News: Das "Immunsystem" der Pflanzen
"Induzierbare Reaktionen wurden in Pflanzen seit mehr als 100 Jahren beobachtet, jedoch experimentell erst in den letzten beiden Jahrzehnten bestätigt", sagte Anurag Agrawal, Autor der Studie und Doktorand an der University of California . "Forschungsarbeiten in diesem Bereich basieren zum großen Teil auf der Vermutung, daß Pflanzen von induzierten Reaktionen profitieren. Unsere Studie bestätigt diese Annahmen."
Bei dieser Studie wurde wilder Rettich (Raphanus sativus L.) als Versuchsmodell verwendet. Die Pflanze gehört zur Senffamilie, die in den meisten Teilen der Welt zu finden ist. Agrawal sammelte Samen des wilden Rettich und pflanzte sie in einen Versuchsgarten. Als die jungen Pflanzen das vier-Blatt-Stadium erreicht hatten, wurde jeweils eine Kohlweißlingsraupe so an ein Blatt gebracht, daß sie dieses verspeisen konnte. Zusätzlich ließ Agrawal zwei Kontrollgruppen von Pflanzen wachsen: Bei der einen Gruppe wurde jeweils ein Blatt an der Basis des Blattstiels gekappt, während der anderen Gruppe keinerlei Schädigung zugefügt wurde.
Jede Gruppe wurde von natürlich vorkommenden pflanzenfressenden Insekten befreit, so daß nur bei den Testpflanzen, die den Raupen ausgesetzt waren, Immunreaktionen durch Schädlingsfraß hervorgerufen wurden. Als die Wachstumsperiode fortschritt, wurden allen drei Kolonien normale Pflanzenschädlinge zugeführt, vor allem Ohrwürmer, Erdflöhe und Grüne Pfirsichläuse. Agrawal stellte die folgenden Reaktionen auf den Schädlingsbefall fest:
- Die Pflanzen, die anfänglich dem Raupenfraß ausgesetzt waren, wurden später von den Ohrwürmern nur halb so viel geschädigt wie die Pflanzen der Kontrollgruppen.
- An den Kontrollpflanzen fanden sich 30 Prozent mehr Läuse als an den Blättern der Pflanzen mit führerem Raupenbefall.
- Die Erdflöhe vernichteten 28 Prozent weniger Pflanzen, der Raupen-gestreßten Gruppe.
Interessanterweise hatten Pflanzen der Kontrollgruppe mit abgeschnittenen Blättern, die dieselbe Menge an Blattgewebe verloren hatten wie Pflanzen in der Gruppe mit den Raupen, tatsächlich einen 38 Prozent niedrigeren Samenertrag. "Es ist nicht ganz klar, warum das Kappen der Blätter keine Resistenzreaktion erzeugte, die der Reaktion der Raupen-geschädigten Pflanzen ähnelte, da beide Pflanzengruppen dieselbe Menge an Blattfläche verloren", sagte Agrawal. "Wir vermuten jedoch, daß der Speichel der Raupen für die Auslösung der induzierten Abwehr wichtig ist. Außerdem wurde durch Abschneiden eines Blattes eine weit geringere Fläche Pflanzengewebes tatsächlich zerstört als durch die Raupen, die ein Blatt Stück für Stück auffraßen."
Die Wissenschaftler hoffen, daß die Studie weitere Informationen über die Evolution und Ökologie von Pflanzenabwehrmechanismen und für die Entwicklung nicht-chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel liefern wird. In früheren Forschungen war ein Hormon identifiziert worden, das die biochemische Kettenreaktion für eine Immunabwehr auszulösen scheint. Ein Produkt, das diese Chemikalien nutzt, um eine Immunreaktion gegen krankheitsverusachende Wirkstoffe auszulösen, ist bereits auf dem Markt. Die Wissenschaftler vermuten, daß ähnliche Produkte, die pflanzenfressende Insekten bekämpfen, in den nächsten Jahren auf dem Markt verfügbar sein werden.
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