Artenschutz: Der Nashorn-Krieg
Friedlich rupft die Nashornkuh am trockenen Savannengras, ihr sechs Wochen altes Kalb tollt übermütig um sie herum. Die beiden Tiere können sich relativ sicher fühlen, denn ihr Besitzer hat ihre Hörner vergiftet. Broschüren und Schilder rund um den Park weisen darauf hin. Ed Hern, Eigentümer des 1200 Hektar großen Naturreservats "Rhino and Lion Park" in der Nähe von Johannesburg, will auf diesem Weg seine Tiere davor bewahren, Opfer eines zunehmend häufigeren Verbrechens in Südafrika zu werden: der Nashorn-Wilderei. 2010 verlor der 70-Jährige eine trächtige Nashornkuh und ihr Junges an Wilderer und beschloss daraufhin, nicht weiter "untätig herumzusitzen".
Zusammen mit Tierärzten entwickelte er ein Gift, das sich im Horn der Tiere verteilt. Für sie ist es ungefährlich, Menschen aber, die ein auf diese Weise behandeltes Horn konsumieren, ergeht es übel. "Wird das Horn zerrieben, färbt es sich rot. So weiß jeder, dass es vergiftet wurde", sagt Hern. Der Farbstoff sorge außerdem dafür, dass die Hörner oder das daraus gewonnene Pulver im Röntgenlicht der Gepäckkontrollen an Flughäfen leuchten.
Die Methode erscheint radikal. Doch sie zeigt vor allem eines: die ohnmächtige Verzweiflung der Nashornhalter. Südafrika wird mehr und mehr zum Schauplatz einer gnadenlosen und äußerst effizient organisierten Jagd auf Nashörner. Ihre Besitzer, meist wesentlich schlechter ausgerüstet als die Wilderer, wissen nicht, wie sie ihre Tiere schützen sollen. Bis 2008 wurden jährlich gut ein Dutzend Nashörner in Südafrika gewildert. 2011 stieg die Zahl auf 448 tote Nashörner. Und in diesem Jahr haben bereits wieder 100 Tiere ihr Leben verloren.
Perfekt ausgerüstete Kriminelle
Die meisten Hörner werden anschließend nach Vietnam oder China geschmuggelt, wo Nashornpulver als Heilmittel gilt. "Es handelt sich zweifelsohne um organisiertes Verbrechen, bei dem mächtige Verbände ihre Hände im Spiel haben", sagt Jacques Flamand, Nashornexperte beim WWF Südafrika. Die Wildererbanden sind perfekt ausgerüstet: Mit modernen Nachtsichtgeräten spüren sie Nashörner aus mehreren Kilometern Entfernung auf, Hightech-Armbrüste und kleine, leichte Hubschrauber ermöglichen den Wilddieben eine nahezu geräuschlose Verfolgung ihrer Beute. Meist schlagen die Wilderer nachts zu. Haben sie ein Nashorn erspäht, dauert es nur wenige Minuten, bis sich die Säge durch das Fleisch des erschossenen Tieres arbeitet. Zurück bleibt ein tonnenschwerer Kadaver. Sein Kopf liegt mit der klaffende Wunde über der Nase in einer Blutlache.
Diese Massaker sind eine Wiederholung der Geschichte: Heute gibt es in ganz Afrika noch 20 000 Breitmaul- und 4800 Spitzmaulnashörner, von denen 83 Prozent laut dem WWF in Südafrika leben. Schon einmal wären beide Arten im 20. Jahrhundert wegen ihrer begehrten Zierde fast vollständig ausgerottet worden. 1993 kamen sie unter den Schutz des Washingtoner Artenschutzabkommens, jeglicher Handel mit Nashornprodukten war damit verboten. Intensive Zuchtprogramme und Artenschutzprojekte vor allem in Südafrika sowie die Entdeckung des Rhinozeros als touristisches Wirtschaftsgut trugen dazu bei, dass sich die Tiere erfolgreich vermehrten.
So wertvoll wie Gold
Nicht alle diese Nashörner leben allerdings in staatlichen Nationalparks, ein Teil der Tiere wird in privaten Reservaten gehalten, wo sie für den Export, für kleinere Safariparks und sogar für die Trophäenjagd gezüchtet werden. Bis vor vier Jahren war ein ausgewachsenes Nashorn bis zu 60 000 Euro wert. Heute sind es nur noch rund 30 000 Euro, weil das Risiko gestiegen ist, dass man die Tiere durch Wilderei verliert. Auf dem Schwarzmarkt in China dagegen bringt ein durchschnittlich großes, sieben Kilogramm schweres Horn gut 350 000 Euro ein. "In diesen Ländern nimmt die Anzahl wohlhabender Menschen zu und damit die Nachfrage nach traditioneller Medizin", erklärt Flamand einen der Gründe für den erhöhten Hornbedarf.
China hat zwar das Washingtoner Artenschutzabkommen unterschrieben, und offiziell ist der Handel mit Nashornmehl dort verboten, aber unter der Hand floriert das Geschäft. Das Pulver wird gegen vielerlei Leiden eingesetzt, hauptsächlich aber zum Fiebersenken. Das Gerücht, dass ein angesehener Politiker seinen Krebs damit geheilt habe, verschärft die Situation der Nashörner noch zusätzlich. Dabei haben schon verschiedenste wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass Nashornpulver keinerlei medizinische Wirkung hat: Es besteht aus Keratin, dem gleichen Material wie unsere Haare und Nägel. "Fingernägelkauen dürfte die gleiche Wirkung haben", betont deshalb Arne Schiotz vom WWF. Doch der (Aber-)Glaube ans Horn ist bei vielen Menschen in Asien offensichtlich unerschütterlich.
Noch übersteigt die Wilderei die Fortpflanzungsrate der Tiere nicht. Geht das Schlachten aber in diesem Tempo weiter, könnte die Schwelle Mitte des Jahres überschritten werden, weshalb Wissenschaftler und Naturschützer aufs Äußerste alarmiert sind. Der asiatische Markt ist riesig; wird die Nachfrage nicht gebremst, gefährdet dies die beiden afrikanischen Nashornarten ernsthaft. Denn der Schutz der Dickhäuter ist schwierig. "Die Gebiete, in denen die Tiere leben, sind so weitläufig, dass man nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein kann", erklärt Wouter van Hoven, Professor für Wildtiermanagement an der University of Pretoria.
Der Feind in den eigenen Reihen
Zwei Drittel aller gewilderten Nashörner werden im Krüger-Nationalpark gefunden, wo auch mit Abstand die meisten Rhinozerosse leben. 400 Ranger bewachen den Park, aber angesichts seiner Größe – er ist etwa halb so groß wie die Niederlande – ist das kein leichtes Unterfangen. In einigen Fällen wurde zudem bekannt, dass Parkmitarbeiter beim Wildern der Tiere mitgeholfen hatten. Und erst Anfang März wurden vier Mitarbeiter verhaftet, nachdem kurz vorher zwei tote Nashörner gefunden worden waren. Drei arbeiteten als Ranger im südlichen Teil des Nationalparks, wo seit Anfang des Jahres elf Tiere gewildert wurden. "Es ist so viel Geld im Spiel – die Versuchung muss riesig sein", sagt Flamand resigniert. Und der Kampf um den Erhalt der Tiere wird blutiger: Das Umweltministerium von Südafrika hat 2010 eine Wildtierschutzeinheit (National Wildlife Crime Reaction Unit) ins Leben gerufen, die eng mit der Polizei zusammenarbeitet. 2011 wurden über 200 Wilderer verhaftet, 26 erschossen – doch die eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund kommen meist davon.
Erbgutproben von Nashörnern und das Einsetzen von Mikrochips in die Hörner sollen die Aufklärungsrate der Verbrechen in Zukunft verbessern. Über das Global Positioning System (GPS) lässt sich die Position der Tiere am Computer verfolgen; ein solchermaßen markiertes Horn ließe sich theoretisch über Ländergrenzen hinweg verfolgen. Auch Hern hat seine Nashörner mit einem Chip ausgestattet und DNS-Proben abgegeben. "Aber was bringt es mir, wenn ich per Satellit verfolgen kann, dass das Horn eines meiner Rhinos gerade auf dem Weg nach China ist?", fragt der Parkbesitzer und setzt lieber auf Vorbeugung. Seinem Beispiel folgen auch einige seiner Kollegen, allerdings haben sie ihren Nashörnern das Horn amputieren lassen. Diese Methode mindert jedoch den Wert eines lebenden Dickhäuters erheblich, da es ohne Horn für Safaritouristen weniger attraktiv ist.
Selbst Museen sind nicht mehr sicher
Mittlerweile weiten sich die Rhino-Kriege aus: Selbst in Europa gehen die Wilderer nun auf Nashornjagd – in Museen. "Deutlich mehr als zehn Fälle" habe es im deutschsprachigen Raum bereits gegeben, sagt Norbert Niedernostheide vom Deutschen Museumsbund. Hinzu kommen Diebstähle in Frankreich, Italien, Portugal und Großbritannien. Mittlerweile hat sich die europäische Polizeibehörde Europol eingeschaltet, das Bundesamt für Naturschutz hatte bereits im Oktober 2010 auf die "erschreckend angewachsene" Nachfrage nach Nashornprodukten reagiert und die Vorschriften für deren Wiederausfuhr verschärft. Und noch ist zwar kein Nashorn in einem zoologischen Garten angegriffen worden, aber die Tierparks sind auf alles gefasst und haben ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt.
Angesichts der eskalierenden Situation denken deshalb in Afrika viele private Tierparkbesitzer und Wissenschaftler über eine marktwirtschaftliche Lösung des Problems nach: die Legalisierung des Hornhandels. Werde die Nachfrage legal bedient, würde dem lukrativen illegalen Handel der Boden entzogen, so die Theorie. Tatsache ist, dass die Volksrepublik China in den vergangenen fünf Jahren rund 150 Nashörner aus Südafrika importiert hat. Zur Errichtung eines Safariparks, heißt es offiziell. Doch die Hinweise häufen sich, dass man dort Nashörner züchten will, um ihr Horn zu ernten. Dieses wächst, wie Haare und Fingernägel beim Menschen, kontinuierlich nach – bis zu zehn Zentimeter im Jahr.
Dem amerikanischen Magazin "TIME" zufolge meldete China im Juni 2010 ein wegweisendes Patent an: ein Horn-Abschabe-Gerät, das am lebenden Tier zum Einsatz kommen soll. Das ist momentan noch illegal, da die Tiere unter Artenschutz stehen, weshalb der Handel mit ihren Produkten verboten ist. Der Wissenschaftler van Howen ist jedoch davon überzeugt, dass Nashornfarmen die Wilderei reduzieren würden: "Wenn ein Heiler in China Nashornpulver direkt von einer Farm bestellen kann, muss er nicht mehr mit Wilderern und Schmugglern verhandeln, die den Preis hochtreiben." WWF-Experte Flamand ist jedoch anderer Ansicht: "Die Horn-Freigabe könnte den Handel und die Wilderei erst richtig antreiben." So habe eine entsprechende Legalisierung von 107 Tonnen Elfenbein im Jahre 2008 die Wilderei auf Elefanten weiter verstärkt.
Im staatlichen Krüger-Nationalpark patrouilliert deshalb nun das Militär entlang der rund 300 Kilometer langen Grenze zu den Nachbarstaaten Simbabwe und Mosambik, von wo viele Wilderer eindringen und wohin das Horn oft transportiert wird. "Uns hilft niemand", klagt dagegen Hern, während er mit dem Feldstecher nach weiteren Nashörnern sucht. Der Parkbesitzer gibt deswegen 3000 Euro pro Monat für bewaffnete Wachleute aus: Bei Sonnenuntergang machen sie die Nashörner in seinem Park ausfindig und folgen vor allem den Kühen mit ihren Jungen als persönliche Leibwächter auf Schritt und Tritt durch die Nacht.
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