Klimaschutz: Erreichen wir unsere Klimaziele noch?
Es ist ein Traum mit Ablaufdatum. Die Weltgemeinschaft gibt sich ihm seit einem Moment kollektiver Euphorie hin: damals im Dezember 2015 in Paris. Als der französische Außenminister Laurent Fabius seinen Spielzeughammer fallen ließ und das Pariser Abkommen als »accepté« erklärte, jubelten die Delegierten im Saal. Sie hatten gerade beschlossen, die Erwärmung der Erde durch den Klimawandel zum Ende des Jahrhunderts auf »deutlich unter zwei Grad« zu begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad Celsius. Wie im Rausch wurde das Abkommen noch vor der Wahl von US-Präsident Donald Trump ein knappes Jahr später ratifiziert und in Kraft gesetzt.
Aus diesem Traum rüttelt der Weltklimarat IPCC die Gemeinschaft der Staaten demnächst auf. Die Wissenschaftler bereiten für den Herbst 2018 einen Sonderbericht zur 1,5-Grad-Grenze vor; Mitte Januar ist ein Entwurf der Zusammenfassung des eigentlich noch vertraulichen Reports publik geworden, aus der die Skepsis der Forscher spricht. Das Gremium mit Sitz in Genf beeilte sich zwar zu verkünden, seine Schlussfolgerungen könnten sich bei der weiteren Arbeit noch ändern – das sei ja schließlich der Zweck, wenn man einen Entwurf zum Kommentieren herumschicke. Doch hinter einige zentrale Feststellungen dürfte der IPCC kaum noch zurückkommen.
Eine davon lautet: Ein Grad Erwärmung ist bereits erreicht, und es gibt keinen erkennbaren Entwicklungspfad mehr, wie die Welt mit erprobten Mitteln und bei Erfolgsaussichten von 66 Prozent die Erwärmung bei höchstens 1,5 Grad halten kann. Wissenschaftler können nur noch Szenarien anbieten, die von diesem erwünschten Ausgang abweichen. Entweder übersteigen die Temperaturen die Grenze einige Jahrzehnte lang und sinken dann wieder, weil »negative Emissionen« oder allgemeiner »Geoengineering« eingesetzt wurden. Oder die vorgezeichnete Entwicklung bietet nur noch eine 50-Prozent-Chance, die Grenze zu halten. Ersteres bedeutet, zusätzlich zu den dramatischen Veränderungen im Energiesystem überhastet in eine Technologie zur künstlichen Kühlung der Erde einzusteigen. Zweiteres birgt die Aussicht, dass ein Scheitern genauso wahrscheinlich wird wie der Erfolg.
Nationale Egoismen
Und selbst diese zwiespältige Chance, am Ende des Jahrhunderts die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnte die Menschheit leicht vertun. Als jetzt ein großes internationales Team von Wissenschaftlern um Joeri Rogelj vom International Institute für Applied Systems Analysis in Laxenburg in Österreich in »Nature« über Wege in eine 1,5-Grad-Zukunft berichtete, musste es einige Fälle von Scheitern einräumen. Die dafür genutzten Computerprogramme versagten in einigen Fällen, wenn die Welt in der Simulation den Kohleverbrauch oder die Ungleichheit nicht in den Griff bekam. Dann suchten die modellierten Länder nämlich allein den eigenen, vermeintlichen Vorteil und verweigerten sich Maßnahmen, die der Gemeinschaft der Staaten genutzt hätten.
Nationale Egoismen könnten auch auf anderem Feld den Erfolg torpedieren: »Schon ein kleiner Energieboom in der Arktis könnte jede Chance zerstören, dass die Welt die Aufheizung unterhalb gefährlicher Niveaus begrenzt«, warnt die Klimawissenschaftlerin Katharine Hayhoe von der University of Texas in Lubbock in den »Environmental Research Letters«. Ihr Argument lautet so: Wenn die Polarregion durch das frühere Abschmelzen der Eismassen besser zugänglich wird, könnten auch die dort vermuteten Vorräte von Öl und Gas bald ausgebeutet werden. Würden sie aber gefördert und verbrannt, dann gelangten enorme zusätzliche Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre und würden die Erwärmung schnell an jeder Grenze vorbeitragen.
Das Diktat des Kohlenstoffbudgets
Ganz generell ist die Aussicht befristet, das ehrgeizigere der Pariser Klimaziele einzuhalten, sagt der IPCC. Dafür müssten die Voraussetzungen bald geschaffen werden, aber die Staaten der Welt sind noch nicht annähernd auf dem richtigen Pfad. Was sie sich bisher vorgenommen haben, begrenzt die Erwärmung im Jahr 2100 bestenfalls auf 3,2 Grad Celsius, bilanziert die Initiative Climate Action Tracker. Gelingt auf den Klimagipfeln Ende 2018 in Krakau und Ende 2019 (Ort noch unbekannt) keine erkennbare, effektive Trendwende, so der Weltklimarat, heißt es bereits 2030: ausgeträumt! Dann sind zu dem Zeitpunkt bereits so viele Treibhausgase in der Atmosphäre, dass die Erwärmung mehr als 1,5 Grad betragen muss.
Das entscheidende Maß für die Frage, welches Klimaziel noch zu erreichen ist, heißt in der Wissenschaft Kohlenstoffbudget. Es gibt wie beim Haushaltsentwurf einer Regierung an, welche Ausgaben – oder hier: Emissionen – möglich sind. Der Unterschied ist nur: Das Budget bezieht sich nicht auf ein Jahr. Die Zahlen sind endgültig. Die Welt muss mit diesen Mengen zurechtkommen oder scheitern.
Allerdings schwanken die genannten Werte in der Wissenschaft noch stark. Der IPCC verkündet im Berichtsentwurf für die 1,5-Grad-Grenze folgende Budgets: Genügt der Menschheit eine 50-prozentige Erfolgswahrscheinlichkeit, kann sie – umgerechnet auf das Startdatum Januar 2018 – noch 510 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Für den Fall, dass die Staaten der Welt sich mit Geoengineering eine Erfolgschance von 66 Prozent erkaufen, lautet die entsprechende zentrale Schätzung 320 Milliarden Tonnen. Hier ist die Zahl aber mit einer großen Unsicherheit behaftet: Es könnten auch etwas weniger als die Hälfte oder etwas mehr als das Doppelte sein.
Was die Zahlen bedeuten, zeigt eine einfache Rechnung: Bleiben die Emissionen auf dem Niveau der vergangenen Jahre (bei jeweils knapp 40 Milliarden Tonnen Kohlendioxid), muss die Menschheit entweder ab 2026 alle danach freigesetzten Treibhausgase wieder zurückholen (dann sind 320 Gigatonnen erschöpft) oder darf ab 2031 netto nichts mehr ausstoßen (wenn 510 Gigatonnen mehr als heute in der Atmosphäre schweben).
Andere Wissenschaftler, zum Beispiel Mark Lawrence vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam, kommen auf eine ähnliche Deadline: Anfang der 2030er Jahre vergeht jede Chance, die Erwärmung nach dem Pariser Ziel auf 1,5 Grad zu begrenzen, wenn die Weltgemeinschaft dann nicht bereits längst den richtigen Weg eingeschlagen hat. Kaum mehr Zeit veranschlagt ein Team um Philipp Goodwin von der Universität Southampton in »Nature Geoscience«: Einer Berechnung mit 30 000 Varianten zufolge ist das Budget für eine 1,5-Grad-Zukunft 2033 oder 2034 erschöpft.
Angesichts solcher Zahlen dürfte sich kaum noch jemand finden, der mit ehrlichem Optimismus verkündet: »Das schaffen wir.«
Welche Grenze können wir schaffen?
Zieht sich die Menschheit auf das Ziel zurück, die Erwärmung (mit 66-prozentiger Erfolgswahrscheinlichkeit) auf maximal 2,0 Grad zu begrenzen, liegt das Kohlenstoffbudget höher. Dann dürfen die Staaten laut IPCC-Entwurf noch 840 bis 1110 Milliarden Tonnen CO2 freisetzen, je nachdem, ob sie negative Emissionen gegenrechnen, also Geoengineering betreiben, oder nicht. Bei heutigem Ausstoß blieben damit 25 bis 33 Jahre Zeit. Das Team um Philipp Goodwin rechnet sogar mit 35 bis 41 Jahren. Zusammengefasst bedeutet das, dass die Welt irgendwann zwischen den frühen 2040er und den späten 2050er Jahren aufhören muss, Kohlendioxid in die Atmosphäre zu entlassen.
Auf diese Strategie läuft auch ein Aufruf hinaus, den im Herbst 2017 eine hochkarätige, internationale Expertengruppe vom Institute for Governance and Sustainable Development (ISDG) veröffentlicht hat. Zu den Leitern des 30-köpfigen Teams gehörte der mexikanische Nobelpreisträger Mario Molina, der einst für die Arbeit zum Ozonloch ausgezeichnet wurde. »Der Klimawandel ist ein dringendes Problem, das dringende Lösungen verlangt«, sagte er bei der Vorstellung des Reports. Die Emissionen von Kohlendioxid müssten darum möglichst schon 2020 ihren Höhepunkt erreichen, dann deutlich sinken und gegen 2050 die Nulllinie erreichen.
Flankierend solle die Welt sich darauf vorbereiten, im Lauf des Jahrhunderts bis zu eine Billion Tonnen CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen, fordern die ISDG-Experten. Sie bezeichnen das als Versicherungspolice für den Fall, dass die Emissionen eben nicht 2020, sondern erst 2030 zu fallen beginnen.
Spätestens ab 2020 ist Handeln angesagt
Wie genau die Welt die Zeit bis 2050 nutzen soll, dafür gibt es verschiedene Vorschläge. »Fangen wir schon 2020 mit einer jährlichen dreiprozentigen Senkung an und halten das zehn Jahre durch, dann genügt dieses Tempo auch nach 2030 bis 2100«, sagt zum Beispiel Mark Lawrence. »Warten wir hingegen bis 2030, dann bräuchten wir danach Emissionssenkungen von fünf Prozent pro Jahr für den Rest des Jahrhunderts.« Umgerechnet auf Jahrzehnte bedeuten Lawrence' Zahlen, dass die Emissionen im Lauf der 2020er Jahre um insgesamt 27 oder während der 2030er Jahre um 40 Prozent sinken müssten – vielen Beobachtern und ökonomischen Modellen zufolge, die in der Rogelj-Studie verwendet wurden, sind solche Reduktionen kaum machbar.
Doch es gibt noch radikalere Vorschläge: 50 Prozent Reduktion bis 2030 fordert ein Team um Johann Rockström vom Stockholm Resilience Center; dazu gehörte auch Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, dem Rockström demnächst als einer von zwei neuen Direktoren nachfolgen soll. Laut dem vorgeschlagenen »Kohlenstoff-Gesetz« der Autoren soll sich der Ausstoß in den 2020er, 2030er und 2040er Jahren jeweils halbieren und so von ungefähr 40 Milliarden Tonnen 2020 auf fünf Milliarden Tonnen 2050 fallen. Etwa diese Menge müsste in jenem Jahr gezielt aus der Atmosphäre entnommen werden können, damit der Saldo bei null liegt.
Besonders in den 2020er Jahren stünde die Welt darum vor »Herkulesaufgaben«, so die Rockström-Gruppe, und im Jahrzehnt danach seien »viele Durchbrüche« nötig, weil zum Beispiel Erdöl zum Ende des Zeitraums praktisch überhaupt nicht mehr verwendet werden soll. Autos haben dann kaum noch Verbrennungsmotoren oder tanken wie Flugzeuge künstliche, mit erneuerbarem Strom erzeugte Kraftstoffe.
Was ist mit Methan und Co?
Und als wäre all das nicht schon schwierig genug, darf der Fokus laut den Experten nicht allein auf Kohlendioxid liegen. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen in Zukunft vor allem die anderen Treibhausgase, Partikel und Aerosole: Methan, Ruß, Fluor- und Stickstoffverbindungen. Diese Stoffe erwärmen die Erde pro Kilogramm teilweise deutlich stärker als CO2, sind aber meist kurzlebiger und in geringeren Konzentrationen vorhanden. Sie mit Kohlendioxid zu vergleichen, ist kompliziert, ihr Beitrag zur momentanen Erwärmung dürfte geschätzt bei 25 bis 30 Prozent liegen.
Die Expertengruppe um Mario Molina gibt darum ein weiteres Ziel aus: die kurzlebigen, potenten Treibhausgase bis 2020 deutlich zu reduzieren. Methan zum Beispiel entsteht in Reisfeldern, Kuhmägen und offenbar zunehmend bei unkonventionellen Erdgasbohrungen (»Fracking«); Ruß stammt aus Schiffs- und Dieselmotoren sowie aus Kochfeuern, die mit Holz oder Dung angeheizt werden. Und manche Fluorverbindungen entweichen als Ersatzstoffe für inzwischen gebannte Kühlmittel aus Klimaanlagen – werden aber bereits durch das Abkommen von Kigali erfasst. Mit effektiver Regulierung könne und müsse die Welt bei diesen Substanzen schnelle Erfolge erzielen, erklärt das Expertenteam. Beim IPCC klingt es ähnlich.
Sind die Klimaziele des Pariser Vertrages also noch zu erreichen? Die Antwort wird sich die Welt in den kommenden zehn Jahren selbst geben. Folgendes ist aber schon erkennbar. Erstens: Die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, setzt rapide, weit reichende Veränderungen voraus. Zurzeit ist der politische Wille dazu nicht besonders erkennbar. Zweitens: Passieren in den 2020er Jahren keine einschneidenden Weichenstellungen, lautet die Antwort in Bezug auf das ehrgeizigere Pariser Ziel vermutlich »Nein«. Drittens: Die Aufheizung der Atmosphäre »deutlich unter 2,0 Grad« zu stoppen, ist ein wenig einfacher, aber keinesfalls einfach. Es setzt einen radikalen Wandel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik innerhalb der kommenden beiden Jahrzehnte, möglichst auch bis 2030 voraus.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.