News: Die Uhr tickt blau
Doch das Sonnenlicht spielt nicht nur für unser Sehvermögen eine wichtige Rolle. Die täglichen Hell-Dunkel-Wechsel und die jahreszeitlich schwankenden Lichtverhältnisse justieren auch unsere innere Uhr – einen höchst komplexen molekularbiologischen Regelmechanismus, der unserem Körper einen Takt von ungefähr 24 Stunden vorgibt. Ein bedeutendes Zahnrad in diesem Stellwerk ist das Hormon Melatonin, das von der Zirbeldrüse (Epiphyse), einer erbsengroßen Ausstülpung am Dach des Zwischenhirns, ins Blut ausgeschüttet wird. Der Gehalt dieses Botenstoffes ist einem strengen Rhythmus unterworfen: Gegen Abend wird seine Produktion angekurbelt und erreicht in der Nacht seinen Höchststand. Tagsüber sind die Melatonin-Werte niedrig, da Licht dessen Produktion unterdrückt.
Doch welches Photopigment im menschlichen Auge wandelt das Licht für die präzise Regulation der Botenstoffkonzentration und damit auch unseres Zeitempfindens um? Wie George Brainard und seine Kollegen vom Jefferson Medical College bereits in früheren Studien nachwiesen, sind die drei Zapfentypen offenbar nicht an der Melatoninsteuerung beteiligt. Um weitere Einzelheiten herauszufinden, untersuchten die Forscher nun die Effekte von Licht neun verschiedener Wellenlängen – von indigoblau bis orange – auf insgesamt 72 gesunde, durchschnittlich 25-jährige Versuchspersonen, 37 Frauen und 35 Männer.
Da schon längere Zeit bekannt ist, dass nächtliche Lichteinwirkungen die Melatoninherstellung durcheinanderbringen können, führten sie ihre Testreihen um Mitternacht durch, wenn der Melatoningehalt am höchsten ist. Dazu verabreichten sie ihren Probanden zunächst ein Mittel, das deren Pupillen erweiterte, und verbanden ihnen anschließend für zwei Stunden die Augen. Danach setzten sie die Versuchsteilnehmer für 90 Minuten jeweils einem Licht bestimmter Wellenlänge aus und wiederholten dies im Abstand von mindestens einer Woche. Um die Melatoninmengen zu ermitteln, nahmen die Wissenschaftler vor und nach den Bestrahlungen Blutproben der Kandidaten.
Wie die Analysen zeigten, beeinflusst blaues Licht im Wellenlängenbereich von 446 bis 477 Nanometern am stärksten den Melatoningehalt des Blutes und damit die innere Uhr. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass beim Menschen im Wesentlichen ein einziges Photopigment für die Unterdrückung des Botenstoffes verantwortlich ist. Da sich dessen Absorptionsmaximum von dem der Stäbchen- und Zapfenpigmente unterscheidet, existiert vermutlich ein noch unbekanntes Sehpigment im menschlichen Auge, das für die circadiane Lichtwahrnehmung zuständig ist. Als nächsten Schritt wollen die Forscher nun untersuchen, wie Licht andere der Tagesrhythmik unterworfene Funktionen wie die Körpertemperatur reguliert.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.