News: Evas Rippe
Das untersuchte genetische Material stammte jedoch nicht aus den Chromosomen, sondern aus Mitochondrien. Diese Zellorganellen, die als "Kraftwerke" die Energieversorgung der Zelle sicherstellen, besitzen ein kleines ringförmiges DNA-Molekül, das wesentlich einfacher zu untersuchen ist als die riesige Masse der chromosomalen DNA des Zellkerns. Vererbt werden die Mitochondrien mit ihrer DNA von der mütterlichen Eizelle – das väterliche Spermium trägt nur chromosomales Erbgut bei. Das bedeutet, dass die molekulare Uhr mit mitochondrialer DNA als Grundlage nur die weibliche Linie zurück verfolgen kann. Es zeigte sich, dass alle heute lebenden menschlichen Mitochondrien einen gemeinsamen Ursprung haben. Die Trägerin dieses Organells, die "mitochondriale Eva", lebte vermutlich vor etwa 140 000 Jahren in Afrika – sie ist die Urmutter, von der wir alle abstammen. Das heißt natürlich nicht, dass diese Frau allein auf der Welt war, sondern nur, dass alle Nachkommen anderer Frauen inzwischen ausgestorben sind.
Ein internationales Team unter der Leitung des Molekularbiologen Peter Underhill von der Stanford University suchte dazu den passenden Urvater. Hierfür bietet sich das nur väterlich vererbte Y-Chromosom an. Frühere Untersuchungen an einem Marker des Chromosoms wiesen auf einen gemeinsamen Ursprung vor etwa 100 000 bis 200 000 Jahren in Afrika hin. Jetzt verglichen die Wissenschaftler insgesamt 167 Mutationen des Chromosoms von 1 026 Männern aus 21 unterschiedlichen geographischen Regionen. Überraschenderweise zeigte sich, dass der Träger des ursprünglichen Y-Chromosom, der "Y-Chromosom-Adam", vor erst 59 000 Jahren lebte – und damit etwa 80 000 Jahre später als die "mitochondriale Eva" (Nature Genetics vom November 2000).
"Ich erwartete, dass Mitochondrien und Y-Chromosomen eine ähnliche Geschichte hatten", sagt Peter Oefner vom Forschungsteam, "es ist ein erstaunlicher Unterschied." Vermutlich war die Sterberate bei Männern größer als bei Frauen, sodass bei ihnen mehr Linien ausgelöscht wurden. Außerdem könnten wenige Männer ihr Erbgut an viele Frauen weitergegeben haben, so die Wissenschaftler.
Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass der Mensch mehrfach Afrika verlassen hatte. Die Genetiker konnten die Spur des Y-Chromosoms weiter nach Australien, Indien und Europa verfolgen. Auch wenn noch vieles aus unserem Ursprung im Dunkeln bleibt, ist zumindest die enge Verwandtschaft aller heute lebenden Menschen deutlich.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 11.5.2000
"Alles Söhne Abrahams"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 9.10.1998
"Viele Kulturen, aber keine Rassen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 12.11.1997
"Auch Adam stammte aus Afrika"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 2/94, Seite 56
"MHC-Polymorphismus und Ursprung des Menschen"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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