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Rindertuberkulose: Der Dachs, ein Rindermörder?

Die einen wollen ihn schützen, die anderen sähen ihn am liebsten tot. Warum die britische Regierung erneut tausende Dachse opfern wird - für eine nachweislich erfolglose Maßnahme.
Der liebste Feind der Rinderzüchter

Die Rindertuberkulose hat England und Wales fest im Griff. Wieder mussten massenhaft Rinder notgeschlachtet werden, allein im vergangenen Jahr waren es 28 000 Tiere. Und für Regierung und Rinderhalter steht fest: Der Dachs ist schuld, und deshalb muss er weg.

In den nächsten Monaten geht es daher dem liebsten Feind britischer Bauern erneut an den Kragen: Bis zu 2000 Dachse sollen in drei Grafschaften geschossen werden. Es droht eine Wiederholung der beiden vergangenen Herbste – mit Bauern, die sich nachts auf die Lauer legen, mit Tierschützern, die mit Vuvuzelas die Dachse vor dem Abschuss retten, mit Demonstrationen und öffentlichen Debatten. Denn anders als Behörden und Landwirte sehen die Mehrheit der Bevölkerung, die Opposition und die Tierschutzverbände im Dachs ein unschuldiges Opfer. Andere EU-Länder wie Deutschland haben die Rindertuberkulose schon vor Jahrzehnten besiegt, ohne dem vermeintlichen Überträger den Garaus zu machen. Stattdessen schrieben sie regelmäßige Hauttests und konsequente Notschlachtungen vor.

Warum die gleiche Strategie in Großbritannien bis heute nicht funktioniert, kann niemand mit Sicherheit sagen. Klar ist nur, dass die Zahl der infizierten Tiere seit den 1980er Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Seitdem Molkereien zu Beginn des 20. Jahrhunderts anfingen, Milch zu pasteurisieren, stellen die Krankheitserreger für den Menschen keine Gefahr mehr dar. Viel entscheidender ist der wirtschaftliche Aspekt.

Demonstration gegen die Dachsjagd | Die Gegner der Dachsjagd fahren allerlei Geschütze auf, um ihren Unmut pressewirksam kundzutun. Verkleidungen im Dachsoutfit sind fast schon Pflicht.

Denn Tuberkulose ist eine langsam und schleichend verlaufende Erkrankung mit langer Inkubationszeit: Ein infiziertes Rind erkrankt erst Wochen oder Monate nach der Infektion. Es siecht dann langsam vor sich hin, hat ein verzögertes Wachstum und gibt weniger Milch. Die Erträge sinken, und schlimmer noch: Das kranke Rind kann in dieser Zeit den Erreger an die ganze Herde weitergeben. Es droht der Totalverlust.

Damit es gar nicht erst dazu kommt, muss eine Infektion möglichst früh erkannt werden. In Gebieten mit vielen Tuberkulosefällen sind jährliche Tests deshalb gesetzlich vorgeschrieben. Beim so genannten Tuberkulintest erhalten die Tiere eine Injektion mit einer winzigen Menge des abgetöteten Erregers. Sind sie krank, schwillt die Haut um die Einstichstelle stark an.

Allerdings hat das seinen Preis. 100 Millionen Pfund lässt sich der britische Staat die Bekämpfung und Erforschung der Krankheit jährlich kosten. Hinzu kommt: Der Tuberkulintest ist ungenau. Etwa jedes fünfte erkrankte Tier zeigt keine Reaktion und entgeht so der Notschlachtung. Als unerkannte Erregerschleuder kann es die Stallgenossen weiterhin anstecken. Diese Tatsache ist seit Langem bekannt.

Dachs und Rind: Rendezvous bei Nacht?

Dennoch hat sich die National Farmers Union (NFU), die größte landwirtschaftliche Vereinigung in England und Wales, auf den Dachs als die Quelle allen Übels eingeschossen: Nach ihrer Auffassung ist es vor allem ihm anzulasten, dass die Ausrottung der Rindertuberkulose bisher gescheitert ist. Der Dachs schleppe den Erreger immer wieder in die Rinderbestände ein.

Wissenschaftlich bewiesen ist, dass Dachse an Rindertuberkulose erkranken. Und auch, dass sich die ungleichen Tierarten gegenseitig anstecken. Dabei treffen sie nur selten direkt aufeinander, vielmehr überschneiden sich ihre Lebensräume. Dachse ernähren sich vor allem von Regenwürmern, die sie in großer Zahl in der aufgelockerten Erde feuchter Rinderweiden finden. Zum Problem wird ihre Reinlichkeit: Um die unterirdischen Baue, die von Familienverbänden mit durchschnittlich sechs Tieren bewohnt werden, sauber zu halten und gleichzeitig ihr Revier zu markieren, benutzen sie meist Gemeinschaftstoiletten, so genannte Latrinen. Diese befinden sich oft auf Weiden und können Rinder in Kontakt mit großen Mengen der widerstandsfähigen Bakterien bringen. Hin und wieder streunen Dachse nachts auf der Suche nach Nahrung auch über Bauernhöfe und erleichtern sich ins Rinderfutter.

Englische Rinderweide | Die englische Landschaft ist Idylle pur – und ein idealer Lebensraum für Dachse. Der vermeintliche Überträger der Rindertuberkulose ist britischen Landwirten seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge.

Eine Frage der Methode

Die Idee, Dachse zu töten, um sich damit auch des Erregers der Rindertuberkulose zu entledigen, ist in England keineswegs neu. Heutzutage sind lediglich die moralischen Bedenken stärker ausgeprägt. Über Jahrzehnte war es offizielle Praxis, Dachsbauten mit Zyanid zu vergasen. Nachdem ein Verbot dieses Vorgehen 1982 stoppte, verlegten sich Dachsgegner darauf, die Tiere abzuschießen. 1992 wurde auch dies verboten.

Doch die Forderung blieb – auch wenn es seinerzeit keinerlei wissenschaftlichen Beweis für den Nutzen der Dachskeulung gab. Erst die Studien, die die Regierung Ende der 1990er Jahre und zu Beginn des neuen Jahrtausends in Auftrag gab, brachten ein eindeutiges Ergebnis: Dachse zu töten, kann tatsächlich dazu führen, dass weniger Rinder an Tuberkulose erkranken. Allerdings tritt dieser Effekt nur ein, wenn man den Großteil der Dachspopulation in einem gegebenen Gebiet auslöscht. Erlegt man lediglich ein paar von ihnen, erkranken sogar mehr Rinder. Denn die überlebenden Dachse werden durch die Jagd aufgescheucht und verlassen ihr angestammtes Revier. So tragen sie Krankheitserreger viel weiter, als wenn sie ungestört in ihrem Bau geblieben wären. Die Studien kamen deshalb zu dem Fazit: Nur eine nahezu vollständige Ausrottung der Dachse verspreche Erfolg, doch das sei nicht nur ethisch unvertretbar, sondern auch unbezahlbar. Die bewährte Methode, Dachse in einem Käfig zu fangen und dann zu erschießen, kostete pro Tier mindestens 1800 britische Pfund.

An der öffentlichen Diskussion änderten diese Erkenntnisse erstaunlich wenig: Naturschützer und andere Gegner der Dachstötung sahen sich in ihrer Ansicht bestätigt, prominente Unterstützer wie David Attenborough oder der ehemalige "Queen"-Gitarrist Brian May verschafften zusätzliche Publicity. Doch die National Farmers Union war von ihrer tödlichen Abneigung gegen die Dachse nicht abzubringen und wollte weiterhin Blut sehen.

Ihre Forderungen wären wohl ungehört geblieben, wäre es 2010 nicht zu einem Regierungswechsel gekommen. Die pro Dachs eingestellte Labourregierung hatte den Abschuss nur im Rahmen wissenschaftlicher Studien erlaubt. Doch nun kamen die Konservativen um Premierminister David Cameron an die Regierung, die traditionell eher auf Seiten der Landwirte stehen. Mit einer findigen Idee schlugen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie kamen den Forderungen der Landwirte nach, indem sie ihnen die Jagd auf Dachse erlaubten. Gleichzeitig senkten sie die eigenen Ausgaben, indem sie den Bauern die Kosten für den Abschuss aufbürdeten. Diese durften die Tiere nun zudem ganz ohne Käfigfallen aus der Entfernung schießen, was die Angelegenheit wiederum ein wenig preiswerter machte.

Mit Vuvuzelas Dachse retten

Testweise und auf zwei Grafschaften begrenzt erhielten Landwirte und Jäger im Herbst 2013 und 2014 entsprechende Lizenzen. Doch der Schuss ging nach hinten los: Britische Medien berichteten von zahlreichen Fällen, in denen angeschossene Dachse langsam und qualvoll verendeten. Jäger erhielten daraufhin anonyme Morddrohungen. Tierschützer zogen nachts mit Vuvuzelas in den Wald, damit die Dachse sich in ihrem Bau verkrochen. Die britische Regierung hatte mit ihrer Aktion das Ziel, eine ausreichend große Zahl an Dachsen human und effizient zu töten, gründlich verfehlt. Dennoch werden dieselben Maßnahmen nun fortgesetzt und sogar auf eine weitere Grafschaft ausgedehnt.

Der wahre Schuldige | Die Familie der Mykobakterien ist groß und vielfältig: Obwohl auch Menschen mit dem Erreger Mykobakterium bovis an Rindertuberkulose erkranken können, infizieren wir uns eher mit einem anderen Mitglied aus der Familie: Mykobakterium tuberculosis. In den Industrienationen ist die Tuberkulose teils wieder auf dem Vormarsch. Das Rind hat damit allerdings nichts zu tun. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch.

Unabhängig von der Methode blieb die entscheidende Frage weiterhin offen: Würde mit den Dachsen auch die Rindertuberkulose vollständig verschwinden? Wissenschaftler wie Matthew Keeling und sein Team von den Universitäten Cambridge und Warwick halten das für unwahrscheinlich. Abgesehen von der Tatsache, dass auch andere Wildtierarten wie Hirsche Träger des Bakteriums sein können, sind die Forscher davon überzeugt, dass sich Rinder den Erreger tatsächlich nur selten bei den Dachsen einfangen. Laut Keelings eigener Untersuchung stecken sie sich vielmehr permanent gegenseitig an und erhalten so den Infektionszyklus aufrecht. Tuberkulosebekämpfung müsse deshalb im Rinderstall ansetzen, findet der Forscher. Keeling und sein Team rieten sogar, die gesamte Herde zu schlachten, sobald ein einziges Tier infiziert ist.

Weniger drastisch ist dagegen die Empfehlung von Matthew Evans von der Queen Mary University in London. Zusammen mit einem Forscherkollegen entwickelte er ein Computermodell, das den Nutzen häufigerer Tuberkulintests simulieren sollte. Tatsächlich stellte sich dies als weitaus effektiver heraus, als Dachse zu töten. Regelmäßig wiederholte Anwendungen scheinen die Ungenauigkeiten des Tests zu einem gewissen Grad auszugleichen. Folglich würde man mehr kranke Rinder ausfindig machen. "Langfristig ist es auf diese Weise sogar denkbar, die Krankheit gänzlich auszurotten", sagt Evans.

Doch solchen wissenschaftlichen Ergebnissen begegnet man in Landwirtschaftskreisen mit Misstrauen und Skepsis, wie die Reaktion des britischen Bauernverbands auf Evans Studie zeigt. Im Rahmen der Untersuchung hatte der Forscher die Hypothese aufgestellt, dass Rinder sich vor allem im Winter gegenseitig mit der Krankheit anstecken. Im engen Stall haben sie viel weniger Platz als auf der Sommerweide und kommen zwangsläufig häufiger miteinander in Kontakt. Ein Sprecher der NFU bezweifelte das: "Die Erfahrungen der Landwirte sehen anders aus. Das größte Risiko besteht dann, wenn die Rinder im Frühjahr auf die Weide kommen." Denn dort würden sie auf infizierte Dachse treffen.

Ein Dachs in der Falle | Für wissenschaftliche Studien, zur Impfung, aber auch zum anschließenden Abschuss werden Dachse oft zunächst in Käfigen gefangen. Als Köder dienen Erdnüsse. Der Käfig wird am Eingang zum Bau platziert. Ist der Dachs im Käfig, schnappt die Falle zu.

Nicht bedacht habe der Verband bei dieser Argumentation, dass die Krankheit bei den Rindern oft erst nach Wochen oder Monaten ausbricht, hält Evans dagegen. Ein krankes Rind im Frühjahr kann sich also durchaus bereits im Winter angesteckt haben.

Hat sich die Rindertuberkulose im Stall erst einmal breitgemacht, lebt der Landwirt mit den Konsequenzen: Als Leiter seines Betriebs ist er für eine Weile praktisch entmündigt. Denn dann greifen die gesetzlich vorgeschriebenen Bekämpfungsmaßnahmen. Tuberkulöse Rinder müssen zum Schlachter. Zwar wird der Besitzer aus öffentlicher Hand entschädigt, doch die gesamte Herde ist für mehrere Monate gesperrt, der Landwirt darf seine Rinder weder transportieren noch verkaufen. In dieser Zeit der gesetzlich verordneten Tatenlosigkeit bleibt ihm als einzige aktive Maßnahme nur die Dachsjagd – ob sie nun hilft oder nicht, ist vielen dabei vielleicht zweitrangig.

Die aktuelle Situation in Deutschland

Deutschland gilt seit 1997 offiziell als frei von Rindertuberkulose. Dachse gibt es dagegen bundesweit so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Noch in den 1970er Jahren waren sie in weiten Teilen Deutschlands fast ausgerottet: Auch hier zu Lande vergasten Jäger ihre Baue und töteten sie zu Tausenden. Der Grund dafür war jedoch nicht Rindertuberkulose, sondern Tollwut. Das Gas galt den Füchsen, mit denen Dachse oft ihren Bau teilen. Aber auch die Rindertuberkulose erlebt derzeit vereinzelt ein Comeback: In Bayern mussten die Behörden seit 2012 etwa 1000 Rinder töten lassen. Anders als in England, wo Tuberkulose niemals ganz aus den Rinderställen verschwunden ist, gilt im aktuellen Fall die Annahme durchaus als realistisch, dass Wildtiere den Erreger eingeschleppt haben. Im Fokus der Ermittlungen stehen vor allem Rothirsche. Die Behörden testeten aber auch andere Wildtierarten wie Murmeltiere, Gämsen und Dachse. Sie alle waren tuberkulosefrei.

Die aktuelle Regierung scheint den Landwirten diese Maßnahme, die aus Sicht vieler Wissenschaftler bestenfalls Placebowirkung hat, gerne zu gestatten. Denn für sie ist die Dachsjagd das kleinere und preisgünstigere Übel. Während Jäger und Landwirte die Kosten für die Jagd tragen, muss die Regierung für alles rund um die Tuberkulose beim Rind aufkommen. Sie erstattet nicht nur die Kosten für die Notschlachtung erkrankter Tiere, sondern zahlt auch die Tuberkulintests. Häufigere Untersuchungen und in der Folge mehr notgeschlachtete Rinder würden die Ausgaben weiter in die Höhe treiben.

Selbst wenn von nun an vermehrt getestet würde, rechnet Evans vor, würde die Ausrottung der Rindertuberkulose noch Jahre dauern. Vielleicht ist dann bereits eine neue Regierung an der Macht, die sich für den Sieg über die Krankheit feiern lässt. Den Verantwortlichen dürfte es so gesehen nicht ungelegen kommen, dass die National Farmers Union die häufigeren Tests ablehnt. Bei einer Erhöhung der Frequenz von ein- auf zweimal pro Jahr müsste man die Rinder nicht nur im Winter im Stall, sondern auch im Sommer testen, wenn sie verstreut auf den Weiden unterwegs sind. Unpraktikabel findet das die NFU.

Impfen statt schießen?

Die Situation ist festgefahren. Und solange es praktischer und billiger erscheint, Dachse abzuschießen statt nachhaltigere Maßnahmen zu ergreifen, wird sich daran vermutlich wenig ändern.

Wales hat sich für eine Alternative zur Jagd entschieden: Die Lokalregierung startete kürzlich ein Impfprogramm für Dachse. Ein möglicher Nutzen wird sich erst auf lange Sicht herausstellen. Aber auch Dachse zu impfen, ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss: Das Verfahren ist sehr teuer und bei bereits infizierten Dachsen wirkungslos.

Eine einzige Methode gibt es hingegen, die alle Beteiligten zufrieden stellen würde: die Impfung für das Rind. Dachse wären vor den Jägern sicher, Rinder vor Tuberkulose. Forscher arbeiten seit Jahren daran. Der Impfstoff selbst ist auch nicht das Problem, für den Menschen gibt es ihn schon lange. Doch EU-Bestimmungen verlangen, dass kranke und geimpfte Rinder eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Dafür braucht es neben dem passenden Impfstoff auch einen geeigneten Test. Diese Kombination liegt derzeit aber noch in weiter Ferne.

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