Artensterben: Deutschland verarmt auch an Pflanzen
Um die Artenvielfalt in Deutschland ist es in vielen Bereichen schlecht bestellt: Viele Wirbeltier- und Insektenarten hier zu Lande gelten als bedroht und mussten in den letzten Jahrzehnten teilweise dramatische Bestandseinbrüche hinnehmen. Eine umfassende Studie zeigt nun, dass dies auch bei Pflanzen der Fall ist: Ein Team um David Eichenberg vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig wertete dazu 29 Millionen Daten zur Verbreitung von Gefäßpflanzen aus und veröffentlichte die Ergebnisse im Journal »Global Change Biology«. Sie zeigen, dass ein Großteil der hier heimischen Pflanzenarten mehr oder weniger stark verschwindet oder sogar ganz ausgestorben ,ist.
Mehr als 70 Prozent der 2000 untersuchten Spezies litt demnach in den letzten 60 Jahren unter Bestandsrückgängen, die durchschnittlich 15 Prozent betrugen. Pro Jahrzehnt starben zudem etwa zwei Prozent der vorhandenen Pflanzenarten aus, obwohl durch den internationalen Handel zahlreiche neue Gewächse eingeschleppt wurden, die sich regelmäßig neu ansiedeln und etablieren konnten. Besonders betroffen vom Schwund waren Vertreter der Ackerbegleitflora, also typische Arten der Kulturlandschaft wie Klatschmohn, Kornblume, Saatwucherblume, der Echte Frauenspiegel, der Große Klappertopf und der Gute Heinrich. Viele davon besiedelten Deutschland in den letzten Jahrtausenden im Gefolge der sich ausbreitenden Landwirtschaft aus Südosten.
Ihre Verluste konnten nicht durch in der Neuzeit eingebrachte Pflanzen wie das Drüsige Springkraut oder das Schmalblättrige Greiskraut ausgeglichen werden. Insgesamt nahm die Vielfalt pro betrachteter Flächeneinheit ab. Dabei spiegelt die Studie vor allem eher geläufige Arten wider: Von Natur aus seltene Pflanzen oder Spezies mit kleinem Verbreitungsgebiet blieben weitgehend außen vor.
»Die Ergebnisse haben uns in dieser Deutlichkeit wirklich überrascht. Sie zeichnen ein sehr düsteres Bild des Zustandes der Pflanzenvielfalt in Deutschland«, sagt Erstautor David Eichenberg von iDiv. »Sie haben bestätigt, dass die Rückgänge nicht auf die ohnehin seltenen oder besonders gefährdeten Arten beschränkt sind, sondern offensichtlich schon seit Längerem ein schleichender Biodiversitätsverlust der Mehrzahl der Pflanzenarten in Deutschland stattfindet.«
Über die Ursachen schweigt sich die Studie aus, doch dürften die Gründe denen anderer Artengruppen ähneln. In starkem Maß sind Pflanzen der Kulturlandschaft betroffen, die unter der intensivierten Landwirtschaft leiden: Herbizide und Düngungen sorgen dafür, dass nur sehr resistente und Stickstoff liebende Pflanzen überleben. Selbst abseits der genutzten Flächen sorgt der zusätzliche Eintrag von Nährstoffen aus der Luft – ebenfalls aus der Landwirtschaft sowie vom Verkehr –, dass artenreiche Magerlebensräume und die daran angepassten Pflanzen verschwinden. Dazu kommen Lebensraumzerstörung, welche wiederum besonders kleinräumige Extremstandorte besonders betreffen, etwa steppenartige Vegetation auf Gipsvorkommen oder Magerrasen auf Kalkfelsen.
Da Pflanzen am Anfang der Nahrungskette stehen, treffen ihr Rückgang über kurz oder lang schließlich Insekten oder Vögel. Sterben beispielsweise Orchideen aus, folgen parallel dazu speziell angepasste Bienen oder andere Insekten, die auf diese Pflanzen angewiesen sind. Die Autoren halten es daher für sehr wahrscheinlich, dass der beobachtete Rückgang der Pflanzenvielfalt sich massiv auf die Biodiversität und die Leistungen von Ökosystemen auswirkt.
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