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Sozialpsychologie: Warum Vorbilder für Frauen wichtig sind

Vorbilder inspirieren, motivieren und zeigen neue Möglichkeiten für die eigene Entwicklung auf. Für Frauen scheinen sie besonders wichtig zu sein – gerade dann, wenn ihr Weg sie in einen typischen "Männerberuf" führt.
Ingenieurin

Als der Actionfilm "Wonder Woman" im Juni 2017 in die deutschen Kinos kam, waren viele hellauf begeistert: endlich mal wieder ein Blockbuster mit einer Superheldin in der Hauptrolle! "Es ist absolut unglaublich, welchen Einfluss Identifikationsfiguren haben", stellte die deutsche Schriftstellerin Julia Bähr dazu in ihrem Blog fest. "Es ist viel leichter, sich in einer Position zu sehen, in der schon jemand ist, der einem ähnelt. Das bezieht sich auf Alter, Bildungsgrad – und eben auch aufs Geschlecht." Das nächste Mal, ergänzt Bähr, wünsche sie sich einen Film mit einer Vorstandsvorsitzenden in der Hauptrolle.

Tatsächlich sind viele Spitzenpositionen vornehmlich von Männern besetzt. In Deutschland steigt der Anteil von Frauen in den Chefetagen zwar kontinuierlich an, liegt aber gegenwärtig immer noch bei unter einem Drittel, so der "Führungskräfte-Monitor" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Auf eine Chefin kommen also immer noch zwei Chefs. Leider erhält sich dieses Missverhältnis zum Teil auch selbst aufrecht: In klassischen "Männerdomänen" haben es weibliche Neuankömmlinge mitunter schwer, ihren Platz in der Runde zu behaupten. Oft können sich selbst gut qualifizierte Frauen schlichtweg nicht vorstellen, dass diese Toppositionen überhaupt für sie in Frage kommen.

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Dieser Text ist der fünfte Teil unserer Serie "Mann und Frau". Weitere Teile, die bislang erschienen sind:

Teil 1: Kleiner Unterschied, große Ähnlichkeit – Männer und Frauen unterscheiden sich weniger, als viele glauben

Teil 2: Wie 'gender' darf die Sprache werden? – Ein Ende der Debatte ist noch nicht in Sicht

Teil 3: Warum Männer den Arzt scheuen – Wie kann man Menschen zu mehr Gesundheitsvorsorge animieren?

Teil 4: Wie wissenschaftlich ist die Gender-Forschung? – Eine Fachrichtung in der Kritik

Laut der kanadischen Psychologin Penelope Lockwood von der University of Toronto könnten hier weibliche Vorbilder den entscheidenden Unterschied machen. Für ihre Forschungsarbeit lud sie junge Studenten beiderlei Geschlechts zu einer Studie ein, in der es angeblich um die Beurteilung verschiedener journalistischer Stile ging – ein Vorwand, der die Teilnehmer vom eigentlichen Thema ablenken sollte. Sie sollten einen (frei erfundenen) Zeitungsartikel über einen erfolgreichen Absolventen der eigenen Universität lesen, der Herausragendes geleistet hatte und nun mit einem wichtigen Preis geehrt worden war. Die Texte waren maßgeschneidert, so dass sie stets perfekt auf das jeweilige Fachgebiet der Versuchsperson passten. Doch während die eine Hälfte der Teilnehmer einen Artikel über eine gewisse Jennifer Walker lasen, handelten die übrigen Texte von einem Jeffrey Walker.

Das Geschlecht der porträtierten Person sollte den entscheidenden Unterschied machen, zumindest für die weiblichen Teilnehmer: Legte man ihnen die Story über die erfolgreiche Frau vor, konnten sie sich besser mit der Person identifizieren und sahen ihre Leistung auch für sich selbst als erreichbar an – weitaus mehr, als wenn es sich um einen Mann handelte, der Herausragendes vollbracht hatte. Eine Jennifer taugte für Frauen offenbar viel besser als mögliches Vorbild als ein Jeffrey, sogar dann, wenn die Errungenschaften genau die gleichen waren. Für die männlichen Teilnehmer machte das Geschlecht hingegen keinen Unterschied: Sie konnten sich mit einem Mann ebenso gut identifizieren wie mit einer Frau. Lockwoods Erklärung für diesen Geschlechterunterschied: "Männer stoßen auf ihrem Karriereweg seltener auf geschlechtsspezifische Hindernisse oder negative berufliche Klischees", schreibt die Forscherin. "Deswegen könnte es für sie weniger bedeutsam sein, zu erfahren, dass eine Person ihres eigenen Geschlechts erfolgreich war."

Die Macht der Stereotype

Besonders wichtig ist diese Vorbildfunktion offenbar in Studiengängen, in denen Frauen traditionell unterrepräsentiert sind. Gerade die MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik und die naturwissenschaftlich-technischen Studiengänge, werden noch immer vorwiegend von Männern gewählt: 2015 waren knapp 32 Prozent aller MINT-Erstsemester Frauen. Häufig sehen sich die Studentinnen mit der Vorstellung konfrontiert, sie seien mathematisch weniger begabt als ihre männlichen Kommilitonen. Und genau dieses Klischee kann dazu führen, dass Frauen in standardisierten Leistungstests tatsächlich schlechter abschneiden als Männer. Forscher bezeichnen diesen Effekt auch als "stereotype threat" ("Bedrohung durch Stereotype"): Schon die Furcht, unfreiwillig zu diesem Vorurteil beizutragen, schmälert die Leistung der Studentinnen – selbst dann, wenn sie eigentlich von ihrem eigenen Können überzeugt sind.

Dieser Effekt lässt sich jedoch mit recht einfachen Mitteln abmildern, wie die Sozialforscher David Marx und Jasmin Roman entdeckten. An der US-Eliteuniversität Harvard führten sie eine Serie von Experimenten mit mathematikbegeisterten Studierenden durch. Teilnehmen durfte nur, wer bereits in früheren Tests herausragende Ergebnisse erzielt hatte. Die Versuchspersonen sollten besonders knifflige mathematische Probleme lösen. Nach dem Zufallsprinzip teilten die Forscher ihre Probanden in zwei Gruppen auf. Die Hälfte der Tests wurde von einem Mann durchgeführt, die andere Hälfte von einer Frau. Im Vorfeld präsentierten sich die Versuchsleiter als Matheprofis: Sie hätten den Test selbst entwickelt, behaupteten sie, und im Anschluss an die Aufgaben bekämen die Versuchspersonen eine ausführliche Rückmeldung über ihre Stärken und Schwächen.

Besonders wichtig sind Vorbilder in Studiengängen, in denen Frauen traditionell unterrepräsentiert sind

Schon dieser simple Eingriff hatte beeindruckende Folgen. Wurde der Test von einer Frau durchgeführt, hatten die weiblichen Prüflinge deutlich bessere Ergebnisse und lagen mit ihren männlichen Kommilitonen gleichauf. Die männlichen Versuchspersonen schien das Geschlecht des Versuchsleiters dagegen kaum zu interessieren. Sie lieferten in beiden Fällen ähnliche Ergebnisse ab. Offenbar genügte schon die Anwesenheit einer kompetent wirkenden Versuchsleiterin, um den "stereotype threat" wieder wettzumachen.

Für diesen Vorbildeffekt bedarf es scheinbar nicht einmal der körperlichen Anwesenheit einer kompetenten Frau. In einer Folgestudie konnten die beiden Forscher zeigen, dass schon ein virtuelles Vorbild genügte. In diesem Fall fanden die Testpersonen beim Eintreffen im Labor lediglich einen Zettel an der Tür: Die Versuchsleiterin hätte sich verspätet, man möge den PC-gesteuerten Mathematiktest schon einmal ohne sie beginnen. Bevor es losging, wurde den Prüflingen die (frei erfundene) Biografie der Versuchsleiterin vorgelegt. Sie hätte verschiedene schwierige Mathematikkurse erfolgreich absolviert und würde nun einen Doktortitel in quantitativer Psychologie anstreben. In einer Kontrollgruppe verfügte die fiktive Versuchsleiterin nur über durchschnittliche mathematische Fähigkeiten. Schon die wenigen Sätze über die talentierte Versuchsleiterin reichten aus, um den weiblichen Probanden ein besseres Testergebnis zu bescheren. Einziges Manko: Die männlichen Testpersonen hatte im Angesicht dieser kompetenten Versuchsleiterin augenscheinlich der Mut verlassen – sie schnitten hier merklich schlechter ab als in der Kontrollgruppe. In anderen Studien wiederholte sich dieser Effekt jedoch nicht.

Brauchen Männer männliche Vorbilder?

Für Männer scheint es in den meisten Bereichen kaum eine Rolle zu spielen, welchem Geschlecht eine mögliche Vorbildfigur angehört. Doch wie sieht es in jenen Fächern aus, die häufig von Frauen angewählt werden – beispielsweise Psychologie, Soziale Arbeit oder Erziehungswissenschaften? Die Vermutung liegt nahe, dass hier die Männer ebenfalls auf Vorbilder vom gleichen Geschlecht angewiesen sein könnten.

Bislang gibt es allerdings kaum Studien, die diese These belegen. Der Erziehungswissenschaftler Eric P. Bettinger von der Stanford University konnte den Effekt zumindest für seine eigene Disziplin nachweisen. Zusammen mit seiner Kollegin Bridget Terry Long wertete er einen umfangreichen Datensatz mit den Leistungen von mehr als 50 000 US-amerikanischen Erstsemestern aus. Dabei entdeckte er: In den Erziehungswissenschaften konnte ein männlicher Professor seine männlichen Studenten anscheinend motivieren, deutlich mehr Zeit in das Studium zu investieren. Bei anderen weiblich dominierten Studienfächern blieb ein Geschlechtereffekt jedoch aus.

Damit jemand als Identifikationsfigur in Betracht kommt, muss die betreffende Person uns ähneln

Derartige Befunde sind mit Vorsicht zu genießen: Über die genauen Gründe, warum das Geschlecht der Lehrkraft in den Erziehungswissenschaften einen so deutlichen Effekt auf die Studienleistungen hatte, schweigt sich die Studie aus. Es ist denkbar, dass letztlich ganz andere Faktoren für die Unterschiede im Studienverhalten ausschlaggebend waren – etwa die generelle Lehrkultur an der entsprechenden Uni.

Auf die Ähnlichkeit kommt es an

Das Geschlecht allein reicht zudem nicht aus, um jemanden als Vorbild zu qualifizieren. Zwar sind Frauen dazu geneigt, andere Frauen als richtungsweisend für ihre eigene Zukunft anzusehen. Damit diese ernstlich als Identifikationsfigur in Betracht kommen, müssen die Frauen sie jedoch auch als ähnlich mit sich selbst wahrnehmen. Ist das nicht der Fall, kann der Vorbildeffekt nach hinten losgehen.

Das konnte die Psychologin Sapna Cheryan zusammen mit ihren Kollegen von der University of Washington in Seattle in einer kuriosen Studie zeigen. Die (allesamt weiblichen) Versuchspersonen wurden eingeladen, an einem Kennenlernspiel teilzunehmen. Ihre Partner waren dabei stets eingeweihte Gehilfen der Versuchsleiter, die sich als Informatikstudierende ausgaben – ein Teil von ihnen männlich, der andere Teil weiblich. Darüber hinaus variierten die Forscher aber auch noch, wie sehr ihre eingeschleusten Gehilfen dem typischen Bild des Studiengangs entsprachen: Die "Klischee-Informatiker" beiderlei Geschlechts kombinierten Sandalen mit Socken und gaben an, in ihrer Freizeit Elektronikmagazine zu lesen und Videospiele zu spielen. Die anderen eingeschleusten Männer und Frauen sollten dagegen Informatikstudenten spielen, die keineswegs dem üblichen Vorurteil entsprachen: Sie trugen modische Kleidung und erzählten, in ihrer Freizeit gern Musik zu hören, Sport zu treiben und sich mit Freunden zu treffen. Im Anschluss an das Kennenlernspiel sollten die Versuchspersonen dann angeben, wie erfolgreich sie wohl abschneiden würden, wenn sie Informatik als ihr Hauptstudienfach wählten.

Handelte es sich um einen Computerfreak, der allen Klischees entsprach, hatten die Teilnehmerinnen den Eindruck, diese Person sei ihnen sehr unähnlich – und schätzten ihre eigenen Erfolgsaussichten in dem Fach als gering ein. Mit den modischen Informatikstudenten konnten sie sich viel besser identifizieren; das stärkte auch ihre eigene Zuversicht, im Fach Informatik gute Leistungen zu erbringen. Doch im Gegensatz zu den früheren Studien war das Geschlecht hier egal. Ob die Versuchspersonen mit einem Mann oder einer Frau konfrontiert waren, beeinflusste die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten in diesem Fall kaum.

Cheryans Fazit: Studenten aus dem MINT-Sektor würden in den Medien häufig als weltfremd und zwischenmenschlich unzulänglich dargestellt – man denke etwa an die Hauptfiguren der TV-Sitcom "Big Bang Theory". Diese würden allerdings kaum als Identifikationsfiguren für die eigene Karriere taugen, junge Menschen würden sie schlichtweg als zu abgedreht wahrnehmen.

Damit eine Vorbildfigur wirklich zu einer inspirierenden Kraft wird, muss sie zwei Bedingungen erfüllen: uns aufzeigen, was in Zukunft aus uns werden könnte – und uns zugleich ein wenig an uns selbst erinnern. Dazu müssen wir sie als "jemand wie ich" einordnen. Das Geschlecht kann dabei eine bedeutsame Rolle spielen – als ein Aspekt unter vielen.

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