Schwarze Löcher im Labor: Die So-als-ob-Experimente
Ulf Leonhardt hat ein Schwarzes Loch aus Licht gebaut. Jeff Steinhauers Schwarzes Loch ist eigentlich ein stilles Loch und besteht aus einem Kondensat ultrakalter Atome. Silke Weinfurtner hingegen bevorzugt Wasser, ihr Schwarzes Loch fände auch in einer Badewanne Platz.
Zugegeben, diese Forscher bauen nicht wirklich Schwarze Löcher nach. Das geht nicht. Schließlich müsste man dafür extrem viel Materie auf einen Punkt packen. Die Schwerkraft würde dann so stark, dass nicht einmal mehr Licht entkommen könnte. Die Physiker versuchen daher, einen relevanten Teil der Objekte nachzubilden. Und das auch nicht in echt, sondern nur als so genanntes Analogieexperiment. Man tut so als ob – und heraus kommen hoffentlich echte wissenschaftliche Erkenntnisse.
Wo hört ein Schwarzes Loch auf?
Um zu verstehen, was Leonhardt, Steinhauer und Weinfurtner da eigentlich in ihren Laboren anstellen, lohnt sich eine kurze Beschäftigung mit nichtanalogen Schwarzen Löchern. Diese werden oft als Massenstaubsauger oder als Materiemonster bezeichnet, was Vergleiche sind, keine Analogien, und die beide etwas hinken.
Zutreffend ist aber, dass ein Schwarzes Loch für uns da anfängt, wo sein Ereignishorizont aufhört. Denn sobald irgendetwas, sei es Licht oder Materie, einmal diesen Punkt ohne Wiederkehr am Rand des Schwarzen Lochs überquert hat, ist es auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Einmal rein, nie wieder raus – mit einem kleinen Haken, den sich Stephen Hawking 1974 überlegt hat. Ihm zufolge kommt aus einem Schwarzen Loch doch etwas heraus: die später nach ihm benannte Hawking-Strahlung.
»Hawkings Idee hat das Forschungsfeld der Quantengravitation überhaupt erst gestartet«, erzählt Piero Nicolini vom Institute für Advanced Studies in Frankfurt. Nicolini arbeitet mit, wie er sagt, »normalen Schwarzen Löchern«. Bis zu jener Publikation im Jahr 1974 mit dem viel versprechenden Titel »Particle Creation by Black Holes« waren Schwarze Löcher reine Gebilde aus Einsteins allgemeiner Relavitätstheorie.
Immer noch unentdeckt: Die Hawking-Strahlung
Hawking aber ließ die Quantenphysik auf die Schwarzen Löcher los. Der Theorie zufolge ist der leere Raum nicht völlig leer. Stattdessen entstehen immer und jederzeit Teilchen-Antiteilchen-Paare. Sie vernichten sich prompt wieder gegenseitig, so dass niemand etwas merkt und die Energieerhaltung gewahrt bleibt.
Sucht sich das Teilchen-Antiteilchen-Paar aber den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs für seine Entstehung aus, kann es passieren, dass das Antiteilchen auf Nimmerwiedersehen verschwindet, während das Teilchen in die Weiten des Alls entkommt.
Die Energieerhaltung bleibt dabei gewahrt, denn das Antiteilchen trägt negative Energie. Fällt es in das Schwarze Loch hinein, wird diesem Energie entzogen. Somit verdampft es mit der Zeit. »Diese Erkenntnis ist eigentlich viel wichtiger als die Hawking-Strahlung selbst«, sagt Ulf Leonhardt, der am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Israel forscht. »Sie bedeutet, dass Schwarze Löcher eine Thermodynamik haben. Die Hawking-Strahlung ist eine Art Wärmestrahlung des Schwarzen Lochs.«
Allerdings wurde die Hawking-Strahlung noch niemals nachgewiesen. Und das wird wohl auch auf absehbare Zeit so bleiben, denn obwohl das Universum als Ganzes mit lediglich drei Grad über dem absoluten Nullpunkt recht kalt ist, ist die Hawking-Strahlung noch kälter. Sie von einem echten Schwarzen Loch aufspüren zu wollen, ist technisch vermutlich unmöglich, selbst wenn es sie gibt.
Schwarze Löcher im Labor
Außer man tut eben einfach so als ob. Dass das möglich sein sollte, hatte William Unruh von der University of British Columbia bereits 1981 gemerkt, in einem Fachartikel, der mit einem Fragezeichen endete: »Experimental black-hole evaporation?«
Streng genommen ist die Hawking-Strahlung weder ein Produkt der Quantenphysik noch der Gravitation, sondern ein Resultat einer stark gekrümmten Geometrie. Beim Schwarzen Loch ist das die Gravitation. Aber eigentlich ist es egal, was da genau gekrümmt ist: Raumzeit. Wasser. Ultrakalte Atome. Licht.
»Mathematisch gesehen verhält sich die Raumzeit wie ein Strom«, erklärt Ulf Leonhardt. »In diesem Sinn sind das alles also völlig legitime und exakte Analogien.« Damit ist klar: Wenn es gelänge, einen analogen Ereignishorizont nachzubauen, sollte dieser auch so etwas wie Hawking-Strahlung emittieren.
Jeff Steinhauers Ereignishorizont besteht aus strömenden ultrakalten Atomen. Jenseits von ihnen sind Schallwellen gefangen – daher der Name stilles Loch. Das Schwarze Loch im Wassertank hingegen kreiert seinen Ereignishorizont mit Hilfe der Strömungsgeschwindigkeit von Wasser, so dass kleine Oberflächenwellen diesen nicht überschreiten können. Die analoge Hawking-Strahlung können die Forscher in diesem Fall anhand dieser Oberflächenwellen nachweisen.
Und bei Licht? Ulf Leonhardt und seine Kollegen verwenden Strahlungspulse in einer optischen Faser. So genannte nichtlineare Effekte sorgen dafür, dass sich der Brechungsindex innerhalb der Faser ändert, wodurch es so scheint, als ob der Lichtpuls an seinem vorderen Ende zum Stillstand kommt. Somit entsteht ein Bereich, den Licht scheinbar nicht verlassen kann – ein optischer Ereignishorizont.
Und tatsächlich: Vor Kurzem verkündete Leonhardts Team, mit diesem Prinzip Hawking-Strahlung nachgewiesen zu haben – einen schwachen Lichtpuls mit verringerter Wellenlänge, der sich vom Ereignishorizont in der Faser wegbewegt.
Aber wo ist ist in all diesen Analogien nun die Hawking-Strahlung? Und wie belastbar sind die Ergebnisse? »Es ist wirklich eine verflixte Geschichte«, seufzt Ulf Leonhardt. Denn der erste, der Hawkings Strahlung im Analogieexperiment gefunden hat, war Daniele Faccio. »Ich habe ihm damals gratuliert, dass er das geschafft hat«, sagt Leonhardt.
Leider stellte sich anschließend heraus, dass das, was Faccio gemessen hatte, nicht Hawking-Strahlung war. Bei anderen Sichtungen gibt es ebenfalls Zweifel, etwa der von Silke Weinfurtner und ihren Kollegen im Wassertank. Auch hier ist der Nachweis von Hawking-Strahlung nicht so eindeutig, wie sich manche Forscher das wünschen würden.
Ähnlich sieht es bei Jeff Steinhauer aus, dem Physiker von der Technischen Universität Israels in Haifa mit den ultrakalten Atomwolken. Er perfektioniert seit Jahren sein stilles Loch, mal mit Mitarbeitern, mal auch ganz allein. 2015 verkündete er, den Nachweis von Hawking-Strahlung erbracht zu haben. Aber vielleicht war es auch keine Hawking-Strahlung.
Kürzlich folgte ein weiterer Artikel. Diesem schenken seine Kollegen mehr Glauben. Das Problem: Ultrakalte Atome sind zickig. Für die Experimente müssen sie aber eine ganze Woche stabil bleiben – weshalb die Experimente mit ihnen oft von einem Rauschen und störenden Nebeneffekten geplagt sind.
Ein Laserpointer am Ereignishorizont
Und Ulf Leonhardt und sein optischer Ereignishorizont? Nun, auch an ihm haben die Physiker Hawking-Strahlung nachgewiesen. Allerdings ist diese schwächer, als ihre Berechnungen ursprünglich nahelegten. Und andererseits arbeiteten sie mit so genannter stimulierter Emission, bei der sie einen zweiten Lichtpuls zur Hilfe nahmen, der ihnen die für die Hawking-Strahlung nötigen Fluktuationen bescherte.
Da der Versuchsaufbau ein wenig kompliziert ist, greift Leonhardt passenderweise zu einem Vergleich. Oder einer Analogie. »Eigentlich sollte das auch mit einem echten Schwarzen Loch funktionieren«, betont er. »Dafür bräuchten Sie einen Astronauten, der mit dem Leben abgeschlossen hat und den Ereignishorizont überquert.« Jener Astronaut sollte einen Laserpointer dabei haben und ihn kurz vor seinem Verschwinden auf Nimmerwiedersehen auf den Ereignishorizont in Richtung All richten.
So würde das Licht, das sich vom Horizont nach draußen ablöst, stimuliert. Der Astronaut selbst hätte davon nichts – aber Kollegen in einem Raumschiff in sicherer Entfernung würden dann die Art von stimulierter Hawking-Strahlung beobachten, die Leonhardt und seine Kollegen nun auch im Labor aufgespürt haben wollen. Als Nächstes wollen sich die Forscher auf die Suche nach Hawking-Strahlung machen, die aus spontaner Emission in ihrem Lichtleiter entsteht. Also jene Strahlung, die ein echtes Schwarzes Loch auch ohne Astronaut mit Laserpointer abgeben soll.
»Die neuen Ergebnisse sind sehr vielversprechend«, sagt Silke Weinfurtner über die Experimente ihres in Israel forschenden Kollegen. »Wir verstehen die Hawking-Strahlung in immer mehr Systemen. Und gerade in optischen Systemen gibt es noch sehr viel zu entdecken.« Sie selbst hat viele weitere Ideen, was man mit ähnlichen Analogsystemen noch so anstellen könnte. Sie arbeitet derzeit vor allem mit rotierenden Schwarzen Löchern.
Analogien jenseits des Schwarzen Lochs
»Wir konnten bereits zeigen, dass Wellen, die mit dem analogen Schwarzen Loch wechselwirken, nicht hineinfallen«, berichtet Weinfurtner. »Ganz im Gegenteil, sie stehlen dem Schwarzen Loch ein wenig von seinem Drehmoment und entkommen mit mehr Energie, als sie ursprünglich hatten.« Diesen so genannten Penrose-Effekt sollte es auch bei realen Schwarzen Löchern geben, und nicht nur bei Analogsystemen. Er würde dazu führen, dass ein Schwarzes Loch mit der Zeit immer langsamer rotiert.
Auch jenseits der Schwarzen Löcher erforschen Wissenschaftler das analoge Universum. So veröffentlichten Ulf Peschel von der Universität Jena und seine Kollegen bereits 2016 einen Fachartikel, in dem sie den Einfluss der durch die Gravitation gekrümmten Raumzeit auf die Ausbreitung von Licht untersuchten. Dafür ließen sie zwei Dimensionen einfach weg und untersuchten, wie sich Licht auf gekrümmten Glasoberflächen verhält. Das wiederum könnte Rückschlüsse auf die echte Raumzeit erlauben. Demnach wäre es prinzipiell möglich, Licht aus dem Weltall einzufangen und daraus zu schließen, durch welche gekrümmte Raumzeit es gereist ist, da es die Informationen darüber in seiner charakteristischen Signatur trägt.
»Ich glaube nicht, dass das so schnell in der Wirklichkeit funktionieren würde«, sagt Peschel. »Im Labor wissen wir nämlich genau, wie unsere Glaskörper gekrümmt sind. Im All bräuchten wir erst einmal eine geeignete Referenzlänge. Und diese zu bestimmen, ist extrem schwierig.«
Analogie versus Wirklichkeit?
Dass der Sprung von der Analogie im Labor zur Wirklichkeit nicht ganz so trivial ist, ist etwas, was Analogieexperimente gemeinsam haben. Denn ob das, was die Laborversuche so schön ergeben, tatsächlich zutrifft, ist schwierig zu überprüfen – aber genau aus diesem Grund greifen die Wissenschaftler ja überhaupt zur Analogie.
Und dann ist da auch noch die Frage, bis zu welchem Punkt die Analogien überhaupt gelten. Zur Verdeutlichung: Damit Laien sich eine Vorstellung vom expandierenden Universum machen können, wird ebenfalls gerne die ein oder andere Raumdimension weggelassen. Stattdessen verhält sich das expandierende Universum mit seinen sich allen voneinander wegbewegenden Galaxien ungefähr so, wie wenn man Punkte auf einen Luftballon malt und diesen anschließend aufbläst.
Das funktioniert als Analogie prima, bis man sich fragt, was eigentlich ist, wenn der Luftballon platzt. »Man darf nicht vergessen, dass analoge Systeme keine echten Gravitationssysteme sind«, sagt der Frankfurter Gravitationsphysiker Piero Nicolini. Auch er erkennt natürlich an, dass alle Analogien zwar funktionieren – aber eben nur bis zu einem gewissen Punkt. »Ein weiteres Beispiel für ein analoges System in der Physik sind Wasser und die Elektrodynamik«, erläutert er. »Beides kann man mathematisch durch einen Fluss beschreiben. Und die Idee ist natürlich dieselbe, aber irgendwo gibt es eine Grenze.«
Stattdessen setzt Nicolini seine Hoffnung weiterhin auf normale Schwarzer Löcher, allerdings in einer Minivariante. Denn prinzipiell ließen sich wirklich winzige Schwarze Löcher in einem Teilchenbeschleuniger wie dem LHC erzeugen. Und dort sollten sie dann laut Stephen Hawking und seiner Strahlung innerhalb von Sekundenbruchteilen verdampfen – das wäre dann immerhin ein indirekter Nachweis des realen Phänomens. Zwar hat der LHC bislang keinerlei Hinweise darauf geliefert, dass solche winzigen Schwarzen Löcher tatsächlich bei den Teilchenkollisionen in seinem Inneren entstehen. Aber wenn die Analogieexperimente eines gezeigt haben, dann, dass der Nachweis der Hawking-Strahlung trickreich ist – auch ganz in echt.
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