Fundamentalkräfte: Ein Partner für die Stringtheorie
Die "Theorie von Allem" könnte das Verhalten von realen Materialien erhellen - dank einer unerwarteten mathematischen Verbindung zur Physik kondensierter Materie.
"Auf der einen Seite", so Jan Zaanen, "haben wir diesen raffinierten, nahezu jenseitigen Intellektuellen – einen Perfektionisten, besessen von Einzelheiten, kaum interessiert an irdischen Vergnügungen. Auf der anderen Seite steht einer dieser lauten, ungestümen, manchmal aggressiven, geschäftstüchtigen Charaktere, die kein Problem damit haben, sich die Hände schmutzig zu machen." Was wie die Beschreibung nicht zueinander passender Zimmergenossen klingt, wie man sie auf der Bühne oder im Fernsehen oftmals sieht, stellen für den Physiker Zaanen von der Universität Leiden in den Niederlanden zwei Gruppen von Wissenschaftlern dar: String-Theoretiker, die ihre Tage damit zubringen, nach einer exklusiven, hochgradig mathematischen "Theorie von Allem" zu jagen, und seine eigenen Kollegen, die es bodenständig vorziehen, zu erforschen, wie sich reale Materialien im Labor verhalten.
Nun werden die Wissenschaftler, die versuchen, eine Brücke zwischen beiden Disziplinen zu schlagen, von einer neuen Entdeckung motiviert: Richtig interpretiert, können die Gleichungen der Stringtheorie zu einem mächtigen Werkzeug für die Analyse exotischer Materiezustände werden – von superheißen Bällen aus Quarks und Gluonen bis zu ultrakalten Atomen. Allein im vergangenen Jahr gab es vier internationale Workshops, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen beiden Forschungszweigen stimulieren sollten.
Skeptiker bezweifeln zwar noch, dass diese Allianz tatsächlich zu neuen Einsichten führt – vielleicht ist es nur eine Hochzeit aus praktischen Gründen. Aber die Stringtheorie deutet beispielsweise darauf hin, dass es noch viele neue Materiezustände gibt. Doch es fällt bislang schwer, diese Vorhersagen zu überprüfen, Experimente dazu befinden sich erst in der Planungsphase.
Bis dahin liegen die Vorteile für beide Parteien auf der Hand. Die Stringtheorie – lange dafür kritisiert, dass sie den Kontakt zur Realität verloren habe – erhält experimentelle Glaubwürdigkeit. Und die Physik der kondensierten Materie, die im Gegensatz zur Stringtheorie nie ein Liebling der Medien war, erhält ein neues mathematisches Werkzeug – und damit die Gelegenheit, sich in neuem Glanz zu sonnen.
Zwei Kameraden fanden wieder zueinander
Die Verbindung zwischen beiden Disziplinen begann sich anzubahnen, als sich Dam Thanh Son und Andrei Starinets wieder über den Weg liefen: Die beiden Physiker waren in den 1980er Jahren als Studenten an der Staatsuniversität Moskau Zimmerkameraden gewesen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1991 verließen beide Russland, und der Kontakt zwischen ihnen riss ab. Doch 1999 erhielt Son eine Stelle an der Columbia University in New York City – und hörte, dass Starinets wenige Kilometer entfernt an der New York University an seiner Doktorarbeit über die Stringtheorie saß. Es zog also los, um seinem ehemaligen Kommilitonen einen Besuch abzustatten – an Zusammenarbeit dachte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die Stringtheorie ist mathematisch anspruchsvoll und besitzt unzweifelhaft ästhetischen Reiz. Aber sie handelt ausschließlich von der Physik in Größenordnungen um 10-35 Meter. Die Hauptidee ist, dass scheinbar punktförmige Elementarteilchen wie Quarks und Elektronen sich auf dieser Skala als winzige, vibrierende Fäden – englisch: strings – aus Energie zeigen. Doch diese Strings wären rund 20 Größenordnungen kleiner als Protonen – damit ist die Theorie hoffnungslos jenseits aller experimentellen Testmöglichkeiten. Im Gegensatz ankert Sons Spezialgebiet fest in Experimenten: Er versucht die Eigenschaften eines Quark-Gluonen-Plasmas zu verstehen, eines kurzlebigen, extrem heißen Feuerballs, der entsteht, wenn schwere Atomkerne wie Gold in Beschleunigern aufeinander prallen. Der Stoff der Stringtheorie erschien Son daher völlig fremdartig – bis er sah, dass in den Berechnungen, an denen Starinets mit seinem Mit-Doktoranten Giuseppe Policastro saß, dieselben Gleichungen auftraten, wie bei seinen Analysen des Plasmas.
Multiversen der besonderen Art
Das andere Universum ist geradezu das Gegenteil: Es enthält sowohl Strings als auch Gravitation – die Gravitation ist sogar stark genug, um Schwarze Löcher zu produzieren –, aber keine Elementarteilchen. Außerdem besitzt es eine zusätzliche räumliche Dimension.
Maldacenas Erkenntnis war einfach, aber kühn: Man nehme irgendeinen Prozess im ersten Universum, an dem Teilchen und Felder beteiligt sind – und man kann ihn ebenso gut als einen Prozess mit Schwerkraft, Schwarzen Löchern und Strings im zweiten Universum beschreiben. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Die Gleichungen würden höchst unterschiedlich aussehen, aber die grundlegende Physik wäre exakt dieselbe.
Deshalb konnte Son Quark-Gluonen-Gleichungen in einer Berechnung der Stringtheorie erkennen, erläuterte Starinets: Sie waren das dreidimensionale Äquivalent der Gravitationsfelder, die er und Policastro im vierdimensionalen Universum untersuchten.
Hochzeit aus Gründen der Bequemlichkeit
Selbst aus der Sicht von String-Theoretikern war dieses Hin- und Herspringen zwischen Universen ziemlich bizarr (und noch bizarrer für andere Physiker, insbesondere weil Maldacena gezeigt hat, dass die Abbildung aufeinander nicht nur für drei und vier räumliche Dimensionen, sondern auch für vier und fünf, fünf und sechs und so weiter funktioniert). Doch im Verlauf ihres Gesprächs merkten Son und Starinets, dass Maldacenas Abbildungen eine mächtige Strategie für die Lösung von Problemen sein kann. Sie konnten mit einer unübersichtlichen Menge von Quantenfeldberechnungen im realen, dreidimensionalen Universum anfangen – beispielsweise mit den Gleichungen für ein Quark-Gluonen-Plasma – und diese in eine vierdimensionale Welt abbilden, in der die Gleichungen sich viel leichter lösen ließen. Das Ergebnis konnten sie dann zurück in die dreidimensionale Welt abbilden und dort die Antwort ablesen.
Es funktionierte. "Wir haben die Berechnungen auf den Kopf gestellt, und sie lieferten uns Vorhersagen für die Scherungsviskosität eines Plasmas", sagt Son, wobei er auf einen Schlüsselparameter eines Quark-Gluonen-Feuerballs Bezug nimmt. "Ein Freund von mir, der im Bereich Kernphysik tätig ist, hat scherzhaft dazu bemerkt, dass unsere Veröffentlichung die erste sinnvolle sei, die sich aus der Stringtheorie ergeben hat."
2008 konnten die Vorhersagen des Teams am Relativistic Heavy Ion Collider des Brookhaven National Laboratory in Upton, New York, bestätigt werden. "Es handelt sich um starke quantitative Ergebnisse, und sie sind bis heute die besten Ergebnisse, die es im Rahmen des Versuchs gibt, die Stringtheorie mit Experimenten zu verknüpfen", sagt Steve Gubser, String-Theoretiker an der Princeton University, einer der frühen Meister der Anwendung des Verfahrens auf Probleme der realen Welt.
Der Erfolg des Teams weckte die Aufmerksamkeit von Subir Sachdev, ein an der Harvard University über kondensierte Materie forschender theoretischer Physiker. So wie Son ein Plasma in Starinets Berechnungen gesehen hat, erblickte Sachdev quantenkritische Phasenübergänge. Das sind Zustandsänderungen, die in Stoffen eintreten, die sich dem absoluten Nullpunkt nähern – quantenmechanische Effekte beginnen damit, hier zu dominieren. "Sie verwendeten andere Wörter, aber es war dieselbe Physik", so Sachdev.
Feuerwerk der Physikschlagwörter
Der Wissenschaftler hoffte, dass Maldacenas Idee ihm und seinen Kollegen dabei helfen würde, diese extrem kühle Region zu erforschen. Im Verlauf von mehreren Jahrzehnten hatten Experimentalphysiker eine lange Liste exotischer quantendominierter Zustände entdeckt – darunter Supraleiter, in denen elektrische Ströme ohne Widerstand fließen können, Supraflüssigkeiten ohne Viskosität, die die Wände von Gefäßen emporkriechen können, Bose-Einstein-Kondensate, deren Atome sich wie ein einziges Superatom im Gleichschritt bewegen, und seltsame Metalle, die sich in einer Art und Weise verhalten, die auf subtile Weise von gewöhnlichen Metallen abweicht. Doch die Physiker haben immer noch keine Methode entwickelt, mit der sie vorhersagen können, was sie als nächstes im Labor finden. "Wir können nicht einmal die grundlegende Frage beantworten, wie viele Zustände der Materie es gibt", gesteht Sean Hartnoll, String-Theoretiker an der Stanford University in Kalifornien.
Inzwischen haben Sachdev und seine Kollegen ein Rezept entwickelt, mit dem sich die Leitfähigkeit seltsamer Metalle auf die Eigenschaften von Schwarzen Löchern im vierdimensionalen Universum der String-Theoretiker abbilden lässt. Die gleiche Strategie verfolgen auch der String-Theoretiker John McGreevy am Massachusetts Institute of Technology und andere. Diese Forschungsgruppen erhalten Antworten, die im Großen und Ganzen das seltsame Verhalten der Metalle bei niedrigen Temperaturen reproduzieren. Die Wissenschaftler haben auch umgekehrt das Verhalten vierdimensionaler Schwarzer Löcher in der String-Theorie auf die Bedingungen abgebildet, unter denen viele Materialien in einen Zustand übergehen, der sich von den gewöhnlichen Zuständen fest, flüssig und gasförmig unterscheidet. "Wir haben nun einen ganz neuen Hammer, mit dem wir die Probleme abklopfen können, an denen ich seit 20 Jahren arbeite", so Sachdev.
Die String-Theoretiker waren nach einiger Zeit von den Ergebnissen im Bereich kondensierter Materie ebenfalls begeistert. Zunächst hatten die Forscher die Quark-Gluonen-Berechnungen ohne großen Enthusiasmus verfolgt, sagt Clifford Johnson, String-Theoretiker an der University of Southern California in Los Angeles. Und zumindest teilweise lag das, so sein Verdacht, am Unwillen, die Reinheit der Stringtheorie zu besudeln: "Es gab unter einigen Forschern einen Snobismus gegenüber dem, was sie 'bloße Anwendungen' nannten."
Doch 2006 wurde die Stringtheorie in zwei populärwissenschaftlichen Büchern öffentlich abgewatscht: Sowohl in "Not Even Wrong" von Peter Woit, einem Mathematiker der Columbia University, als auch in "The Trouble With Physics" von Lee Smolin, Physiker am Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo, ließen die Autoren kein gutes Haar an der Isolation der Theorie von Experimenten. "Es ist schwer zu sagen, ob das Interesse an den Anwendungen im Bereich kondensierter Materie eine direkte Reaktion auf diese Bücher ist – denn das ist eher eine psychologische Frage", sagt Joseph Polchinski, String-Theoretiker am Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara. "Aber sicherlich fingen die String-Theoretiker an, sich nach einem Bezug zur Realität zu sehnen."
Junges Blut
Die Partnerschaft mit der Physik der kondensierten Materie schien dafür perfekt. Wenn auch sonst nichts, so versprach sie doch, die peinliche Menge an möglichen Lösungen – 10100 für die grundlegenden Gleichungen – zu etwas Wertvollem zu machen. Jede Lösung beschreibt ein mögliches Universum mit eigener Größe, Form, Anzahl von Dimensionen und physikalischen Gesetzen. Mittels Maldacenas Idee, so String-Theoretiker Jerome Gauntlett vom Imperial College London, "kann jede dieser Lösungen auf eines der zahlreichen Materialien bezogen werden, die noch zu entdecken sind."
Beide Seiten profitieren davon, sagt Zaanen. "Wenn ich in einem Kolloquium über Supraleitung und Schwarze Löcher rede, dann schwärmen die Leute herbei wie Bienen zum Honig. Das bringt junges Blut in die Physik der kondensierten Materie, das Fachgebiet ist ihre erste Wahl."
Die Vielzahl der Workshops, auf denen die Zusammenarbeit propagiert wurde, war äußerst produktiv, sagt auch Polchinski. Er hat im vergangenen Jahr ein Treffen am Kavli Institute mitorganisiert, aus dem sieben neue Projekte hervorgegangen sind. Und Kavli führte von August bis November ein weiteres gemeinsames Forschungsvorhaben durch. "Der Versuch, zwei Gruppen von Physikern so schnell zur Zusammenarbeit zu bringen, ist einzigartig – ich persönlich habe so etwas in meiner ganzen Karriere noch nie gesehen", sagt Gauntlett.
Doch wie bei einem fiktionalen seltsamen Pärchen gibt es auch bei dieser Partnerschaft einige Reibereien. Alle sind sich beispielsweise darin einig, dass die auf dem Gebiet der kondensierten Materie arbeitenden Physiker der Zusammenarbeit sehr viel zögerlicher gegenüberstehen als ihre Kollegen aus der Stringtheorie. "Ich war bemerkenswert erfolglos darin, Physiker dazu zu überreden, String-Theoretiker auf den großen Tagungen über kondensierte Materie sprechen zu lassen", sagt Zaanen. "Sie befürchten, dass sie Stringtheorie lernen müssen, um mit ihnen zu reden. Es ist, als ob ich sie bitten würde, mit Außerirdischen Kaffee zu trinken."
Polchinski gibt zu, dass die Physiker aus dem Bereich kondensierte Materie nicht ganz Unrecht haben. "Ich glaube nicht, dass die String-Theoretiker schon irgendetwas gefunden haben, das in der Theorie der kondensierten Materie nicht schon bekannt ist." Die quantitativen Ergebnisse sind zumeist Wieder-Herleitungen von Antworten, die sich aus der Theorie der kondensierten Materie mit banaleren Methoden ergeben.
Schlimmer noch, einige der überprüfbaren Voraussagen der Stringtheorie sehen aus Sicht der kondensierten Materie ein wenig bizarr aus. So deuten die Berechnungen beispielsweise darauf hin, dass einige kristalline Materialien – wenn sie bis nahe zum absoluten Nullpunkt abgekühlt werden – in einem von vielen möglichen Grundzuständen mit minimaler Energie enden. Doch das verletzt den Dritten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, dass diese Materialien nur genau einen Grundzustand besitzen können. "Das ist der Gorilla im Raum, der die Leute in der Nacht wachhält", sagt Gubser.
Noch sind nicht alle überzeugt
Um Skeptiker zu überzeugen, suchen die Theoretiker geschäftig nach überprüfbaren Vorhersagen, die einen überwältigenden Beweis dafür liefern, dass sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Arbeitsgebieten lohnt. Gauntletts Arbeitsgruppe und andere Teams sind auf der Jagd nach Konfigurationen von Schwarzen Löchern im Universum der Stringtheorie, die sich auf bislang unentdeckte Phasenübergänge abbilden lassen. Der Trick dabei ist, herauszufinden, welche Materialien solche Übergänge zeigen könnten. "Im Augenblick bedeutet das, herumzulaufen und zu fragen: Hast du so etwas Ähnliches schon einmal gesehen?", erläutert Gauntlett. "Aber wir hoffen, dass die Experimentatoren Materialien mit den von uns vorhergesagten Eigenschaften maßschneidern können, wenn sich die Methoden weiterentwickeln."
Sachdev wendet die Stringtheorie auf eine existierende Herausforderung an: Er versucht zu berechnen, wie sich die Leitfähigkeit mit der Temperatur ändert, wenn ultrakalte Atome vom supraleitenden Zustand zu einem isolierenden übergehen. Er glaubt, dass sich seine Vorhersagen schon in den nächsten Jahren testen lassen.
Selbst wenn das Programm erfolgreich ist, es gibt Grenzen für die Vorteile, die jeder der Partner daraus ziehen kann. Die Stringtheorie könne ein Handbuch von Eigenschaften bieten, nach denen gesucht werden kann, sowie Voraussagen darüber liefern, wie sich diese Eigenschaften im Experiment ändern, so Green. Doch sie kann niemals eine Theorie liefern, wie diese Eigenschaften sich aus dem Verhalten von Elektronen ergeben. Und umgekehrt können experimentelle Bestätigungen von Vorhersagen der Stringtheorie für kondensierte Materie niemals beweisen, dass Strings tatsächlich eine akkurate Beschreibung der Realität sind.
Vielleicht zeigt die Verbindung zwischen beiden Gebieten aber auch, dass wir ganz grundlegend falsch verstehen, was die Stringtheorie wirklich ist, meint Green. "Vielleicht ist die Stringtheorie gar keine einzigartige Theorie der Realität, sondern etwas Tieferes – eine Menge von mathematischen Prinzipien, mit der sich alle physikalischen Theorien aufeinander beziehen lassen. Vielleicht ist die Stringtheorie die neue Infinitesimalrechnung."
Nun werden die Wissenschaftler, die versuchen, eine Brücke zwischen beiden Disziplinen zu schlagen, von einer neuen Entdeckung motiviert: Richtig interpretiert, können die Gleichungen der Stringtheorie zu einem mächtigen Werkzeug für die Analyse exotischer Materiezustände werden – von superheißen Bällen aus Quarks und Gluonen bis zu ultrakalten Atomen. Allein im vergangenen Jahr gab es vier internationale Workshops, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen beiden Forschungszweigen stimulieren sollten.
Skeptiker bezweifeln zwar noch, dass diese Allianz tatsächlich zu neuen Einsichten führt – vielleicht ist es nur eine Hochzeit aus praktischen Gründen. Aber die Stringtheorie deutet beispielsweise darauf hin, dass es noch viele neue Materiezustände gibt. Doch es fällt bislang schwer, diese Vorhersagen zu überprüfen, Experimente dazu befinden sich erst in der Planungsphase.
Bis dahin liegen die Vorteile für beide Parteien auf der Hand. Die Stringtheorie – lange dafür kritisiert, dass sie den Kontakt zur Realität verloren habe – erhält experimentelle Glaubwürdigkeit. Und die Physik der kondensierten Materie, die im Gegensatz zur Stringtheorie nie ein Liebling der Medien war, erhält ein neues mathematisches Werkzeug – und damit die Gelegenheit, sich in neuem Glanz zu sonnen.
Zwei Kameraden fanden wieder zueinander
Die Verbindung zwischen beiden Disziplinen begann sich anzubahnen, als sich Dam Thanh Son und Andrei Starinets wieder über den Weg liefen: Die beiden Physiker waren in den 1980er Jahren als Studenten an der Staatsuniversität Moskau Zimmerkameraden gewesen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahr 1991 verließen beide Russland, und der Kontakt zwischen ihnen riss ab. Doch 1999 erhielt Son eine Stelle an der Columbia University in New York City – und hörte, dass Starinets wenige Kilometer entfernt an der New York University an seiner Doktorarbeit über die Stringtheorie saß. Es zog also los, um seinem ehemaligen Kommilitonen einen Besuch abzustatten – an Zusammenarbeit dachte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Die Stringtheorie ist mathematisch anspruchsvoll und besitzt unzweifelhaft ästhetischen Reiz. Aber sie handelt ausschließlich von der Physik in Größenordnungen um 10-35 Meter. Die Hauptidee ist, dass scheinbar punktförmige Elementarteilchen wie Quarks und Elektronen sich auf dieser Skala als winzige, vibrierende Fäden – englisch: strings – aus Energie zeigen. Doch diese Strings wären rund 20 Größenordnungen kleiner als Protonen – damit ist die Theorie hoffnungslos jenseits aller experimentellen Testmöglichkeiten. Im Gegensatz ankert Sons Spezialgebiet fest in Experimenten: Er versucht die Eigenschaften eines Quark-Gluonen-Plasmas zu verstehen, eines kurzlebigen, extrem heißen Feuerballs, der entsteht, wenn schwere Atomkerne wie Gold in Beschleunigern aufeinander prallen. Der Stoff der Stringtheorie erschien Son daher völlig fremdartig – bis er sah, dass in den Berechnungen, an denen Starinets mit seinem Mit-Doktoranten Giuseppe Policastro saß, dieselben Gleichungen auftraten, wie bei seinen Analysen des Plasmas.
Starinets und Policastro beschäftigten sich mit einer 1997 von Juan Maldacena gemachten Entdeckung. Der Physiker war damals an der Harvard University in Cambridge tätig, inzwischen arbeitet er am Institute for Advanced Studies in Princeton. Maldacena hatte herausgefunden, dass die Stringtheorie eine mathematische Äquivalenz zwischen zwei hypothetischen Universen vorhersagt. Das eine dieser Universen ähnelt dem unseren: Es hat drei räumliche und eine zeitliche Dimension und ist mehr oder weniger mit den gleichen Arten von Elementarteilchen bevölkert, welche – für Physiker – vertraut aussehenden Quantenfeldgleichungen gehorchen. Aber es enthält weder Strings noch Gravitation.
Multiversen der besonderen Art
Das andere Universum ist geradezu das Gegenteil: Es enthält sowohl Strings als auch Gravitation – die Gravitation ist sogar stark genug, um Schwarze Löcher zu produzieren –, aber keine Elementarteilchen. Außerdem besitzt es eine zusätzliche räumliche Dimension.
Maldacenas Erkenntnis war einfach, aber kühn: Man nehme irgendeinen Prozess im ersten Universum, an dem Teilchen und Felder beteiligt sind – und man kann ihn ebenso gut als einen Prozess mit Schwerkraft, Schwarzen Löchern und Strings im zweiten Universum beschreiben. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Die Gleichungen würden höchst unterschiedlich aussehen, aber die grundlegende Physik wäre exakt dieselbe.
Deshalb konnte Son Quark-Gluonen-Gleichungen in einer Berechnung der Stringtheorie erkennen, erläuterte Starinets: Sie waren das dreidimensionale Äquivalent der Gravitationsfelder, die er und Policastro im vierdimensionalen Universum untersuchten.
Hochzeit aus Gründen der Bequemlichkeit
Selbst aus der Sicht von String-Theoretikern war dieses Hin- und Herspringen zwischen Universen ziemlich bizarr (und noch bizarrer für andere Physiker, insbesondere weil Maldacena gezeigt hat, dass die Abbildung aufeinander nicht nur für drei und vier räumliche Dimensionen, sondern auch für vier und fünf, fünf und sechs und so weiter funktioniert). Doch im Verlauf ihres Gesprächs merkten Son und Starinets, dass Maldacenas Abbildungen eine mächtige Strategie für die Lösung von Problemen sein kann. Sie konnten mit einer unübersichtlichen Menge von Quantenfeldberechnungen im realen, dreidimensionalen Universum anfangen – beispielsweise mit den Gleichungen für ein Quark-Gluonen-Plasma – und diese in eine vierdimensionale Welt abbilden, in der die Gleichungen sich viel leichter lösen ließen. Das Ergebnis konnten sie dann zurück in die dreidimensionale Welt abbilden und dort die Antwort ablesen.
Es funktionierte. "Wir haben die Berechnungen auf den Kopf gestellt, und sie lieferten uns Vorhersagen für die Scherungsviskosität eines Plasmas", sagt Son, wobei er auf einen Schlüsselparameter eines Quark-Gluonen-Feuerballs Bezug nimmt. "Ein Freund von mir, der im Bereich Kernphysik tätig ist, hat scherzhaft dazu bemerkt, dass unsere Veröffentlichung die erste sinnvolle sei, die sich aus der Stringtheorie ergeben hat."
2008 konnten die Vorhersagen des Teams am Relativistic Heavy Ion Collider des Brookhaven National Laboratory in Upton, New York, bestätigt werden. "Es handelt sich um starke quantitative Ergebnisse, und sie sind bis heute die besten Ergebnisse, die es im Rahmen des Versuchs gibt, die Stringtheorie mit Experimenten zu verknüpfen", sagt Steve Gubser, String-Theoretiker an der Princeton University, einer der frühen Meister der Anwendung des Verfahrens auf Probleme der realen Welt.
Der Erfolg des Teams weckte die Aufmerksamkeit von Subir Sachdev, ein an der Harvard University über kondensierte Materie forschender theoretischer Physiker. So wie Son ein Plasma in Starinets Berechnungen gesehen hat, erblickte Sachdev quantenkritische Phasenübergänge. Das sind Zustandsänderungen, die in Stoffen eintreten, die sich dem absoluten Nullpunkt nähern – quantenmechanische Effekte beginnen damit, hier zu dominieren. "Sie verwendeten andere Wörter, aber es war dieselbe Physik", so Sachdev.
Feuerwerk der Physikschlagwörter
Der Wissenschaftler hoffte, dass Maldacenas Idee ihm und seinen Kollegen dabei helfen würde, diese extrem kühle Region zu erforschen. Im Verlauf von mehreren Jahrzehnten hatten Experimentalphysiker eine lange Liste exotischer quantendominierter Zustände entdeckt – darunter Supraleiter, in denen elektrische Ströme ohne Widerstand fließen können, Supraflüssigkeiten ohne Viskosität, die die Wände von Gefäßen emporkriechen können, Bose-Einstein-Kondensate, deren Atome sich wie ein einziges Superatom im Gleichschritt bewegen, und seltsame Metalle, die sich in einer Art und Weise verhalten, die auf subtile Weise von gewöhnlichen Metallen abweicht. Doch die Physiker haben immer noch keine Methode entwickelt, mit der sie vorhersagen können, was sie als nächstes im Labor finden. "Wir können nicht einmal die grundlegende Frage beantworten, wie viele Zustände der Materie es gibt", gesteht Sean Hartnoll, String-Theoretiker an der Stanford University in Kalifornien.
Inzwischen haben Sachdev und seine Kollegen ein Rezept entwickelt, mit dem sich die Leitfähigkeit seltsamer Metalle auf die Eigenschaften von Schwarzen Löchern im vierdimensionalen Universum der String-Theoretiker abbilden lässt. Die gleiche Strategie verfolgen auch der String-Theoretiker John McGreevy am Massachusetts Institute of Technology und andere. Diese Forschungsgruppen erhalten Antworten, die im Großen und Ganzen das seltsame Verhalten der Metalle bei niedrigen Temperaturen reproduzieren. Die Wissenschaftler haben auch umgekehrt das Verhalten vierdimensionaler Schwarzer Löcher in der String-Theorie auf die Bedingungen abgebildet, unter denen viele Materialien in einen Zustand übergehen, der sich von den gewöhnlichen Zuständen fest, flüssig und gasförmig unterscheidet. "Wir haben nun einen ganz neuen Hammer, mit dem wir die Probleme abklopfen können, an denen ich seit 20 Jahren arbeite", so Sachdev.
Die String-Theoretiker waren nach einiger Zeit von den Ergebnissen im Bereich kondensierter Materie ebenfalls begeistert. Zunächst hatten die Forscher die Quark-Gluonen-Berechnungen ohne großen Enthusiasmus verfolgt, sagt Clifford Johnson, String-Theoretiker an der University of Southern California in Los Angeles. Und zumindest teilweise lag das, so sein Verdacht, am Unwillen, die Reinheit der Stringtheorie zu besudeln: "Es gab unter einigen Forschern einen Snobismus gegenüber dem, was sie 'bloße Anwendungen' nannten."
Doch 2006 wurde die Stringtheorie in zwei populärwissenschaftlichen Büchern öffentlich abgewatscht: Sowohl in "Not Even Wrong" von Peter Woit, einem Mathematiker der Columbia University, als auch in "The Trouble With Physics" von Lee Smolin, Physiker am Perimeter Institute for Theoretical Physics in Waterloo, ließen die Autoren kein gutes Haar an der Isolation der Theorie von Experimenten. "Es ist schwer zu sagen, ob das Interesse an den Anwendungen im Bereich kondensierter Materie eine direkte Reaktion auf diese Bücher ist – denn das ist eher eine psychologische Frage", sagt Joseph Polchinski, String-Theoretiker am Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara. "Aber sicherlich fingen die String-Theoretiker an, sich nach einem Bezug zur Realität zu sehnen."
Junges Blut
Die Partnerschaft mit der Physik der kondensierten Materie schien dafür perfekt. Wenn auch sonst nichts, so versprach sie doch, die peinliche Menge an möglichen Lösungen – 10100 für die grundlegenden Gleichungen – zu etwas Wertvollem zu machen. Jede Lösung beschreibt ein mögliches Universum mit eigener Größe, Form, Anzahl von Dimensionen und physikalischen Gesetzen. Mittels Maldacenas Idee, so String-Theoretiker Jerome Gauntlett vom Imperial College London, "kann jede dieser Lösungen auf eines der zahlreichen Materialien bezogen werden, die noch zu entdecken sind."
Beide Seiten profitieren davon, sagt Zaanen. "Wenn ich in einem Kolloquium über Supraleitung und Schwarze Löcher rede, dann schwärmen die Leute herbei wie Bienen zum Honig. Das bringt junges Blut in die Physik der kondensierten Materie, das Fachgebiet ist ihre erste Wahl."
Die Vielzahl der Workshops, auf denen die Zusammenarbeit propagiert wurde, war äußerst produktiv, sagt auch Polchinski. Er hat im vergangenen Jahr ein Treffen am Kavli Institute mitorganisiert, aus dem sieben neue Projekte hervorgegangen sind. Und Kavli führte von August bis November ein weiteres gemeinsames Forschungsvorhaben durch. "Der Versuch, zwei Gruppen von Physikern so schnell zur Zusammenarbeit zu bringen, ist einzigartig – ich persönlich habe so etwas in meiner ganzen Karriere noch nie gesehen", sagt Gauntlett.
Doch wie bei einem fiktionalen seltsamen Pärchen gibt es auch bei dieser Partnerschaft einige Reibereien. Alle sind sich beispielsweise darin einig, dass die auf dem Gebiet der kondensierten Materie arbeitenden Physiker der Zusammenarbeit sehr viel zögerlicher gegenüberstehen als ihre Kollegen aus der Stringtheorie. "Ich war bemerkenswert erfolglos darin, Physiker dazu zu überreden, String-Theoretiker auf den großen Tagungen über kondensierte Materie sprechen zu lassen", sagt Zaanen. "Sie befürchten, dass sie Stringtheorie lernen müssen, um mit ihnen zu reden. Es ist, als ob ich sie bitten würde, mit Außerirdischen Kaffee zu trinken."
Polchinski gibt zu, dass die Physiker aus dem Bereich kondensierte Materie nicht ganz Unrecht haben. "Ich glaube nicht, dass die String-Theoretiker schon irgendetwas gefunden haben, das in der Theorie der kondensierten Materie nicht schon bekannt ist." Die quantitativen Ergebnisse sind zumeist Wieder-Herleitungen von Antworten, die sich aus der Theorie der kondensierten Materie mit banaleren Methoden ergeben.
Schlimmer noch, einige der überprüfbaren Voraussagen der Stringtheorie sehen aus Sicht der kondensierten Materie ein wenig bizarr aus. So deuten die Berechnungen beispielsweise darauf hin, dass einige kristalline Materialien – wenn sie bis nahe zum absoluten Nullpunkt abgekühlt werden – in einem von vielen möglichen Grundzuständen mit minimaler Energie enden. Doch das verletzt den Dritten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, dass diese Materialien nur genau einen Grundzustand besitzen können. "Das ist der Gorilla im Raum, der die Leute in der Nacht wachhält", sagt Gubser.
Noch sind nicht alle überzeugt
Um Skeptiker zu überzeugen, suchen die Theoretiker geschäftig nach überprüfbaren Vorhersagen, die einen überwältigenden Beweis dafür liefern, dass sich die Zusammenarbeit zwischen beiden Arbeitsgebieten lohnt. Gauntletts Arbeitsgruppe und andere Teams sind auf der Jagd nach Konfigurationen von Schwarzen Löchern im Universum der Stringtheorie, die sich auf bislang unentdeckte Phasenübergänge abbilden lassen. Der Trick dabei ist, herauszufinden, welche Materialien solche Übergänge zeigen könnten. "Im Augenblick bedeutet das, herumzulaufen und zu fragen: Hast du so etwas Ähnliches schon einmal gesehen?", erläutert Gauntlett. "Aber wir hoffen, dass die Experimentatoren Materialien mit den von uns vorhergesagten Eigenschaften maßschneidern können, wenn sich die Methoden weiterentwickeln."
Sachdev wendet die Stringtheorie auf eine existierende Herausforderung an: Er versucht zu berechnen, wie sich die Leitfähigkeit mit der Temperatur ändert, wenn ultrakalte Atome vom supraleitenden Zustand zu einem isolierenden übergehen. Er glaubt, dass sich seine Vorhersagen schon in den nächsten Jahren testen lassen.
Selbst wenn das Programm erfolgreich ist, es gibt Grenzen für die Vorteile, die jeder der Partner daraus ziehen kann. Die Stringtheorie könne ein Handbuch von Eigenschaften bieten, nach denen gesucht werden kann, sowie Voraussagen darüber liefern, wie sich diese Eigenschaften im Experiment ändern, so Green. Doch sie kann niemals eine Theorie liefern, wie diese Eigenschaften sich aus dem Verhalten von Elektronen ergeben. Und umgekehrt können experimentelle Bestätigungen von Vorhersagen der Stringtheorie für kondensierte Materie niemals beweisen, dass Strings tatsächlich eine akkurate Beschreibung der Realität sind.
Vielleicht zeigt die Verbindung zwischen beiden Gebieten aber auch, dass wir ganz grundlegend falsch verstehen, was die Stringtheorie wirklich ist, meint Green. "Vielleicht ist die Stringtheorie gar keine einzigartige Theorie der Realität, sondern etwas Tieferes – eine Menge von mathematischen Prinzipien, mit der sich alle physikalischen Theorien aufeinander beziehen lassen. Vielleicht ist die Stringtheorie die neue Infinitesimalrechnung."
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.