Paläanthropologie: Das Wandern war des Menschen Lust

© Philipp Gunz, Universität Wien / PNAS (Ausschnitt)

© Philipp Gunz, Universität Wien/PNAS (Ausschnitt)
Graphische Darstellung der Schädelvermessungen | Die Gestalt jedes einzelnen Schädels wurde mit Hilfe von hunderten Punkten erfasst und über komplizierte mathematische Verfahren mit den anderen Schädeln verglichen. In der Graphik ist jedes Individuum durch eine kleine Kugel in einem dreidimensionalen Parameterraum repräsentiert. Je größer die Distanz, desto unterschiedlicher die Schädelmorphologie. Zusammengehörige Gruppen sind mit einer gemeinsamen Farbe markiert. Die Schädel des modernen Menschen erweisen sich als sehr vielgestaltig. Sie lassen sich mehreren unterschiedlichen Gruppen zuordnen. Zugleich unterscheiden sie sich deutlich von den Schädeln des Neandertalers und archaischer Menschenformen.
Deshalb haben Forscher um den Anthropologen Gerhard Weber von der Universität Wien nun aus der Not eine Tugend gemacht und erhaltene Schädelknochen verschiedenster Frühmenschen auf morphologische Merkmale hin analysiert, um daraus Verwandtschaftsbeziehungen abzuleiten. Mit einem Computertomographen scannten sie rund 200 Schädel und versahen ihre virtuellen Ebenbilder mit jeweils rund 500 repräsentativen Messpunkten. Dies erlaubte in Verbindung mit komplexen mathematischen Methoden einen exakten anatomischen Vergleich der Funde.
Dem überraschenden Ergebnis zufolge zeichneten sich die frühen modernen Menschen durch eine besonders große Variabilität in ihren Schädelformen aus. Zugleich ähneln sie den heute lebenden Menschen stärker als beispielsweise dem Neandertaler oder anderen archaischen Gruppen. Daraus schließen die Wiener Forscher, dass die Besiedlung Eurasiens durch verschiedene Populationen in mehreren Migrationswellen erfolgte. Bevor der Homo sapiens aus Afrika aufbrach, hatte er sich dort offenbar schon in diverse räumlich getrennte Fraktionen aufgespalten. Diese erreichten Eurasien vermutlich auch auf unterschiedlichen Wegen.
Diese Erkenntnis widerspricht der bisherigen Ansicht, dass es nur eine Auswanderungswelle gab. Die Besiedlung der Erde durch den Menschen verlief anscheinend ungleichförmiger und dynamischer als bisher gedacht.
Christian Tack
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