News: Eins im Sinn...
Stanislas Dehaene vom INSERM und Elizabeth Spelke vom Massachusetts Institute of Technology sowie ihre Kollegen wählten einen anderen experimentellen Ansatz. Sie baten Versuchspersonen, die sowohl Englisch als auch Russisch fließend sprachen, eine Reihe von Rechenaufgaben zu lösen. Zuvor waren den Teilnehmern die nötigen mathematischen Fähigkeiten in einer der beiden Sprachen vermittelt worden. Es stellte sich heraus, daß die Probanden bis zu einer vollen Sekunde länger brauchten, um eine exakte Rechnung auszuführen, wenn das Problem jeweils in der Sprache gestellt wurde, in welcher sie nicht unterrichtet worden waren. So dauerte es beispielsweise länger, bis jemand, dem man die Rechenregeln auf Englisch erklärt hatte, die russisch gestellte Frage beantworten konnte, ob 53+68 gleich 121 oder 127 sei. Dabei war die Verzögerung nicht durch den Sprachwechsel an sich bedingt, denn bei Näherungsaufgaben traten keine zusätzlichen Bedenkpausen auf. Egal, ob ein Teilnehmer auf Englisch oder Russisch trainiert und in welcher Sprache er geprüft wurde: Die Schätzung, ob 53+68 dichter an 120 oder 150 liegt, kam gleich schnell. Auch bei komplizierteren Problemen – wie bei der Addition von Zahlen mit einer anderen Basis als zehn oder der Näherung von Logarithemn oder Quadratwurzeln – war die Trennung zu beobachten (Science vom 7. Mai 1999).
Dehaenes Team untersuchte mit bildgebenden Verfahren, welche die Gehirnaktivität räumlich aufgelöst darstellen, die Arbeit der Hirnzentren bei den verschiedenen Aufgabentypen. Exakte Berechnungen gingen mit verstärkter Aktivität im linken Frontallappen einher – ein Bereich, in dem auch Assoziationen zwischen Wörtern hergestellt werden. Mathematische Schätzungen fanden hingegen in den linken und rechten Scheitellappen statt – ein neuronales Netzwerk, das für die visuelle und räumliche Vorstellung verantwortlich ist und außerdem die Bewegungen der Finger kontrolliert.
Interessanterweise benutzen Kleinkinder auf der ganzen Welt ihre Finger, wenn sie lernen zu rechnen. Und bereits vor dem Spracherwerb können sie bei kleinen Gruppen die Objektmengen unterscheiden, wozu auch Affen in der Lage sind. Dies könnte darauf hindeuten, daß der ursprüngliche nonverbale Sinn für Quantitäten bei Menschen und anderen Primaten eng verbunden ist mit dem symbolischen mathematischen Denken, über welches nur Menschen verfügen und mit dessen Hilfe Einstein das Universum in Formeln beschrieb.
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