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News: Digitaler Brückenschlag

Katalysatoren spielen eine Schlüsselrolle in vielen technischen Prozessen und im Umweltschutz. Ihr gezielter Einsatz scheitert jedoch immer noch an mangelnden Kenntnissen über ihre chemisch aktiven Oberflächen und ihre atomare Struktur. Jetzt konnten deutsche Wissenschaftler Struktur und Aktivität eines Modellkatalysators simulieren.
Katalysatoroberfläche
Katalysatoren sind bei vielen technischen Prozessen im Einsatz, wie in der Abgasreinigung oder der chemischen Industrie, wo über 90 Prozent aller Produkte im Laufe ihrer Herstellung mit mindestens einem Katalysator in Kontakt kommen. Katalysatoren lenken und beschleunigen chemische Umsetzungen und unterdrücken ungewollte Nebenreaktionen. Doch trotz ihrer hohen ökonomischen und ökologischen Bedeutung ist die Forschung noch weit von einem mikroskopischen Verständnis ihrer Wirkungsweise entfernt – den jeweils geeigneten Katalysator zu finden, gelingt bislang oft nur mit Hilfe aufwändiger Versuchsreihen gepaart mit chemischer Intuition.

Die gezielte Entwicklung neuer Materialien für die heterogene Katalyse, bei der zwei verschiedene Phasen an der chemischen Reaktionbeteiligt sind, erfordert zunächst genaue Kenntnis über den atomaren Aufbau der Oberfläche des Katalysator. Leider funktionieren die Techniken, die solche Informationen mit atomarer Auflösung liefern könnten, nicht unter technologisch relevanten Bedingungen bei Drücken von mindestens 1 bar und Temperaturen weit oberhalb der Raumtemperatur. Folglich beruht unser derzeitiges Wissen über Katalysatoroberflächen weitgehend auf Experimenten im Ultrahochvakuum (UVH).

Obgleich diese Experimente von großem Wert für das konzeptionelle Verständnis sind, lassen sich ihre Ergebnisse oft nicht auf die technisch erforderlichen Bedingungen anwenden – ein Umstand, der seit geraumer Zeit mit dem Begriff "Druck- und Materiallücke" umschrieben wird. An der Überbrückung dieser Lücke arbeiten Wissenschaftler heute weltweit und versuchen herauszufinden, wie die Katalysatoroberfläche vom Ultrahochvakuum bis hin zum realen technischen Betrieb beschaffen ist.

Eine entsprechende "Lücke" besteht auch in der theoretischen Beschreibung der Katalysatoroberflächen: Leistungsfähige quantenmechanische Rechenverfahren beruhen häufig auf der so genannten Dichtefunktionaltheorie, mit der Molekülstrukturen beschrieben werden können und die Walter Kohn und John Pople 1998 den Nobelpreis für Chemie bescherte. Hiermit lassen sich zwar komplexe Festkörperoberflächen modellieren, doch die Berechnungen erstrecken sie sich nicht auf die den Katalysator umgebende Gasphase – sie laufen quasi bei einem Druck von 0 bar ab.

Um diese "theoretische Drucklücke" zu umgehen, haben Karsten Reuter und Matthias Scheffler vom Berliner Fritz-Haber-Institut jetzt eine spezielle Verknüpfung der Dichtefunktionaltheorie mit klassischen Methoden der Thermodynamik entwickelt. Auf diese Weise gelang es ihnen, die Oberflächenstruktur eines Modellkatalysators im gesamten Druckbereich vom Ultrahochvakuum bis zu technologisch relevanten Bedingungen theoretisch vorherzusagen.

Die Forscher konnten so ein Phasendiagramm erstellen, das zeigt, an welchen atomaren Plätzen zwei Reaktionsteilnehmer, Sauerstoff (O) und Kohlenmonoxid (CO), bei welchen Druck- und Temperaturbedingungen chemische Bindungen mit der Oberfläche des Katalysators Rubidiumdioxid eingehen. Damit lässt sich jetzt genau angeben, in welche Richtung die Druck- und Temperaturparameter im Experiment geändert werden können, ohne dabei wichtige Messgrößen für die Katalyse zu beeinträchtigen. Die Wissenschaftler können dadurch die bisherigen UHV-Experimente gezielter einsetzen, um die Wirkungsweise des Katalysators unter bisher nicht zugänglichen technischen Bedingungen zu untersuchen.

Darüber hinaus haben die Forscher aus dem berechneten Phasendiagramm auch jene Druck- und Temperaturbedingungen identifiziert, unter denen eine besonders hohe katalytische Aktivität erwartet werden kann. Dabei entsprachen die theoretisch ermittelten Vorhersagen für das CO-O-Modellsystem den zuvor im Experiment ermittelten Daten. So könnte es auch möglich werden, den Katalysator in anderen, noch nicht so gut untersuchten Systeme zu optimieren.

Bis zu einem wirklich umfassenden mikroskopischen Verständnis der Festkörperkatalyse ist dieser Ansatz allerdings noch wesentlich zu erweitern, meint Scheffler. Gerade unter den nun identifizierten katalytisch geeigneten Druck- und Temperaturbedingungen seien einige der bisherigen Annahmen zusammengebrochen. Deshalb müsse eine weiterführende Analyse auf wesentlich aufwändigeren Verfahren der statistischen Mechanik aufbauen, die momentan aber noch nicht handhabbar sind und die Forscher noch einige Jahre beschäftigen könnten.

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