Psychedelika: Halluzinogen ruft eine Art Nahtoderfahrung hervor
Das Halluzinogen DMT ruft Wahrnehmungen und Erlebensweisen hervor, die denen bei Nahtoderfahrungen sehr ähnlich sind. Das ist das Ergebnis eines Experiments mit Psychedelika, das ein Team um Christopher Timmermann vom Imperial College London in der Fachzeitschrift »Frontiers in Psychology« schildert. DMT steckt unter anderem in Ayahuasca, einem zeremoniellen Trank süd- und mittelamerikanischer Ureinwohner. In Deutschland fällt es unter das Betäubungsmittelgesetz.
Wie die Drogenforscher berichten, verabreichten sie 13 psychisch gesunden Freiwilligen mit psychedelischer Vorerfahrung zuerst ein Placebo und eine Woche später die Substanz DMT. Diese Reihenfolge wurde festgelegt, weil die im Schnitt 34 Jahre alten Versuchspersonen mit den Bedingungen vertraut werden sollten, bevor sie das Halluzinogen gespritzt bekamen – sie selbst wussten aber nicht, welche Spritze die Droge enthielt. Schon nach einer halben Minute spürten sie jedoch die ersten Veränderungen, und nach zwei bis drei Minuten erreichten die Effekte ihren Höhepunkt. Während der Prozedur ruhten die sieben Männer und sechs Frauen zurückgelehnt in einem schwach beleuchteten Raum, während im Hintergrund leise Musik spielte.
Alle 13 Freiwilligen erlebten im DMT-Rausch typische Kennzeichen von Nahtoderfahrungen in vergleichbarer Intensität und punkteten im Fragebogen über dem Schwellenwert, ab dem eine Nahtoderfahrung als solche eingestuft werde. »Besonders stark überlappten sich die Erfahrungen beim mystischen Faktor wie dem Gefühl, mit der Umwelt eins zu sein«, berichten die Autoren.
Das Team um Timmermann verglich außerdem die Erfahrungen der Teilnehmer mit einer Stichprobe von 67 Personen, die tatsächlich Nahtoderfahrungen gemacht und darüber in einem Fragebogen Auskunft gegeben hatten. Das emotionale Erleben war bei beiden Gruppen in charakteristischer Weise verändert, unter anderem verspürten sie inneren Frieden und wähnten sich von hellem Licht umgeben. Seltener weckte DMT Wahrnehmungen, die auch angesichts des Todes nur manchmal auftreten, etwa tote Angehörige zu »sehen«. Im Drogenrausch kam es dafür häufiger als bei Nahtoderfahrungen zu lebhaften Sinneseindrücken sowie dem Gefühl, eine andere Welt, ein »überirdisches Reich« betreten zu haben. Bei echten Nahtoderfahrungen hingegen meinen Menschen öfter, an einer Schwelle zu stehen, hinter der es kein Zurück mehr gibt.
DMT wirkte nicht bei jedem gleich stark. Besonders ausgeprägt waren die Nahtoderfahrungen bei jenen Freiwilligen, die schon im nüchternen Zustand eher zu absonderlichen Ideen neigten. »Für diese Menschen stehen Nahtoderfahrungen weniger im Widerspruch zu ihrem Glaubenssystem«, erläutern die Autoren. »Vielleicht betrachten sie sie sogar als Beweis für metaphysische oder mystische Ansichten, die sie ohnehin schon hegen.« Auch die Fähigkeit, tief in eine Erfahrung einzutauchen, bahne psychedelischen Erfahrungen den Weg. Diese Bereitschaft gehe oft mit einer Anomalie in den Andockstellen für den Botenstoff Serotonin einher, und DMT bindet insbesondere an diese Rezeptoren.
»Die Nahtoderfahrung tritt auf Grund von Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns auf, nicht wegen etwas außerhalb des Gehirns«
Robin Carhart-Harris, Imperial College London
Die lebensverändernde Wirkung von DMT und Nahtoderfahrung könnte die gleiche neurowissenschaftliche Grundlage haben, vermuten die Forscher. Eine Nahtoderfahrung bessere bei vielen Menschen das Befinden: Anteilnahme sowie die Freude an der Natur steigen; die Belastung durch den nahenden Tod sowie das Interesse an Besitz und Status nehmen ab. Auch Halluzinogene mindern einigen Therapiestudien zufolge die Angst vor dem Tod. Das liege an den mystischen Erfahrungen: »Die Befunde legen nahe, dass das Gefühl, mit der Welt eins zu sein, die Kernkomponente dessen ist, was Rausch und Nahtoderfahrung verbindet.« Von einer Selbstmedikation mit Ayahuasca raten die Forscher allerdings ab.
»DMT ist ein bemerkenswertes Werkzeug, mit dem wir die Psychologie und Biologie des Sterbens besser verstehen können«, sagt der Leiter der Londoner Forschungsgruppe, Robin Carhart-Harris. Das Experiment lässt ihm zufolge einen weiteren Schluss zu: »Die Nahtoderfahrung tritt auf Grund von Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns auf, nicht wegen etwas außerhalb des Gehirns.«
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