Energiespeicher: Ende der Dauerbrenner
Sonnenenergie strahlt mehr als genug auf die Erde: In jedem Augenblick kommt 5000-mal mehr Energie auf dem Globus an, als die Menschheit verbraucht. Bei der Windenergie sieht es ähnlich aus, in Deutschland könnten Windkraftanlagen jedes Jahr theoretisch mehr als 1850 Milliarden Kilowattstunden Strom liefern, rechnet das Berliner Büro des Öko-Instituts vor. In der Praxis fallen zwar etliche Standorte weg, weil niemand Windräder auf dem Brandenburger Tor und dem Kölner Dom installieren möchte und weil die unmittelbare Nachbarschaft zu Siedlungen und Naturschutzgebieten tabu ist. Trotzdem sollte laut Öko-Institut die Windenergie an Land immer noch 253 Milliarden Kilowattstunden Strom liefern können, dazu kämen weitere 216 Milliarden Kilowattstunden aus Nord- und Ostsee sowie 292 Milliarden Kilowattstunden von Solarzellen. Das wäre deutlich mehr als die rund 550 Milliarden Kilowattstunden, die im Jahr 2017 die deutschen Steckdosen erreichten.
Leider steckt der Teufel wie so oft im Detail. So erreichen die Sonnenstrahlen den Planeten sehr ungleichmäßig: Nachts versiegt die Lieferung völlig, in hohen Breiten kommt auf jedem Quadratmeter ohnehin viel weniger Licht als am Äquator an, und im Sommer produzieren mitteleuropäische Solarzellen normalerweise erheblich mehr Strom als in der Weihnachtszeit, wenn die Tage kurz und die Nächte lang sind.
Solche zum Teil gravierenden Unterschiede gibt es auch, wenn Ingenieure Windkraftwerke bauen: Auf hoher See weht der Wind oft kräftiger als an der Küste, an der die Luftbewegung wiederum meist stärker ist als weiter im Landesinneren. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kann man also in einem Jahr normalerweise erheblich mehr Windenergie ernten als in Bayern und Baden-Württemberg. Regelmäßig aber ist das Angebot fast nirgends. Weht zum Beispiel ein Orkan, werden die Windräder abgeschaltet, und bei Flaute liefern sie ebenfalls keinen Strom.
Schwankende Nachfrage …
Doch nicht nur das Angebot schwankt, sondern auch die Nachfrage. Frühmorgens um drei Uhr laufen die Stromzähler gemächlicher als vormittags um halb elf. Und wenn die Fußball-Nationalmannschaft in die Halbzeitpause geht, schnellt der Stromverbrauch in die Höhe, weil vielerorts die Mikrowellen eine Zwischenmahlzeit erhitzen. An den heißen Sommernachmittagen liefert die Fotovoltaikanlage auf dem Hausdach reichlich Elektrizität, die Bewohner hingegen sitzen im Freibad.
So entstehen leicht Überschüsse. Und das bei einem Produkt, das sich nicht ohne Weiteres und nur mit gewissen Verlusten lagern lässt. Am besten sollte man also den Strom genau dann produzieren, wenn er auch verbraucht wird. Daher verteilte man im fossilen und atomaren Energiezeitalter zum Beispiel große Kernkraftwerke, die rund um die Uhr große Strommengen liefern, so im Land, dass sie möglichst viele Haushalte und vor allem auch Unternehmen mit hohem Strombedarf in nicht allzu großer Entfernung versorgen konnten. Dazu kamen Gas- und Steinkohlekraftwerke sowie einige Pumpspeicherwerke, die mehr oder minder rasch Stromlücken füllen können.
… fehlende Speicher
Ersetzen Windkraft- und Fotovoltaikanlagen mit ihrer unregelmäßigen Erzeugung die atomar oder mit Kohle betriebenen Dauerbrenner, stößt dieses System aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts irgendwann an seine Grenzen. Schließlich verlangt das stark schwankende Angebot von Sonnen- und Windenergie erheblich höhere Speicherkapazitäten oder Kraftwerke, die schnell mehr oder weniger Leistung bringen können. Zusätzliche Pumpspeicherkraftwerke kommen dafür kaum in Frage, weil es für sie schlicht keinen Platz gibt: Im Flachland mangelt es an Höhenunterschieden. Im Gebirge und Hügelland sind die besten Standorte bereits vergeben, und für die verbliebenen Optionen müsste im dicht besiedelten Mitteleuropa ohnehin knappes Kultur- oder Naturland geopfert werden – was kaum jemand möchte. Zwar könnte man das untere Staubecken solcher Pumpspeicherkraftwerke in den Untergrund verlegen, um so den Landschaftsverbrauch zu verringern. Das kommt aber extrem teuer, wie diverse Tunnel- und U-Bahn-Projekte zeigen.
Zusätzlich kämpft die Energiewende noch mit einem massiven Strukturproblem: Besonders viel Strom benötigen heute und vermutlich auch in der absehbaren Zukunft die Wirtschaftszentren im Westen und Süden Deutschlands, in denen auch sehr viele Menschen leben. Das wiederum verknappt den Platz für Windräder. In den Mittelgebirgen weht der Wind zwar gut, aber aus Gründen des Landschaftsschutzes dürfen dort oft keine Anlagen errichtet werden. Und hinter den Bergen nimmt der Wind häufig deutlich ab. Viel mehr Platz für die dezentrale und nachhaltige Energieversorgung bieten dagegen relativ dünn besiedelte Regionen wie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Obendrein ernten die Windräder dort auch noch deutlich mehr Energie. Kein Wunder, wenn gerade in diesen Regionen bisher weit mehr Windkraftanlagen gebaut wurden als in Bayern, Baden-Württemberg oder im Ruhrgebiet.
Während es im Norden und Osten also Windstrom im Überfluss gibt, ist er in den Ballungszentren im Westen und Süden Mangelware. Natürlich kann man zusätzliche Stromleitungen zwischen diesen Gebieten bauen. Nur kostet deren Bau viel Geld und wird häufig auch noch von den Anwohnern heftig bekämpft.
»Trotzdem brauchen wir mehr Leitungen«, erklärt Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Schließlich können weiträumige Stromverbundsysteme, die schon heute große Teile Europas umfassen, die örtlichen Schwankungen am besten ausgleichen: Herrscht in einer Region Europas Flaute oder versteckt sich die Sonne hinter dicken Wolken, kann 1000 oder mehr Kilometer entfernt durchaus der Wind wehen und die Sonne scheinen. In solchen Fällen verteilen die Verbundnetze den Strom von den Überschuss- in die Mangelregionen.
Neue Stromtrassen kommen teuer zu stehen
Nur sollte man keineswegs zu stark auf den Ausbau der Stromtrassen setzen. »Schon heute sind die Kosten für das Stromnetz höher als die für das Erneuerbare-Energie-Gesetz«, meint Bruno Burger. Den Ausweg aus dieser finanziellen Klemme nennt der Fraunhofer-Forscher ebenfalls: »Im Süden Deutschlands müsste die Windenergie stark gefördert und so ihr Ausbau dort vorangetrieben werden.« Letztendlich müsste also weiter dezentralisiert werden. Dazu kommen noch Komponenten für Ereignisse, durch die unerwartet weniger Strom zur Verfügung steht oder mehr Elektrizität verbraucht wird. Bisher halten die Betreiber der Stromnetze dafür eine Reserve in Form von Gas- oder Steinkohlekraftwerken vor, die bei solchen Schwankungen rasch einspringen können und den fehlenden Strom liefern. Werden diese fossilen Lückenbüßer stillgelegt, können Pumpspeicherkraftwerke allein diese so genannten Regelleistungen kaum übernehmen. Biogas-, Windkraft- und Solaranlagen müssen sie in Zukunft ergänzen. Ähnlich wie Gas- und Steinkohlekraftwerke das schon heute tun, drosseln sie dazu ihre Leistung, wenn weniger Strom gebraucht wird. Droht eine Lücke, können sie ihre Leistung dann wieder steigern.
Neben diesen Regelleistungen durch Solar- und Windenergieanlagen, einer besseren Verteilung der Windenergie auf die Regionen und zusätzlichen Stromtrassen braucht die Energiewende eine weitere Komponente, um die starken Schwankungen bei Angebot und Nachfrage auszugleichen: Speicher für elektrischen Strom müssen dieses Auf und Ab abpuffern. Auch dafür hat das Fraunhofer ISE einen Fahrplan. Und dieser setzt für die kommenden Jahrzehnte auf altbewährte Technologien.
Da sind zunächst einmal Akkus, die überschüssigen Strom am besten gleich vor Ort speichern. Eingesetzt werden kann die gesamte Breite der Technik von Lithium-Akkus, wie sie auch im Handy stecken, bis hin zu modernen Techniken wie der Redox-Flow-Batterie. Das Oldenburger Energie-Unternehmen EWE will in Zusammenarbeit mit der Universität Jena in unterirdischen Salzkavernen bis zum Jahr 2023 eine solche Redox-Flow-Batterie bauen, die mit 700 Megawattstunden genug Energie speichern soll, um 75 000 Haushalte einen Tag lang mit Strom zu versorgen. »Ab dem Jahr 2025 sollten dann solche Batteriespeicher die kurzfristigen Schwankungen der nachhaltigen Stromversorgung im größeren Rahmen puffern«, meint Bruno Burger. Kurzfristig hieße in diesem Fall, dass etwa nachts erzeugter Windenergiestrom für den morgendlichen Spitzenbedarf vorrätig sein wird.
Wasserstoff statt Wasserkraft?
Ungefähr ab dem Jahr 2035 müssen Speichertechnologien zunehmend auch längerfristige Schwankungen auffangen können. Das Herzstück dieser Technologie ist die Elektrolyse von Wasser, bei der elektrischer Strom zwei Wassermoleküle in zwei Wasserstoff- und ein Sauerstoffmolekül spaltet. Dieses Verfahren ist gut erprobt, bereits 1866 hatte der deutsche Chemiker August Wilhelm von Hofmann einen solchen Wasserzersetzungsapparat vorgestellt. Der entstehende Sauerstoff entweicht dabei in die Luft, der Wasserstoff kann in das weit verzweigte Erdgasnetz eingespeist werden.
Schon heute existieren riesige, unterirdische Kavernen und ebenfalls gigantische Behälter über der Erde, in denen Erdgas für den Winter gespeichert werden kann. Gaskraftwerke erzeugen daraus bei Bedarf wieder Strom. Außerdem kann man den aus überschüssiger Elektrizität gewonnenen Wasserstoff in Brennstoffzellen wieder in Wasser zurückverwandeln und dabei Strom gewinnen. Auch dieses Verfahren gehört in Brennstoffzellenfahrzeugen längst zum technischen Alltag.
Revival der Verbrenner
»Die nächste Stufe dieser Stromspeicher wird wohl erst ab 2045 an Bedeutung gewinnen«, erklärt Burger. Der aus überschüssiger Wind- und Sonnenenergie gewonnene Wasserstoff wird dabei mit Kohlendioxid zu Methan umgesetzt. Dieses Gas stellt den allergrößten Anteil der im Erdgas vorhandenen Moleküle. Zwar wird Energie verbraucht, um das für diesen Prozess benötigte Kohlendioxid aus der Luft zu holen, gleichzeitig gibt es aber auch erhebliche Vorteile. So darf in den Erdgasnetzen der Anteil von Wasserstoff nicht auf über fünf Prozent steigen, um Schäden an den Rohren und Geräten zu vermeiden. Methan jedoch kann unbegrenzt eingespeist werden. Obendrein kann man dieses Gas nicht nur in Strom zurückverwandeln, sondern auch für alle Zwecke nutzen, für die Erdgas heute eingesetzt wird: Heizen und Kochen funktioniert mit Methan genauso wie der Antrieb von Autos oder Schiffen.
Und am (vorläufigen) Ende dieser Entwicklung dürfte eine Technik stehen, die uns heute wie ein Rückschritt anmuten mag: die Erzeugung von Flüssigtreibstoffen aus Überschüssen bei der Sonnen- und Windenergie. Ab 2055 könnte diese Form der Nutzung an Bedeutung gewinnen, schätzt Bruno Burger. Denn auf Benzin, Kerosin und Co. wird man schon aus technischen Gründen auf absehbare Zeit nicht verzichten können. Gerade Flugzeuge oder Hochseeschiffe sind auf die hohe Energiedichte und vergleichsweise unkomplizierte Verwendung dieser Treibstoffe angewiesen. CO2-neutrale Alternativen aus Wind- oder Solarstrom würden dazu beitragen, die verbliebene Lücke beim Umstellen der Mobilität auf nachhaltige Systeme zu schließen.
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