutiere nicht viel und habe keine effektiven Strategien, um das menschliche Immunsystem zu umgehen, sagt sie – im Gegensatz zu HIV, Herpes oder sogar Influenza. Das Herpesvirus hat mehr Ausweichmöglichkeiten: Es blockiert aktiv die Bindung von Antikörpern, was es schwieriger macht, ein wirksames Mittel dagegen zu finden. Und die schnelle Mutation der Grippeviren erfordert für jede Grippesaison eine andere Impfstoffformulierung.
Geschwindigkeit dank großzügiger Fördermittel
Der zeitintensivste Teil der Impfstoffentwicklung besteht aber nicht darin, Wirkstoffkandidaten zu finden, sondern diese zu testen. Das dauert oft Jahre, wobei die Unternehmen die Wirksamkeit ebenso wie die Sicherheit zunächst an Tieren und dann am Menschen prüfen. Die Studien mit Menschen erfolgen in drei Phasen, die eine steigende Anzahl von Testpersonen und entsprechend steigende Kosten mit sich bringen. Die Covid-19-Impfstoffe durchliefen diese Tests regulär, aber es gab Milliarden an Fördermitteln. So konnten die Unternehmen finanzielle Risiken eingehen, indem sie einige Tests gleichzeitig durchführten.
Mit den großen Summen, die öffentliche Geldgeber und private Philanthropen den Impfstofffirmen zur Verfügung stellten, »konnten sie präklinische und Phase I-, II- und III-Studien sowie die Herstellung parallel statt nacheinander durchführen«, sagt Rino Rappuoli, leitender Wissenschaftler der Impfstoffabteilung von GlaxoSmithKline in Siena, Italien. Das bedeutete, dass die Unternehmen das Risiko eingehen konnten, in großem Umfang Tests und die Herstellung von Kandidaten zu starten, die vielleicht nicht funktionieren. »Das Riskio des gesamten Entwicklungsprozesses wurde massiv reduziert«, sagt Kampmann.
Ohne diese Finanzierung hätte die Impfstoffforschung nicht so schnell Ergebnisse erzielt, sagt sie. »Bei Ebola, das ganze Dörfer in Afrika zerstörte, war das nicht der Fall« – und die Entwicklung von Ebola-Impfstoffen dauerte entsprechend länger. Die finanziellen Mittel gab es diesmal nur, weil alle Länder, auch die wohlhabenden, wirtschaftlich betroffen sind. Das deutet darauf hin, dass es nicht so rasch Impfstoffe für bestehende Krankheiten wie Malaria gibt. »Wenn man nicht so viel Geld reinsteckt, ist es unmöglich die Entwicklung zu beschleunigen«, sagt Rappuoli.
»Mit öffentlichen Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar stellt das US-Impfstoffprogramm ›Operation Warp Speed‹ das größte staatliche Konjunkturpaket dar, das die Pharmaunternehmen je gesehen haben«
Peter Hotez, Virologe
Der Virologe Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston vermutet, dass große Pharmaunternehmen nicht nur durch das Ziel motiviert wurden, die Pandemie zu stoppen, sondern auch durch die Möglichkeit, dass Regierungen ihre Forschung und Entwicklung finanzieren. »Mit öffentlichen Investitionen von rund 10 Milliarden US-Dollar stellt das US-Impfstoffprogramm ›Operation Warp Speed‹ das größte staatliche Konjunkturpaket dar, das die Pharmaunternehmen je gesehen haben«, sagt Hotez.
Der Anstoß dazu lieferte nicht erst die Covid-19-Pandemie. Schon die Ebola- und Zika-Ausbrüche hatten eine weltweite Zusammenarbeit erfordert, sagt Graham. »Wenn sich Sars im Jahr 2002 so ausgebreitet hätte, hätte es weder die Impfstofftechnologie noch die koordinierten Systeme gegeben, und wir hätten eine viel schwierigere Zeit gehabt«, sagt er.
Insbesondere die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) ist relevant. Seit dem Jahr 2017 ist es ihr Ziel, eine technologische Infrastruktur zu schaffen, die es braucht, um schnell und erschwinglich Impfstoffe gegen Viren mit epidemischen Potenzial zu entwickeln. Dazu zählen etwa Mers, Ebola und Zika. CEPI hat die Arbeit an Sars-CoV-2-Impfstoffen mitfinanziert, darunter die von Moderna und die in Oxford.
Umdenken bei den Behörden für die Zukunft?
In der Endphase der Versuche war es hilfreich, dass Covid-19 so weit verbreitet ist. Firmen brauchen infizierte Menschen, um zu zeigen, dass Impfstoffe funktionieren. Es ist schwierig, Wirksamkeitsstudien durchzuführen, wenn die Krankheiten selbst nicht weit verbreitet sind – besonders, sagt Dean, in Fällen wie Mers, bei dem die Krankheitsausbrüche schubweise stattfanden, mit Spitzenwerten in einigen Gebieten und niedrigen Infektionsraten in anderen.
Die Erfahrung mit Covid-19 könnte Behörden zudem umdenken lassen. Obwohl die strengen Kriterien für die Zulassung von Impfstoffen nicht gelockert wurden, werden die ersten Kandidaten meist nach den Vorschriften für den Notbetrieb zugelassen. Die Zulassung erfolgt so schneller, die Unternehmen müssen aber Nachuntersuchungen zu Nebenwirkungen und anhaltender Wirksamkeit durchführen. Nationale Aufsichtsbehörden tauschten auch Informationen über Covid-19-Impfstoffstudien aus. Das tun sie unter der Schirmherrschaft eines globalen Gremiums, das sich International Coalition of Medicines Regulatory Authorities nennt und seit 2012 besteht. Die Mitglieder sollen einen Konsens zu diversen Themen erarbeitet. Etwa wann Hersteller Impfstoffstudien abschließen können und wie Teams Nebenwirkungen idealerweise erforschen.
»Die Technologie eignet sich für den flexiblen Plug-and-play-Ansatz, der für die Reaktion auf künftige Pandemien erforderlich ist«
Beate Kampmann, Direktorin des Vaccine Centre in London
Die Covid-19-Pandemie wird vermutlich einige dauerhafte Veränderungen in der Impfstoffentwicklung bewirken. Zunächst einmal könnte sich die Verwendung von mRNA-Impfstoffen – die bisher nicht für den allgemeinen Einsatz bei Menschen zugelassen waren – als effektiver Ansatz zur Bekämpfung anderer Krankheiten etablieren. »Diese Technologie revolutioniert die Vakzinologie«, sagt Kampmann. Die mRNA-Impfstoffkandidaten können innerhalb weniger Tage chemisch synthetisiert werden, im Gegensatz zur komplizierteren Biotechnologie bei der Herstellung von Proteinen in Zellen. »Die Technologie eignet sich für den flexiblen Plug-and-play-Ansatz, der für die Reaktion auf Pandemien erforderlich ist«, sagt Kampmann.
Es braucht hohe Infektionsraten
Außerdem »vereinfacht RNA die Herstellung sehr«, sagt Rappuoli. »Man kann dieselbe Anlage nutzen, um RNA für verschiedene Krankheiten herzustellen. Das senkt die erforderlichen Investitionen.« Die Unternehmen werden zudem ihre Produktionskapazitäten erhöhen, weil sie neben Covid-19-Impfstoffen auch weiterhin Impfstoffe gegen Masern, Polio und andere Krankheiten herstellen müssen. Das könnte helfen, die Nachfrage in Zukunft zu decken.
Zudem liefern die großen klinischen Studien für den Covid-19-Impfstoff Daten, die das Verständnis von Immunreaktionen vertiefen, sagt Hotez. »Angesichts all der verschiedenen Technologien und der detaillierten Informationen, die über die Demografie der klinischen Probanden sowie die Antikörper- und zellulären Reaktionen gesammelt werden, könnten wir in diesem Jahr genauso viel oder mehr über die Reaktionen von Menschen auf Impfstoffe lernen wie in den vergangenen Jahrzehnten zusammen.«
»Covid-19-Impfstoffe sind ein gutes Beispiel dafür, was die Wissenschaft sehr schnell erreichen kann«
Akiko Iwasaki, Immunulogin
Dennoch lassen sich Impfstoffe wahrscheinlich nur dann mit einer vergleichbaren Geschwindigkeit entwickeln, wenn die Infektionsraten hoch sind – was es ermöglicht, relativ schnell große Studien durchzuführen – und mit entsprechend umfangreichen finanziellen Mitteln. Zu bedenken ist auch: Andere Viren könnten schwieriger zu bekämpfen sein, als Sars-CoV-2 es war.
Deshalb gelte es, mehr über alle Virenfamilien zu erfahren, betonen die Forscherinnen und Forscher. Es gibt mindestens 24 weitere Familien, die Menschen infizieren können, sagt Graham. Anstatt zu warten und Ressourcen in die Bekämpfung des nächsten auftauchenden Virus zu stecken, wäre es besser, diese jetzt zu erforschen und Daten über Prototyp-Infektionen in jeder dieser Familien zu generieren, sagt er.
Mit anderen Worten: Ohne eine solide wissenschaftliche Basis hilft kein noch so großer Geldbetrag. Der außergewöhnliche Erfolg der Covid-19-Impfstoffe »ist ein gutes Beispiel dafür, was die Wissenschaft sehr schnell erreichen kann«, sagt Iwasaki, »aber es ist nicht über Nacht passiert«.
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