News: Gentransfer im Gewitter
Um ihr genetisches Inventar aufzustocken, tauschen viele Bakterien untereinander Erbmaterial aus. Bei diesem als Konjugation bezeichneten Prozess treten zwei Zellen in engen Körperkontakt und bilden eine Plasmabrücke aus, mittels derer ein Strang des Plasmides von dem Spender auf den Empfänger übertragen wird. Manche Bakterien sind sogar in der Lage, freie DNA von zersetzten Organismen durch ihre Zellwand aufzunehmen und in ihr Genom einzubauen. Die Eigenschaft des Gentransfers nutzen Forscher häufig für ihre Zwecke aus, indem sie mit Hilfe elektrischer Felder Bakterienzellwände porös machen und isoliertes Erbmaterial in die Zellen einschleusen.
Nun fragten sich Pascal Simonet und seine Kollegen von der Université Lyon, ob auch elektrische Entladungen in Form von Blitzen ähnliche Vorgänge in der Natur hervorrufen können und womöglich eine wichtige Rolle in der bakteriellen Evolution spielen. Um dieser Vermutung auf den Grund zu gehen, führten sie Laborversuche mit einem bestimmten Stamm von Escherichia-coli-Bakterien durch. Dazu fügten sie jene Mikroorganismen, die gewöhnlich kein fremdes Erbmaterial aufnehmen, sowie kleine DNA-Plasmide mit Antibiotikaresistenzen einer Bodenprobe hinzu. Dieses Gemisch setzten die Wissenschaftler einem Generator aus, der Blitzschlägen vergleichbare elektrische Entladungen aussendet.
Und tatsächlich zeigten einige der überlebenden Bakterien die Antibiotikaresistenz – offensichtlich hatten sie den entsprechenden DNA-Ring in ihr Genom integriert. Hingegen reagierten E.-coli-Zellen in Kontroll-Bodenproben, die nicht vom Blitz getroffen wurden, weiterhin empfindlich auf Antibiotika. Da es in der Erde nur so von Mikroorganismen und DNA-Bruchstücken von abgestorbenen Zellen wimmelt, könnten so genannte Elektrotransformationen bei Bakterien "ein universeller Mechanismus" sein, spekuliert Simonet. Seine Daten weisen darauf hin, dass jeder natürliche Blitzschlag bis zu 10 000 Bakterien genetisch verändern könnte.
Wilfried Wackernagel von der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg begrüßt die Arbeit der Forscher, zeigt sich aber skeptisch: "In der Realität tritt dieser Vorgang, wenn überhaupt, wahrscheinlich viel seltener auf." Zudem weist er darauf hin, dass die im Versuch verwendeten Plasmide zwar in der Erde vorkommen, der größte Teil jedoch in Form von DNA-Einzelsträngen vorliegt. Und diese nehmen die Bakterien weniger bereitwillig auf, selbst wenn elektrische Felder eingesetzt werden, betont Wackernagel. Um die Hypothese weiter zu untersuchen, will das Team um Simonet nun Feldexperimente mit typischen Bodenbakterien in Gegenden Frankreichs durchführen, wo häufig Gewitter auftreten.
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