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Restaurationschemie: Das letzte Gefecht

Sie war das Kriegsschiff ihrer Zeit, nahm aber ein eher unrühmliches Ende. Heute muss eine neue Schlacht um die Karacke "Mary Rose" geschlagen werden. Die Feinde nun: Schwefel und Eisen.
Skizze des Wracks
"Britannia, rule the waves: Britons never shall be slaves", tönt es im Schlussgesang der Oper "Alfred" von Thomas Arne aus dem Jahre 1740 – gemeinhin auch als inoffizielle Nationalhymne des britischen Königreichs verstanden. Um diesen Anspruch zu untermauern und zu wahren, setzte das Empire stets auf eine dominante Flotte, die etwa der spanischen Armada 1588 gehörig Mores lehrte und die preußische oder reichsdeutsche Marine konstant in Schach hielt.

Ein erster Stolz der englischen Seefahrt war die "Mary Rose" – in Auftrag gegeben von Heinrich VIII. und benannt nach seiner Schwester sowie dem Wappen ihrer Herrschaftslinie Tudor. Sie wurde zwischen 1509 und 1510 gebaut, leistete ihren Admirälen treue Dienste und ging aus mehreren Seeschlachten siegreich hervor. Da aber schon damals zwischen den europäischen Supermächten ein permanentes Wettrüsten herrschte, wurde das Schiff bereits 1528 und 1536 umgebaut und vergrößert, sodass es letztendlich 700 Tonnen wog und 91 Kanonen tragen konnte.

Schema der Mary Rose | Über vierhundert Jahre lag die "Mary Rose" auf dem Meeresgrund. Mehr als die Hälfte ihres Schiffkörpers blieb allerdings erhalten und wird nun aufwändig restauriert.
Doch darin steckte bereits der Keim für das spätere Verhängnis der "Mary Rose": Sie war nun stark kopflastig, ihr Schwerpunkt lag weit über dem Meeresspiegel. In dem wichtigen Seegefecht zur Abwehr einer französischen Invasion 1545 wurde sie von ihren eigenen Matrosen durch ein unglückliches Wendemanöver geflutet. Das Schiff kippte und versank mit Mann und Maus kopfüber in den Fluten des Solent-Kanals zwischen Hampshire und der Isle of Wight – nur 35 der mehr als 400 Soldaten an Bord überlebten.

Anschließend geriet die Karacke mehr als 400 Jahre in Vergessenheit, bis sie schließlich 1982 wieder gehoben wurde und für die Nachwelt konserviert werden sollte. Nach einer langen Phase des passiven Schutzes und des Drehen des Schiffs besprühen Restauratoren nun seit 1994 das Wrack mit Polyethylen-Glykolen (PEG), um als aktive Maßnahme die Feuchtigkeit in den Planken durch Wachs zu ersetzen. Doch im Holz lauern auch noch tückischere Feinde, als es französische Kanonen oder nagende Bohrmuscheln je waren: Schwefel und Eisen.

Salzkristallschäden | Salzkristalle an der trockenen Holzoberfläche verheißen nichts Gutes: Sie deuten auch Schwefel-Verbindungen im Inneren hin. Es können sich Säuren entwickeln, und das Salz selbst zerstört die Relikte mechanisch.
Diese Elemente und mehr noch ihre Folgeprodukte wie Thiol, Disulfide, Sulfate oder auch Pyrit zersetzen es langsam, aber stetig, denn sie oxidieren an der Luft oder binden sich mit Wasser zu Schwefelsäure, die wiederum die Holzfasern und somit die Reste des Schiffes auflösen. Nach Entzug der Feuchtigkeit können die Verbindungen zudem als Salze auskristallisieren und die Bohlen des einstigen Zerstörers mechanisch sprengen – ein Schicksal, das etwa auch Schwedens einstigem marinem Stolz der "Vasa" droht

Bevor allerdings Maßnahmen gegen Säurefraß und Salzdruck ergriffen werden können, müssen die Archäologen erst einmal wissen, wo das Teufelszeug überhaupt versteckt ist. Deshalb vermaßen nun Chemiker um Magnus Sandström von der Universität Stockholm – er spürte bereits "Vasas" molekulare Nemesis auf – die Schwefel- und Eisen-Gehalte aus Holzproben des Havaristen mit Röntgendiffraktometern und Röntgenfluoreszensanalysen sowie fotoelektronischer Spektroskopie.

Was sie fanden, bot Anlass zu Sorge und Hoffnung zugleich: Alles in allem verbergen sich etwa zwei Tonnen Schwefel in den 280 übrig gebliebenen Tonnen der Mary Rose, jedoch sind sie relativ gleichmäßig über die Hölzer des Wracks verteilt. In der "Vasa" konzentrieren sie sich dagegen in der äußeren Schicht des Baumaterials, weil sie dort von Bakterien angereichert wurden. Entsprechend marode sind die Relikte dort. Eisen-Verbindungen – sie katalysieren die Reaktionen hin zur Schwefelsäure – finden sich dagegen in der "Mary Rose" nur uneinheitlich stark, sie häufen sich allerdings im Umfeld mittlerweile längst zersetzter Nägel, Bolzen und Beschläge.

Die höchsten Schwefel-Anteile konnten die Forscher wiederum in den ligninhaltigen Bereichen zwischen den Zellen des Holzes ausmachen, was das untergegangene Schiff in der sauerstofflosen Atmosphäre unterhalb einer dichten Tonschicht wohl auch vor schnellerem Verfall bewahrte. Doch dort liegen neben den Thiolen und Disulfiden ebenso Pyrit und andere Eisen-Schwefel-Verbindungen vor, die zum Problem werden, wenn das Milieu zu sauerstoffreich wechselt. Dann oxidieren sie und werden zur Hauptquelle von Schwefelsäure in den mit PEG imprägnierten Hölzern – das chemische Siechtum des Wracks beschleunigt sich.

Um das zu verhindern, tränkten die Restauratoren die "Mary Rose" immer wieder mit Natriumhydrogenkarbonat, wuschen so die Säure aus und hielten das Milieu im Holz neutral. Doch so lange darin noch Eisen-Verunreinigungen zu finden sind, bleibt dies eine Sisyphusarbeit, denn sie erleichtern nicht nur die Bildung von Schwefelsäuren, sondern begünstigen zusätzlich auch den oxidativen Abbau von Zellulose. Und, um die Sache noch komplizierter zu machen, sie erleichtern sogar den Angriff auf die konservierenden PEG-Polymere durch die Produktion von Hydroxyl-Radikalen – Eisen ist also die tickende Zeitbombe in feuchten Wracks, die es an erster Stelle zu entschärfen gilt.

Nun lassen sich allerdings nicht gleichzeitig Säuren und Eisen aus Planke, Kiel und Mast entfernen, da die meist vorhandenen dreiwertigen Eisenhydroxide bereits bei niedrigen pH-Werten ausfallen und im Holz bleiben. Die Hoffnung ruht daher nun auf einer Verbindung mit dem wohl klingenden Namen Ethylendiaminmonoacetat, das die Eisen-Atome wie in einem Käfig einschließt und damit unschädlich macht. Doch alle diese Behandlungen müssen mindestens noch zwanzig Jahre andauern: Es wird die längste Schlacht der "Mary Rose" werden.

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