News: Gene gegen Hitze und Säure
Manche Mikroorganismen mögen es nicht nur heiß, sondern auch besonders sauer. Diese Eigenschaften könnten natürlich auch für andere Organismen wertvoll sein, beispielsweise für zukünftige Bakterien-Schöpfungen, die spezielle Abfälle beseitigen sollen. Das Erbgut eines Mikroorganismus, der in extrem saurer Umgebung und bei Temperaturen bis zu 63 Grad Celsius existieren kann, bietet hier vielleicht einen Weg. Als Wissenschaftler dieses Genom genau sequenzierten, entdeckten sie so genannte 'life-style'-Gene, die sich als Anpassung an extreme Lebensbedingungen entwickelt haben und welche die dort lebenden Organismen untereinander austauschen.
Thermoplasma acidophilum gehört zu einer Gruppe von Mikroorganismen, den Archaea, die auch in extremen Lebensräumen – bei hohen Temperaturen, hohem Säure- oder Salzgehalt – leben können. Diese Mikroorganismen wurden bereits Anfang der 70-er Jahre in selbsterhitzten Kohleabraumhalden entdeckt. Thermoplasma zeichnet sich besonders durch das Fehlen einer Zellwand aus, sowie durch eine Wachstumstemperatur von bis zu 63 Grad Celsius und die Fähigkeit, sich an ein extrem saures Milieu in einem pH-Bereich von 0,5 bis 4 anzupassen. Zum Vergleich: Ein pH-Wert von 0,5 entspricht dem Säuregrad von 20-prozentiger Salzsäure. Eine weitere Besonderheit der Archaea ist, dass einige ihrer zentralen zellulären Systeme – dazu gehören Komponenten der Proteinsynthese, der Proteinfaltung und des Proteinabbaus – denen hochentwickelter Organismen ähnlich sind. Andreas Ruepp und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Instituts für Biochemie in München, konnten jetzt das Erbgut von Thermoplasma acidophilum komplett entschlüsseln (Nature vom 28. September 2000). Hierfür haben sie eine neue Methode entwickelt, die es auch kleineren Forschergruppen erlaubt, mit vertretbarem finanziellen und personellen Aufwand das Genom eines Organismus zu analysieren. Die einzelnen Gene von Thermoplasma haben die Wissenschaftler dann in Zusammenarbeit mit einer weiteren deutschen und einer amerikanischen Forschergruppe untersucht. Dabei zeigten die Thermoplasma-Gene eine erstaunlich hohe Ähnlichkeit zu den Genen eines anderen, entfernt verwandten Bewohners dieses extrem sauren Ökosystems, Sulfolobus solfataricus. Die Funktion dieser Gene betrifft weniger die grundlegenden Aufgaben in der Zelle, sondern vor allem ihre Fähigkeit zur Anpassung an diesen Lebensraum. Die meisten Organismen, die zufällig in Bereiche mit hohem Säuregrad (pH 1) geraten, sterben und bieten dann die Nahrungsgrundlage für "Aasfresser" wie Thermoplasma. Sein Stoffwechsel ist inzwischen dermaßen abhängig von der Verfügbarkeit toter Lebewesen, dass er im Labor nur bei permanenter Zufuhr von Fleisch- oder Hefeextrakten gezüchtet werden kann. Die Gene jener Stoffwechsel-Komponenten, die für Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen aus toten Organismen verantwortlich sind, konnten bisher nur bei sehr wenigen Organismen identifiziert werden. Aus der ungewöhnlichen Ähnlichkeit dieser Gene zu denen von Sulfolobus schließen die Forscher, dass in diesen Organismen zwei unterschiedliche Gruppen von Genen vorliegen: Eine Gruppe codiert jene Komponenten, die an den grundlegenden Zellfunktionen beteiligt sind. Die andere Gengruppe ist erst bei der spezifischen Anpassung an ein Ökosystem entstanden und wurde offensichtlich – wie der Vergleich zwischen Thermoplasma und Sulfolobus zeigt – zwischen den im gleichen Ökosystem lebenden Organismen ausgetauscht. Da diese Gruppe von Genen die Anpassungsfähigkeit des Organismus an die konkreten Bedingungen eines (extremen) Ökosystems steuern, werden sie von den Wissenschaftler auch als "life-style" Gene bezeichnet.
© Max-Planck-Gesellschaft
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