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Asteroiden: Der Tscheljabinsk-Bolide - sein Ursprung und seine Folgen

Der Bolide vom 15. Februar 2013 erregte weltweit großes Aufsehen, da er über der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk auseinanderbrach und durch seine Druckwelle beträchtliche Schäden am Boden anrichtete. Das Ereignis war aber auch ein Glücksfall für die Meteoritenforscher. Rund neun Monate nach dem Einschlag stellen nun drei Wissenschaftlergruppen ihre Erkenntnisse über den Gesteinsbrocken vor.

Jiri Borovicka vom Astronomischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Ondrejow und seine Koautoren werteten 15 im Internet frei verfügbare Videos von Überwachungskameras aus und konnten die Bahn und die Bewegung des Himmelskörpers durch die Atmosphäre rekonstruieren. Aus den abgeleiteten Werten schließen die Forscher auf einen Himmelskörper mit einer Masse von rund 12 000 Tonnen und einem Durchmesser von rund 19 Metern. Dabei gehen sie von einer mittleren Dichte von 3,3 Gramm pro Kubikzentimeter aus.

Bestätigte Meteoritenfunde vom Boliden von Tscheljabinsk | Die gelben Punkte geben die Fundorte von Meteoritenbruchstücken wieder, die nach dem Boliden vom 15. Februar 2013 im Umfeld um die Stadt Tscheljabinsk geborgen wurden. Im Tschebarkul-See ganz links wurde das größte Fragment mit einer Masse von rund 600 Kilogramm aufgespürt.

Aus den Videobildern rekonstruierten sie in Zusammenarbeit mit der zweiten Forschergruppe um Peter G. Brown an der University of Western Ontario eine Lichtkurve des Boliden und trugen dafür die Helligkeit des Feuerballs gegen die Zeit auf. Zudem nutzten sie die auf den Videos mitaufgezeichneten Knallgeräusche und ermittelten ihre Ankunftszeiten. Aus den Daten ergibt sich, dass in etwa 45 Kilometer Höhe erste Fragmente vom eintretenden Gesteinsbrocken abbrachen. Die stärkste Fragmentierung ereignete sich in Höhen zwischen 40 und 30 Kilometer, insgesamt konnten die Forscher elf Bruchereignisse ermitteln. In 30 Kilometer Höhe hatte sich der Bolide in 20 größere Brocken mit Massen von je zehn Tonnen zerlegt. Die Hauptmasse dürfte noch etwa 20 Tonnen gewogen haben.

Einschlagloch in der Eisdecke des Tschebarkul-Sees | Das größte bislang bekannte Bruchstück des Meteoriten von Tscheljabinsk ging am 15. Februar 2013 im Tschebarkul-See nieder und durchschlug dabei die Eisdecke. Das Loch hatte einen Durchmesser von rund sieben Metern. Im Oktober 2013 konnten Taucher ein rund 600 Kilogramm schweres Meteoritenfragment bergen.

Diese Brocken brachen in Höhen zwischen 26 und 24 Kilometer nochmals weiter auseinander, die Hauptmasse wog noch etwa zehn Tonnen. Sie zerlegte sich in einer Höhe von 22 Kilometern so intensiv, dass das größte Bruchstück nur noch eine Masse von 15 Kilogramm aufwies. Das im Oktober 2013 aus dem Tschebarkul-See geborgene, rund 600 Kilogramm schwere Trümmerstück stammt nicht von der Hauptmasse, sondern ist der Überrest eines der vorher abgetrennten Bruchstücke, der durch die Reibung in der Erdatmosphäre schon deutlich verlangsamt war.

Neben dem Trajektorium des Boliden in der Erdatmosphäre interessierte die Forscher um Borovicka auch die Bahn des Himmelskörpers durch unser Sonnensystem vor dem Einschlag. Aus den Bildern konnten sie seine Bahn rekonstruieren und stellten fest, dass sie derjenigen des Asteroiden 86039 (1999 NC43) sehr ähnlich ist. Sie vermuten daher, dass der Bolide von Tscheljabinsk tatsächlich ein Bruchstück dieses rund 2,2 Kilometer großen Asteroiden ist. Sie gehen von einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 10 000 aus, dass die Übereinstimmung der Bahnen nur rein zufällig ist. Bislang konnte nur von 18 beim Fall beobachteten Meteoriten ihre vorherige Bahn durch das Sonnensystem rekonstruiert werden, aber noch nie fand sich eine derartige Ähnlichkeit mit der Bahn eines bereits bekannten Asteroiden.

Die Flugbahn des Boliden von Tscheljabinsk | Der Feuerball des Boliden von Tscheljabinsk legte am 15. Februar 2013 innerhalb von wenigen Sekunden eine Strecke von mehr als 200 Kilometern zurück. Der Himmelskörper trat am rechten Ende der rot markierten Strecke in 97 Kilometer Höhe in die Erdatmosphäre ein und passierte die Stadt Tscheljabinsk im Süden. Das größte Meteoritenfragment mit einer Masse von rund 600 Kilogramm wurde im Tschebarkul-See geborgen, hier mit einem lila Stern markiert.

Die Arbeitsgruppe um Peter Brown untersuchte, wie groß die Gefahr durch Himmelskörper dieser Größe ist. Um die vom Boliden freigesetzte Energie zu bestimmen, griffen die Forscher auf seismische Messungen, Daten von Infraschallsensoren und die schon oben erwähnte Lichtkurve zurück. Nach ihren Daten setzte der Bolide bei seinem Niedergang zur Erdoberfläche eine Energie frei, die der Explosion von 500 Kilotonnen des Sprengstoffs TNT entspricht.

Nun erweiterten die Forscher um Brown ihre Datenbasis, indem sie auf Messwerte zurückgriffen, die Sensoren der US-Regierung über einen Zeitraum von rund 20 Jahren seit 1994 aufgezeichnet hatten. Diese Sensoren dienen der Überwachung des weltweiten Testverbots von nuklearen Waffen und bestehen unter anderem aus Detektoren für Infraschall oder Satelliten, die im Infraroten nach den Starts von Interkontinentalraketen oder nach Atombombenexplosionen Ausschau halten. Sie haben in dieser Zeit zahlreiche Ereignisse registriert, die auf Eintritte von Himmelskörpern in die Erdatmosphäre zurückgehen. Die Forscher stellten fest, dass der Fluss an solchen Objekten weit gehend den Vorhersagen der Impaktforscher entspricht. Nur bei Objekten im Größenbereich zwischen 15 und 30 Metern scheint die Häufigkeit etwa doppelt so hoch zu liegen, wie durch teleskopische Beobachtungen und aus der Verteilungsstatistik der Einschlagkrater auf dem Mond ermittelt wurde. Die Gründe hierfür sind noch unbekannt.

Das größte Fragment des Meteoriten von Tscheljabinsk | Rund 600 Kilogramm schwer ist das größte bekannte Fragment des Meteoriten von Tscheljabinsk. Es wurde erst im Oktober 2013, rund acht Monate nach dem Fall, von Tauchern aus dem Tschebarkul-See geborgen. Es befindet sich jetzt im Tscheljabinsker Staatlichen Museum für Lokale Geschichte.

Völlig unabhängig von den Wissenschaftlergruppen um Jiri Borovicka und Peter Brown untersuchte das internationale Forscherteam um Olga P. Popowa von der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau die Ereignisse um den Boliden. Wie die beiden erstgenannten Gruppen nutzten die Forscher um Popowa die Videobilder der Überwachungskameras und kommen zu vergleichbaren Resultaten. Die ersten Leuchterscheinungen, die vom Eintritt des kleinen Himmelskörpers ausgelöst wurden, begannen in einer Höhe von 97 Kilometern über Grund. Das Objekt trat mit einer Geschwindigkeit von 19,2 Kilometern pro Sekunde in die Erdatmosphäre ein. Der Eintrittswinkel war relativ flach und betrug 18,3 Grad relativ zum Horizont. Die Forscher um Popowa leiten eine Eintrittsmasse von 13 000 Tonnen und einen Durchmesser von 19,8 Metern für den kleinen Asteroiden ab, in guter Übereinstimmung mit den Angaben der beiden anderen Gruppen.

Die Größe und die Geschwindigkeit des Objekts weisen darauf hin, dass sich in etwa 90 Kilometer Höhe eine Stoßwelle ausbildete. In einer Höhe von etwa 83 Kilometern brachen erste Teile vom Himmelskörper ab, und es bildete sich ein Staubschweif entlang der Eintrittsbahn aus. Rund 30 Kilometer tiefer erhöhte sich die Fragmentationsrate, der Bolide bewegte sich zu diesem Zeitpunkt mit 18,6 Kilometer pro Sekunde. Die letzten Fragmentationen ließen sich in einer Höhe von 27 Kilometern erkennen. Der dabei entstandene Staubschweif spaltete sich durch den Auftrieb der heißen Gase in zwei Teile auf, die zu zwei zylindrischen Wirbeln führten.

In den Wochen nach dem Ereignis besuchte ein Teil der Forscher 50 Dörfer entlang der Absturzlinie, um die Glasschäden durch die Stoßwelle systematisch zu erfassen. In der Stadt Tscheljabinsk hatten rund 44 Prozent der Wohnhäuser gesprungene oder zerstörte Scheiben. Allerdings waren diese Schäden nicht gleichmäßig über die Stadt verteilt. Dieser Befund weist auf komplizierte Druckverteilungen beim Durchgang der Stoßwelle hin.

Auch die Helligkeit des Feuerballs ist bemerkenswert, er leuchtete im Maximum für Sekundenbruchteile 30-mal so hell wie die Sonne. In der Region befragte Personen berichteten zudem über intensive Wärme, die vom Feuerball ausging. Einige wenige Augenzeugen wiesen gar auf Sonnenbrand auf ihrer Haut hin, der möglicherweise durch die vom Feuerball ausgehende ultraviolette Strahlung verursacht wurde. Allerdings enthalten sich die Wissenschaftler hierzu eines Kommentars.

Popowa und ihre Koautoren gehen davon aus, dass im Bereich der Absturzstelle des Boliden etwa drei bis fünf Tonnen an meteoritischem Material niedergingen, dies entspricht etwa 0,2 bis 0,4 Prozent der Ausgangsmasse. Rund 76 Prozent des Boliden sind beim Atmosphäreneintritt verglüht, die restliche Masse wurde zum größten Teil zu Staub.

Die aufgefundenen Meteoritenbruchstücke gehören zur Klasse der LL-Chondriten. LL steht für "low iron, low metal" und bedeutet, dass dieser Meteorit nur geringe Mengen an metallischem Eisen und anderen Metallen wie etwa Nickel enthält. Die Bezeichnung Chondrit wurde vom griechischen Wort "chondros" (Korn) abgeleitet. Sie weist darauf hin, dass sich in diesem Gestein rundliche Körner mit Durchmessern von bis zu einigen Millimetern befinden. Sie gehen auf die Entstehungszeit des Sonnensystems vor rund 4,6 Milliarden Jahren zurück. Damit gehört das Material des Tscheljabinsk-Boliden zu einer der häufigsten Meteoritenklassen.

Dass der Meteorit schon in relativ großer Höhe über dem Erdboden auseinanderbrach, belegt nach Ansicht von Popowa und ihren Koautoren, dass das Gestein schon vorgeschädigt war. Es war offenbar von Sprüngen und Rissen durchzogen, entlang derer das Gestein schon bei geringer Druckbelastung in der Atmosphäre zerfiel. Mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen ermittelten die Forscher das Bestrahlungsalter der Meteoriten. Sie stellten fest, dass der Himmelskörper von Tscheljabinsk nur 1,2 Millionen Jahre als eigenständiges Objekt im Sonnensystem unterwegs war. Sie vermuten, dass vor 1,2 Millionen Jahren ein größerer Asteroid dicht an der Erde vorbeizog, wodurch durch Gezeiteneffekte Material abgetrennt wurde.

Die Untersuchungen des Boliden von Tscheljabinsk haben nicht nur die Meteoritenforschung bereichert, sondern erlaubten erstmals, die Effekte im Detail zu beobachten, die den Absturz eines größeren Himmelskörpers auf die Erde begleiten. Nun haben die Planetologen die Möglichkeit, die bisher aus den Daten von Atombombenexplosionen abgeleiteten Erkenntnisse mit der Realität zu vergleichen und ihre Modelle neu anzupassen.

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