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News: Den Appetit attackiert

Eine ganze Horde von Eiweißstoffen bestimmt, wann und wie oft wir Nahrung zu uns nehmen. Möglicherweise lässt ein gegen den eigenen Körper gerichteter Immunangriff dieses komplexe Netzwerk aus den Fugen geraten und stellt damit die Ursache von Essstörungen dar.
Neuronen
Sich schön hungern. Vor allem junge Frauen erliegen diesem Wunsch nach körperlicher Perfektion. Doch das Hungern kann krankhafte Züge annehmen. Rund drei Prozent der Frauen entwickeln Essstörungen, zu denen in erster Linie die Magersucht (Anorexia nervosa) und die Ess-Brechsucht (Bulimia nervosa) zählen.

Nach Ansicht der Psychologen liegt dem gestörten Essverhalten in beiden Fällen eine ausgeprägte Sorge um das Gewicht und die Figur zu Grunde. Während Anorexie-Patienten dem Essen so abgeneigt sind, dass sie ein mitunter lebensbedrohliches Untergewicht entwickeln, halten Bulimie-Patienten in aller Regel ihr Gewicht konstant, indem sie nach ungezügelten Fressattacken erbrechen. Ärzte und Psychologen verstehen das als Symptom einer psychischen Erkrankung und verschreiben daher ein breites Spektrum an Therapien, die von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, über Gestaltungstherapie bis hin zu Familientherapie reichen.

Doch nicht jeder Mensch mit Essstörungen ist psychisch krank. Das behauptet zumindest das Team um Serguei Fetissov vom Karolinska Institutet in Stockholm. Zunächst haben die Forscher 28 Anorexie-Patientinnen und 22 Bulimie-Patientinnen Blut entnommen. Das aus dem Blut gewonnene Serum enthält Antikörper, die im Normalfall ausschließlich gegen körperfremde Strukturen gerichtet sind, darunter Oberflächenstrukturen von Viren und Bakterien. Bei Patienten mit Autoimmunkrankheiten befinden sich zusätzlich solche Antikörper im Serum, die fatalerweise körpereigene Proteine erkennen.

Die Wissenschaftler ließen das Serum mit histologischen Schnitten aus Rattengehirnen reagieren und färbten am darauffolgenden Tag die an Zielstrukturen gebundenen Antikörper an. Der Blick durchs Mikroskop verursachte bei den Forschern Erstaunen: Offensichtlich hatten rund drei Viertel aller Patienten mit Essstörungen Antikörper gebildet, die sich gezielt an appetitregulierende Regionen des Hypothalamus hefteten. Derartige Autoantikörper fanden sie nur in 16 Prozent der Blutproben von gesunden Menschen.

Dabei richteten sich die Antikörper vor allem gegen die Neuronen, die Appetit-regulierende Neuropeptide wie das alpha-melanocytenstimulierende Hormon (alpha-MSH) produzieren. Die Forscher vermuten, dass dieser Autoimmunangriff jene Netzwerke beeinträchtigt, die Nahrungsaufnahme und Fettverbrennung steuern: "Die Antikörper verhindern möglicherweise, dass Nervenzellen auf die appetitregulierenden Hormone reagieren können", erklärte Fetissov, "und tragen somit zu einem krankhaften Essverhalten bei."

Um diese Ergebnisse zu stützen, fassen die Wissenschaftler nun neue Projekte ins Auge: Zunächst wollen sie untersuchen, ob die verdächtigen Antikörper tatsächlich Auslöser und nicht Symptom des gestörten Essverhaltens sind. Trifft das zu, dann stellen diese Antikörper ein geeignetes Werkzeug zur Diagnose von Bulimie und Anorexie dar, so die Forscher. Und möglicherweise irgendwann auch den Schlüssel zur medikamentösen Therapie.

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