Direkt zum Inhalt

Geschichte: Fisch und Chips statt Matjes

Kapitän James Cook ist der Entdecker von Australien - diesen Mythos hegen und pflegen die Australier sorgfältig. Doch die historische Realität sieht anders aus: Knapp zweihundert Jahre vor dem englischen Seefahrer setzte ein Holländer als erster Europäer den Fuß auf australischen Boden.
Australien
Die diesjährigen Feiern in Australien zum 400. Jahrestag der Entdeckung des fünften Kontinents fallen verhalten aus. Lediglich einige akademische Konferenzen und kleine Ausstellungen erinnern daran, dass das Verdienst, Australien auf die Weltkarten gebracht zu haben, den Holländern zukommt: Vermutlich im März des Jahres 1606 erreichte die "Duyfken" unter dem Kommando von Willem Janszoon den australischen Kontinent.

Gründung eines Weltkonzerns

Anfang des 17. Jahrhunderts hatten die Holländer von den Portugiesen die Gewürzinseln – in etwa das heutige Indonesien – übernommen. Die Holländer strotzten vor Selbstbewusstsein, hatten sie doch gerade erfolgreich die spanische Herrschaft abgeschüttelt. Weil aber Spanien mit Portugal verbündet war, blieben den holländischen Kaufleuten die portugiesischen Häfen als Umschlagplatz für die in Europa heiß begehrten Gewürze und andere exotische Waren aus Asien versperrt.

Garten Eden | Der Garten Eden: So stellten sich die Holländer die Reichtümer in Papua-Neuguinea vor (aus Jan Huygen van Linschoten, "Itinerario, voyage ofte schipvaert, naer Oost ofte Portugaels Indien inhoudende een corte beschryvinghe der selver landen ende zee-custen", Amsterdam 1596).
Die Holländer begannen daher ab 1595 selbst nach "Ostindien" zu segeln. Es gelang ihnen relativ schnell, das portugiesische Handelsmonopol zu brechen und Portugal als Kolonialmacht zu ersetzen. 1602 schlossen sich die vielen verschiedenen holländischen Handelsgesellschaft zu einem staatlichen Unternehmen zusammen: der Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC). Globalisierung ist also ebenso wenig neu wie es Weltkonzerne sind.

Anfang 1606 erteilten die Statthalter der VOC in Batavia, dem heutigen Jakarta, Kapitän Janszoon den Auftrag, mit seinem nur zwanzig Meter langen Schiff "Duyfken" gen Osten zu segeln und die Südküste von Papua-Neuguinea zu erforschen. Die VOC hoffte, neue Reichtümer zu finden. Als Janszoon im März 1606 am vermeintlichen Ziel seiner Reise ankam, war die Enttäuschung allerdings groß: Weit und breit kein Pfefferstrauch. Nirgends auch nur ein Klümpchen Gold. Statt zu Handelsbeziehungen und guter Freundschaft kam es zu Scharmützeln mit den Aborigines.

Karte von Janszoon | Die Karte von Kapitän Willem Janszoon (Kopie aus dem 17. Jahrhundert) zeigt die Nordküste Australiens. Kap York wird hier als Papau-Neuguinea ausgegeben.
Janszoon war nämlich nicht in Papua-Neuguinea gelandet, sondern am Kap York im Norden Australien. Aber das wusste der Holländer nicht. Der Seemann war sich folglich nicht bewusst, dass er als erster Europäer den legendären Südkontinent entdeckt hatte, über dessen Existenz sich die Wissenschaftler seit den Zeiten des ägyptischen Gelehrten Ptolemäus spekulierten. Janszoon segelte enttäuscht nach Batavia zurück und vermeldete seinen Chefs: Down under ist nichts zu holen.

Verirrte als Entdecker

In den Jahrzehnten nach Janszoon kamen weitere Holländer nach Australien, das sie "Neu-Holland" getauft hatten. Nicht alle mit Absicht. So manches der Handelsschiffe drehte auf seiner Reise von Holland um das Kap der guten Hoffnung und über den Indischen Ozean nach Batavia auf Java nicht rechtzeitig genug nach Norden ab und landete so an Australiens Westküste. Wie Kapitän Dirk Hartog.

Hartogs Teller | Der Teller von Dirk Hartog, zurzeit ausgestellt in der Staatsbibliothek von New South Wales, Sydney
Im Oktober 1616 kam Hartog auf der "Eendracht" in der heutigen Shark Bay an. Leider gibt es keine Details von seiner Reise. "Seine Logbücher und Karten sind verloren", klagt Paul Brunton, Kurator der Ausstellung "First Sight" in Sydney zum 400. Jahrestag der holländischen Ankunft in Australien. Lediglich ein Zinnteller, den der Kapitän mit seinem eingravierten Namen und dem Datum seiner Ankunft (25. Oktober 1616) in Shark Bay zurückließ, zeugt von Hartogs Entdeckung.

Hartogs Begegnung mit der australischen Westküste warf ein große Frage auf: Ist sie Teil des legendären Südkontinents oder gehört sie zu Janszoons' Papua-Neuguinea? Die Holländer rüsteten Expeditionen aus. Einer der prominentesten Expeditionsleiter hieß Abel Tasman. Der Holländer entdeckte auf seinen Reisen zwischen 1642 und 1644 Neuseeland – das er allerdings für einen Teil Australiens hielt – sowie ein Land, das er nach dem damaligen Generalgouverneur von Niederländisch Ostindien "Van-Diemens-Land" taufte.

Australien erscheint auf einer Weltkarte | Die erste gedruckte Weltkarte, auf der ein Teil Australiens erscheint, aus dem Jahr 1626
Heute heißt das Land: Tasmanien. Doch Tasman hat das Land, das seinen Namen trägt, niemals betreten. "Tasman hat sein Schiff nie verlassen", erzählt Brunton und fügt hinzu: "Er ist der einzige Entdecker, nach dem ein (australischer) Staat benannt worden ist. Aber er hat niemals seinen Fuß auf australischen Boden gesetzt."

Nach Tasmans Touren nahm das Interesse der Holländer an Australien, das ihnen nichts zu bieten hatte, rapide ab. Willem de Vlamingh war 1697 der letzte holländische Seefahrer, der das "armselige Land" erkundete. Vlamingh fand den Zinnteller von Hartog, ersetzte ihn durch einen eigenen Teller samt Inschrift und nahm Hartogs Geschirr mit zurück nach Holland, wo es heute zu historischen Kleinodien des Reichsmuseums in Amsterdam gehört.

Erste Karte von Australien | Die erste gedruckte Karte des australischen Kontinents, veröffentlicht in Melchisédech Thévenot, "Relations de divers voyages curieux ...", Paris 1663
Ob asiatische Seefahrer vor den Holländern bis nach Australien gekommen waren, ist unklar. "Es gibt dafür keine Beweise", sagt Brunton. Etwa zur gleichen Zeit wie die Holländer begonnen jedoch Fischer und Händler der malaiischen Makassae auf der Jagd nach Meeresschnecken die West- und Nordküste Australiens zu bereisen. Zahlreiche Höhlen- und Felsmalereien der Aborigines erzählen von den Begegnungen mit den moslemischen Makassae.

Großbritannien mit Strand und Palmen

Über einhundert Jahre nach den Holländern traf der legendäre britische Weltumsegler James Cook im Januar 1770 an der Ostküste Australiens ein – etwa da, wo heute Sydney liegt. Die Australier feiern ihn als den Entdecker Australiens. Die Holländer passen einfach nicht ins Geschichtsbild der "Aussies", die sich noch immer als eine Art Großbritannien mit Strand und Palmen verstehen. Dabei ist Cook ohne die Seekarten der Holländer nicht zu denken. "Wenn die Holländer nicht die Vorarbeit geleistet hätten, wäre Cook nicht der Lage gewesen, soweit zu kommen", meint Brunton.

Aus wissenschaftlicher Sicht waren Cook und ihn begleitende Forscher wie Joseph Banks von Kängurus, Aborigines und den vielen unbekannten Pflanzen hellauf begeistert. Wirtschaftlich aber, so vermeldete auch Cook, sei das Land eine Niete. Neu-Holland versank ein weiteres Mal in europäischer Vergessenheit. Das nutzlose Land kam den Briten erst wieder in den Sinn, als der Unabhängigkeitskrieg in der nordamerikanischen Kolonie die Idee vereitelte, zur Entlastung der heimischen Gefängnisse die Diebe und Mörder nach Australien zu deportieren. Am 26. Januar 1788, dem heutigen Nationalfeiertag Australiens, begann mit der Ankunft des ersten Gefangenentransports in Sydney Australiens weiße Besiedlung, gut zweihundert Jahre nach der Entdeckung des Landes durch die Holländer.

Matthew Flinders | Statue des Entdeckers Matthew Flinders vor dem Mitchell-Flügel der Staatsbibliothek von New South Wales, Sydney
Die Briten haben aber jedoch auch große Verdienste bei der Entdeckung und Erforschung Australiens. Cook hat als erster die australische Ostküste besegelt und kartografiert. Allerdings wussten Seeleute wie Cook und die wissenschaftlichen Größen seiner Zeit nicht sicher, ob Neu-Holland eine große Landmasse war. Es gab Spekulationen darüber, ob nicht etwa von der Großen Australischen Bucht im Süden eine Art Kanal in den Nord führt und so das Land in zwei große Inseln teilt. Erst der britische Entdecker Matthew Flinders räumte mit derlei Mutmaßungen auf. 1798 umsegelte er als erster Tasmanien und stellte klar: Tasmanien ist eine Insel. Drei Jahre später lieferte Flinders den Beweis, dass Australien ein Kontinent ist.

Was wäre, wenn ...

"Vielleicht hätten unterschiedliche europäische Länder Australien kolonialisiert, und der Kontinent würde heute aus verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Sprachen bestehen", mutmaßt Brunton angesichts der Entdeckungsgeschichte des Kontinents. Doch ironischerweise blieb der Handelsnation Holland der Reichtum ihrer Entdeckung verborgen. Heute verdient Australien mit Eisenerz, Gold und Bauxit dicke Kohle. Zudem verfügt das Land über vierzig Prozent der weltweit bekannten Uran-Vorkommen, und angesichts der weltweiten Renaissance der Kernkraft könnten die Aussies zu "Uran-Scheichs" werden.

Wer weiß, wäre die Geschichte anders verlaufen, hätte vielleicht ein Holländer als australischer Ministerpräsident statt des Abkömmling britischer Einwanderer John Howard mit Chinas Premier Wen Jiabao zwei Grundsatzabkommen über milliardenteure Uran-Exporte nach China unterzeichnet. Mit dem Neubau von mindestens vierzig Atomkraftwerken will China bis 2020 den wachsenden Energiehunger seiner boomenden Wirtschaft stillen und die Abhängigkeit von Kohlekraftwerken von derzeit siebzig Prozent um die Hälfte senken.

So aber blieb dem niederländischen Premierminister Jan Peter Balkenede bei seinem Besuch in Australien wenige Tage nach Wen Jiabao lediglich die Besichtigung von Ausstellungen und Festakten zur Erinnerung der holländischen Großtat vor vierhundert Jahren.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.