Artenschutz: Dicht besiedelt und voller Raubtiere
Im 20. Jahrhundert waren die großen Fleischfresser – Bär, Wolf, Luchs und Co – im dicht besiedelten Zentrum Deutschlands und Europas allmählich ausgestorben. Überrascht war davon kaum jemand: Wo wenig Platz und immer weniger freie Wildbahn ist, finden die in weit verstreut und in geringer Zahl lebenden, auf große Jagdgebiete angewiesenen Top-Prädatoren eben zu wenig Beute und kein Auskommen. Dazu kommt, dass die Tiere bei Schäfer und Co nicht den besten Ruf genießen – sind sie nicht gefährlich, zumindest für den Viehbestand?
An all diesen Grundbedingungen hat sich bis heute nicht viel geändert, und doch bescheinigt eine gerade veröffentlichte, detaillierte europaweite Auswertung den großen Karnivoren jetzt ein recht spektakuläres Comeback. Bären und Wölfe, Luchse und kleinere Raubtiere wie die Vielfraße sind zurück: Sie haben, so die Analyse, schon rund ein Drittel der Fläche in Europa wieder als Lebensraum erobert. Was hat zu dieser Erfolgsgeschichte des Wildtierschutzes beigetragen?
Wolf, Bär und Luchs: Stabile Populationen in Europa
Einige Gründe fasst das vielköpfige internationale Forscherteam um Guillaume Chapron zusammen: Neben der gesetzlichen Grundlage, die die Tiere überhaupt erst als schützenswert eingestuft hat, spielt vor allem ein vertrauensvoller Austausch zwischen der Bevölkerung und dem Naturschutz eine Rolle. Wo Maßnahmen erklärt werden und sich bewähren, sei das Zusammenleben von Raubtier und Mensch auch dort kein Problem, wo beide wenig Platz haben und aufeinandertreffen können.
In Europa zeige sich der Vorzug des "Koexistenz"-Ansatzes: Hier sind kaum große, von menschlichen Siedlungen abgelegene und streng abgeschirmte Naturreservate zum Schutz von Großtieren einzurichten, wie man sie in Südafrika oder den USA kennt. Stattdessen ist das Wildtiermanagement gezwungen, viel kleinteiliger verschiedene Interessen abzudecken. Kleinere Populationen in ihren Habitaten müssen oft grenzübergreifend verwaltet werden, lokale und regionale Gegebenheiten Beachtung finden und eine Vielzahl von Detailmaßnahmen ineinandergreifen. Das allerdings kann durchaus gelingen, wie die Studie zeigt – und ist im Erfolgsfall sogar überlegen.
So funktioniert mittlerweile das Zusammenspiel von Schäfern, die Herden lokal mit elektrischen Schutzzäunen gut gegen Wölfe und Bären abschirmen. Gerade in Ländern mit längerer Erfahrung verläuft das Zusammenleben eher geräuschlos, etwa in Österreich: Seit den 1970er Jahren, als der Bär nach Österreich zurückkehrte, wurde dort kein Mensch verletzt, während höchsten zwei Prozent der Schafe im Jahr auf das Konto hungriger Bären und Wölfe gehen – weniger, als durch Unfälle und Krankheiten sterben.
Mehr Wölfe in Europa
Die Bemühungen um lokales Mikromanagement, gezielte Auswilderungsmaßnahmen, Zucht- und Schutzprogramme und ein vielerorts über Jahrzehnte praktizierter Umweltschutz haben lokal erstaunliche Erfolge gezeitigt. So leben etwa in Europa zweimal mehr Wölfe (rund 11 000) als in den USA, obwohl hier nur halb so viel Fläche zur Verfügung steht (4,3 Millionen Quadratkilometer gegenüber acht Millionen), die dabei auch noch durchschnittlich doppelt so dicht besiedelt ist.
Rund 17 000 Bären findet man nun in 22 Ländern Europas und zehn Populationen; die geschätzt 9000 europäischen Luchse sind ähnlich verbreitet – und Vielfraße haben es immerhin geschafft, in Skandinavien wieder in größerer Zahl heimisch zu werden. Erstaunlicherweise leben und gedeihen die mittleren und größeren Raubtierpopulationen dabei auch außerhalb von ausgewiesenen Naturreservaten – ein Grund für Optimismus, finden die Forscher. Sorgen muss man sich allerdings um einige sehr kleine Populationen machen, die wohl bald verschwinden: etwa die letzten paar Wölfe in der Sierra Morena Spaniens oder die wenigen Luchse in der Pfalz und den Vogesen. Insgesamt, so die Forscher, sei ihre Studie aber nicht nur ein weiterer Beleg dafür, wie gut große Raubtiere und Menschen nebeneinander leben können – sondern der bislang beste statistische Nachweis, dass das Koexistenz-Modell des Artenschutzes auch als europaweites Modell funktioniert.
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