Direkt zum Inhalt

Mittelalter: Erst verschwanden die Walrosse, dann Grönlands Wikinger

Lange sicherte der Handel mit Walross-Elfenbein das Überleben der Grönländer. Doch dann brachten sie sich selbst um ihre wichtigste Ressource. War die Globalisierung schuld?
Walross

Globalisierung, klimatische Veränderungen und ein nicht nachhaltiger Umgang mit Ressourcen: Die drängendsten Probleme unserer Zeit machten offenbar auch jenen Nordmännern zu schaffen, die sich auf Grönland niedergelassen hatten. Und womöglich war es die Kombination genau jener drei Faktoren, die dazu führte, dass die Siedler nach über vier Jahrhunderten spurlos von der Insel verschwanden. Das legt zumindest eine aktuelle Studie nahe, für die Forscher das Alter und die Herkunft von 67 mittelalterlichen Exemplaren von Walross-Elfenbein analysierten.

Das Elfenbein aus den Zähnen der Walrosse war als Luxusgut in Europa hoch begehrt und praktisch einziges Handelsgut der Grönländer. Um die Tiere zu erlegen, unternahmen die Nordmänner ab der Mitte des 12. Jahrhunderts alljährlich ausgedehnte Jagdzüge entlang der Küsten. Doch wie James Barrett von der University of Cambridge und Kollegen nun im Journal »Quaternary Science Reviews« feststellten, stammte das Material, das in den europäischen Handel kam, mit der Zeit immer häufiger von Weibchen, die zudem nur eine geringe Körpergröße aufwiesen und weit im Norden lebten. Das sei ein typisches Zeichen für eine nicht nachhaltige Jagd, die die Bestände plündert und den Tieren zu wenig Zeit zur Erholung gibt.

Damit dürften sich Vorgänge wiederholt haben, die in ganz ähnlicher Form weiter östlich in Island stattfanden: Auch hier trieben die Nordmänner das Walross an den Rand der Ausrottung oder darüber hinaus.

Vermutlich, so das Wissenschaftlerteam, wurden die Walrosse in den südlichen Küstenabschnitten Grönlands zunehmend seltener, was die Jäger zu immer weiteren, gefährlichen Expeditionen trieb. Irgendwann sei die Walrossjagd nicht mehr rentabel gewesen.

Dass auch eine nachhaltige Jagd auf Walrosse möglich war, hatten die Nordmänner in den ersten gut 100 Jahren bewiesen, in denen sie diese Ressource ausbeuteten. Ein Auslöser der Überjagung könnte in politischen Vorgängen viel weiter südlich liegen: Neue oder wiedereröffnete Handelsrouten sorgten dafür, dass mit einem Mal indisches und afrikanisches Elfenbein in Europa verfügbar wurde. Womöglich reagierten die Grönländer auf Konkurrenz und sinkende Preise, indem sie noch mehr der ohnehin geschwächten Walrosse erlegten.

Als im Jahr 1350 ein norwegischer Priester Westgrönland besuchte, fand er in den Siedlungen schließlich keinen lebenden Menschen mehr vor. Anhaltspunkte, wohin sie gegangen waren und warum sie ihre Gehöfte aufgegeben hatten, hinterließen die »Grænlendingar« nicht. Nur weiter im Osten bestanden wohl zu jener Zeit noch Siedlungen – bis sie ebenfalls verschwanden. Vermutlich hatte die kleine Eiszeit, während der auch auf Grönland die Temperaturen absanken, zu einer weiteren Verschlechterung der ohnehin schwierigen Lebensbedingungen geführt.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.