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Infochemie: Funken mit Funken

Informationsübertragung einmal anders: Forscher haben mit einer präparierten Zündschnur die Worte "Schau mal Mama, ohne Strom!" gemorst. Wenn alles gut geht, soll die Technik zum unverwüstlichen Sender in Notsituationen werden.
Brennende Zündschnur
"Infochemie" nennen es die Wissenschaftler um George Whitesides, wenn chemische Reaktionen und Informationsübertragung Hand in Hand gehen. Beispiel DNA: Das Erbgut sendet komplexe Anweisungen über den Proteinbau vom Zellkern an die Ribosomen. Mit chemisch-technischer Raffinesse lassen sich diese Botschaften inzwischen frei manipulieren und sogar für logische Schaltkreise umfunktionieren.

LOOK MOM NO ELECTRICITY | Beim vier Sekunden dauernden Abbrennen leuchtet die Flamme in unterschiedlichen Farben auf: Jeweils zwei aufeinander folgende kodierten einen Buchstaben.
Eher am Lowtech-Ende des infochemischen Spektrums operiert dagegen die Anwendung, die die Chemiker von der Harvard University in Cambridge nun ihrerseits konzipiert haben: Eine Zündschnur, die über wechselnde Flammenfarben Informationen versendet.

Das Forscherteam stellte dazu Streifen aus dem rauchfrei brennenden Schießpulverersatz Zellulosenitrat her, auf die sie dann drei Alkalisalzlösungen in unterschiedlichen Kombinationen druckten. Zündet man diese Lunte an, brennt sie ab, währenddessen färbt jedes der Salze die Flamme in einer charakteristischen Farbe. Eine Spektralanalyse kann schließlich darüber Auskunft geben, in welcher Zusammenstellung gerade die Lithium-, Rubidium- und Cäsiumperchlorate brannten. Nach dem englischen Wort "fuse" für Lunte bezeichnet das Team seine Schnur als "Infofuse".

Fehlt nur noch eine Morsetabelle für die eigentliche Kodierung. Jeweils zwei aufeinanderfolgende Abschnitte standen für einen Buchstaben, was rechnerisch – unter Vermeidung des Falls "keine Farbe" – einen Vorrat von (23-1)2 = 49 Zeichen ergibt. Genug also für das Alphabet in Großbuchstaben und ein paar Sonderzeichen. "Mr. Watson, kommen sie her, ich will sie sehen", waren angeblich die ersten Worte, die Alexander Graham Bell durch sein frisch erfundenes Telefon murmelte, "LOOK MOM NO ELECTRICITY" (sinngemäß: "Schau mal Mama, ohne Strom!") die erste per Zündschnur übermittelte Information.

Der Übertragungsfehler konnte durch Nachbesserung von Filterung und Analysesoftware auf sieben Prozent gedrückt werden. Bei den 23 übermittelten Buchstaben ging die Erkennung also im Durchschnitt bei ein bis zwei Lettern daneben. Bleibt zu hoffen, dass nicht das Wort "NO" verschluckt wurde, denn auf diesen Teil der Botschaft kam es den Forschern am meisten an. Unter der Masse der uns heute zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel ist ungefähr jedes einzelne um ein Vielfaches effektiver, genauer und schneller als die Infofuse. Wozu also die Mühe?

Eine Initiative des Militärs soll das Forschungsvorhaben in die Wege geleitet haben, in jedem Fall spendierte es die Fördergelder für die beteiligten Wissenschaftler. Der Lowtech-Charakter ist deshalb gewollt: Die Zündschnur als robustes, leichtgewichtiges und einfach zu bedienendes Kommunikationsmittel.

"Wir überlegen, ob man die Infofuse nicht für Signalfackeln nutzen könnte, die mit Informationen angereichert wurden", sagt Koautor Samuel Thomas, mittlerweile an der Tufts University in Medford beschäftigt. In Notsituationen stehe öfter kein elektrischer Strom zur Verfügung, auf Batterien sei kein Verlass und da könnten entsprechende Leuchtraketen beispielsweise Position und Zustand eines Verunglückten verraten – selbst noch unter Wasser.

Der Einsatz bei Rettungssituationen sei zwar in der Tat eine mögliche Anwendung, aber beileibe nicht die einzige, meint Whitesides. "Vorstellbar wäre auch der Bereich Wasseruntersuchung in Entwicklungsländern, wo mitunter kein Strom zur Verfügung steht, oder Analysen, bei denen es auf hohe Reaktionstemperaturen, aber ein niedriges Gewicht ankommt."

Richtig elektrizitätsfrei ist Whitesides Erfindung freilich nur senderseitig. Mit dem Auge allein kann man die Spektrallinien nicht auseinanderhalten, zur technischen Grundausstattung des Zündschnurmorsens gehört deshalb ein Computer ebenso wie der CCD-Chip einer Digitalkamera. Die Entfernung zwischen Sender und Empfänger betrug bei den Experimenten im Mittel zwei Meter. Eine 30- Meter-Distanz sei bei Tageslicht überbrückbar, heißt es von den Wissenschaftlern, sinnvoll wären solche Fackeln allerdings erst ab einer Sendedistanz im Kilometerbereich.

Auch das Hochladen der Informationen auf die Zündschnur dürfte noch Kopfschmerzen bereiten: Bislang wurden die Alkalisalze händisch oder mit einem Tintenstrahldrucker aufgetragen. Der Plan ist jedoch, eines Tages – wie bei einer hochkomplexen Variante des Lackmustests – chemische Sensormoleküle die Salze selber freisetzen zu lassen. Mit nur geringen Anforderungen an Technik und bei niedrigen Kosten könnten Verfahren wie die Infofuse den Umweg über die Elektronik kurzschließen und "eine direkte Verbindung zwischen einer chemischen Analyse selbst und der Weitergabe ihres Ergebnisses herstellen", sagt Whitesides.

In dieser Hinsicht hat der Chemiker bereits einiges geleistet. Seit Längerem entwickelt er auf Papier gedruckte, medizinische Diagnosesysteme, die in ihrer Herstellung nur wenige Cent kosten und deren Anwendung keinerlei Spezialwissen verlangt. Allein die Kapillarkräfte der Papierfasern leiten Flüssigkeiten wie Blut oder Urin zu einer ganzen Batterie von Chemikalien, die per Farbwechsel zum Beispiel Stoffkonzentrationen anzeigen. Zwar kann die papierne Diagnose nicht mit der in modernen Labors mithalten, leistet aber bereits einen Beitrag, in ärmeren Ländern eine medizinische Grundversorgung sicherzustellen.
  • Quellen
Thomas, S. et al.: Infochemistry and infofuses for the chemical storage and transmission of coded information. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.0902476106, 2009.

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