Kernkraft: Das erste atomare Endlager
Das erste Endlager der Welt für hochradioaktive Abfälle wird in Olkiluoto gebaut. Anfang 2015 erteilte die finnische Nuklearbehörde eine Baugenehmigung für die Anlage, die 400 Meter tief unter der Halbinsel der Südwestküste liegen und rund drei Milliarden Euro kosten soll. Bevor Roboter aber die ersten ausgebrannten Kernbrennstoffe einlagern können, muss das Amt nach der Fertigstellung um 2020 die Sicherheit prüfen. Dennoch ist schon der erste Schritt bemerkenswert, erfolgt er doch in einem Land, in dem überhaupt erst seit 1977 Atomkraftwerke laufen und dessen Gesteine und Klima zunächst nicht günstig erscheinen.
Jahrzehntelang entsorgten etliche Staaten radioaktive Abfälle einfach in den Ozeanen, darunter auch hochradioaktiven Atommüll. Der macht zwar nur einen Bruchteil aller strahlenden Reste aus, ist aber für 99 Prozent der Radioaktivität nuklearer Abfälle verantwortlich. Schon auf der ersten Konferenz zu dem Thema sprachen sich 1959 viele Forscher gegen die Verklappung aus, die aber durch die Internationale Seeschifffahrtorganisation erst 1994 vollends verboten wurde. Doch schon seit über 50 Jahren sind sich die meisten Akteure einig, dass nur festes Gestein ein optimales atomares Endlager bietet und besonders die hochradioaktiven Abfälle sicher vor der Umwelt fernzuhalten sind.
Viele Barrieren
Weltweit entstanden in den 1960er Jahren etliche Untergrundlabore, um die besten Wege der Endlagerung zu untersuchen. Das Ziel ist dabei, den Abfall für geologische Zeiträume sicher von der Oberfläche abzuschirmen, also für weit über 100 000 Jahre. In dieser Zeit darf ein atomares Endlager zu keinem Zeitpunkt mehr Radioaktivität freisetzen, als das Gestein natürlicherweise abgibt. Entsprechend setzen heute alle Planer auf ein System mehrerer ineinandergeschachtelter Barrieren. Wo eine Barriere versagt, muss die nächste die Radionuklide aufhalten.
In Olkiluoto sollen die gebrauchten Brennstäbe in einen Kanister aus Gusseisen mit Kugelgraphit gesteckt werden – ein wasserbeständiges Material, das hohem Druck standhalten kann. Dieser Kanister ist wiederum von einem versiegelten, fünf Zentimeter dicken und somit besonders korrosionsbeständigen Kupfermantel umgeben. Jeder dieser mehrere Meter langen Zylinder wird in einem ebenso langen Bohrloch am Grund des Bergwerks versenkt und mit Bentonit umgeben. Solches Tongestein quillt bei Kontakt mit dem Grundwasser auf und sollte es somit von dem eingeschlossenen Kanister fernhalten.
Aggressives Grundwasser
Der Kontakt mit Wasser bereitet den Konstrukteuren dennoch das größte Kopfzerbrechen. Denn gelangt ein chemisch aggressives Grundwasser einmal in Kontakt mit den Radionukliden, könnte es diese irgendwann über Quellen auch an die Oberfläche bringen. Deshalb setzen alle Endlagerkonzepte letztlich auf das natürliche Gestein im Umfeld, die so genannte geologische Barriere. Dieses Gestein muss dicht sein, und das Grundwasser sollte hier, wenn überhaupt, nur sehr langsam fließen.
Bei der geologischen Barriere scheiden sich jedoch die Geister: Deutschland setzt bisher auf Salzgestein, das sich plastisch verformen kann, ohne Risse zu bilden. Selbst nach veränderten Druckbedingungen in der Tiefe sollte Salz also dicht bleiben. Es kann jedoch bei zutretendem Wasser gelöst und abtransportiert werden, wie das havarierte Versuchsendlager Asse II in Niedersachsen zeigt. Zudem deutet eine aktuelle Studie im Magazin "Science" darauf hin, dass selbst festes Salz bei ausreichender Druckbelastung Flüssigkeiten aufnehmen und sogar transportieren kann.
Ähnlich wie das Salz verhält sich auch Tonstein, der ebenso Flüssigkeiten über lange Zeiträume einschließen kann und gleichsam selbstheilend auf Risse wirkt. In Finnland wie in geplanten Endlagern in Schweden wird allerdings in Ermangelung anderer Gesteine in Granit gebaut. Der ist zwar stabiler gegenüber Druckveränderungen in der Tiefe, besitzt aber Klüfte, durch die Wasser zirkulieren kann. "Deshalb muss man in Granit größeren Wert auf menschlich konstruierte Barrieren legen", sagt Jens Birkholzer vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien, der sich mit Endlagern weltweit befasst hat.
Was passiert, wenn das Eis kommt?
Ein weiteres Problem ist das zukünftige Verhalten des Grundwassers, das sich nur schwer voraussagen lässt. So könnte sich irgendwann Permafrost im Gestein ausbreiten: Momentan ist es im Süden Finnlands dafür zwar viel zu warm, aber das Klima kann sich ändern. Immerhin war ganz Nordeuropa vor gerade 20 000 Jahren von einem kilometerdicken Eisschild bedeckt, vergleichbar mit dem grönländischen Gletscher von heute. Die nun als Endlager auserkorene Halbinsel Olkiluoto hob sich vor kaum 2500 Jahren aus der Ostsee, weil das Gestein nach dem Abtauen der Eismassen zurückfederte. Noch heute hebt sich das Gebiet um sechs Millimeter pro Jahr, was das Gestein immer weiter zerrüttet, also auch neue Risse schaffen kann.
Jedes Endlager muss unter diesen Bedingungen für die nächsten 100 000 Jahre seine Funktion erfüllen, besser noch für eine Million Jahre – eine immense Zeit, in der sich das Klima drastisch ändern kann, wie der Blick zurück beweist. Der finnische Betreiberkonzern Posiva ließ solche Rechnungen anstellen, die immerhin zuverlässiger sind, als der lange Prognosezeitraum auf den ersten Blick suggeriert. "Es gibt ja Regelmäßigkeiten beim Klima", sagt Jens Birkholzer. Geologen wissen schon seit Jahrzehnten, dass das Kommen und Gehen von Eiszeiten eng mit der über Jahrtausende schwankenden Erdachse, ihrer kreisartigen Trudelbewegung und dem nicht immer gleichen Abstand zur Sonne abhängt, der so genannten Exzentrizität der Erdbahn.
Aus diesen Faktoren lässt sich der Beginn der nächsten Eiszeit vorhersagen, wenn der kaum kalkulierbare Faktor Mensch nicht wäre. Einer Studie für Olkiluoto zufolge ist das nächste skandinavische Eisschild frühestens in 60 000 Jahren zu erwarten – oder sogar erst in 225 000 Jahren, wenn wir die fossilen Rohstoffe größtenteils verbrannt und die Atmosphäre entsprechend erwärmt haben sollten. In beiden Fällen kommt das Eis allerdings, bevor die radioaktiven Rückstände im Endlager auf das Strahlungsniveau des umgebenden Gesteins abgeklungen sind. Der Betreiber Posiva sieht darin aber kein Problem, denn die tiefen Gänge sollten eigenen Berechnungen zufolge außerhalb der maximal 170 Meter tiefen Permafrostzone bleiben, also nicht einmal halb so tief, wie das Endlager selbst liegt. Und das selbst dann, wenn Finnland ein kilometerdicker Gletscher bedeckt.
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