Weltkulturerbe: Herabstürzende Lingas
Der antike Hindutempel Prambanan ist durch das schwere Erdbeben in der Region der indonesischen Großstadt Yogyakarta auf Java schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein herber Rückschlag für den ohnehin schwierigen Wiederaufbau des von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Heiligtums.
Prambanan, ein Tempelkomplex aus dem 9. Jahrhundert, ist ein steinernes Zeugnis für die Hindu-Vergangenheit Javas. Den Kern der größten hinduistischen Tempelanlage Südostasiens bilden drei Tempeltürme, die den hinduistischen Hauptgöttern Shiva dem Erneuerer, dem Schöpfer Brahman und dem Erhalter Vishnu gewidmet sind. Die knapp fünfzig Meter hohen Türme aus Vulkangestein sind über und über mit Lingas verziert – abstrakten Phallusdarstellungen, die als Symbol dienen für den mächtigsten der drei Götter: Shiva. In drei weiteren Tempel gegenüber wurden die zu den drei Göttern gehörenden Tiere verehrt. Doch nur der Ochse im zentralen Tempel – Shiva zugeordnet – ist noch vorhanden. Die Figuren des zu Vishnu gehörenden Sonnenvogels Garuda und Brahmas Schwan sind verlorenen gegangen.
Und jetzt, nach dem Beben? "Der Tempel ist erheblich beschädigt", sagt Mie, die belgische Besitzerin des Reisecafés Via Via in Yogyakarta. Der Boden zwischen den Tempeltürmen im inneren Bereich sei übersät von heruntergefallenen Reliefstücken, Steinen, Statuen und phallischen Lingas. Agus Waluyo, Chef des Archäologischen Amtes von Yogyakarta, klagt, in nur einer Minute seien Renovierungsarbeiten von Jahrzehnten zunichte gemacht worden. Es sei zudem unklar, ob das Beben der Stärke 5,7 auf der Richterskala vielleicht die Statik der Tempel beeinträchtig habe. Es werde Monate dauern, bis das genaue Ausmaß des Schadens bekannt sei. So lange bleibt Prambanan für die Öffentlichkeit geschlossen.
Wiederaufbau mit Hindernissen
Dabei ist der 1918 begonnene Wiederaufbau der seit etwa tausend Jahren durch Naturkatastrophen und Vernachlässigung arg ramponierten Anlage noch lange nicht abgeschlossen. Probleme bereitet vor allem das Wiederauffinden von Originalsteinen. Über die Jahrhunderte hinweg diente Prambanan den Javanern als Steinbruch, von den 224 kleineren Tempeln des äußeren Ringes sind nur noch Steinhaufen übrig.
"Es fehlt einfach das Geld, um die gesamte Anlage zügig wieder aufzubauen"
(Yusup Sudadi)
Die Tempel werden aber nur wiederaufgebaut, wenn mindestens 75 Prozent der ursprünglichen Steine vorhanden sind. Und wie so oft, stehen nicht genügend Mittel zu Restauration der von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Hinduheiligtums zur Verfügung. "Es fehlt einfach das Geld, um die gesamte Anlage zügig wieder aufzubauen", sagt Yusup Sudadi, ein Reisebürobesitzer und Experte javanischer Kultur aus Yogyakarta. (Yusup Sudadi)
Sudadi hatte mich acht Tage vor dem furchtbaren Erdbeben vom 27. Mai durch Prambanan geführt. Zum 47 Meter hohen zentralen Shiva-Tempel kann man von allen vier Seiten hinaufsteigen und steht letztendlich in jeweils einer Kammer. Sie enthalten Darstellungen von Shiva, seiner Frau Durga, Shiva als Lehrer und seinem elefantenköpfigen Sohn Ganesha. Rund um den Tempel erzählen gut erhaltene Reliefs als eine Art antikes Comic das indische "Ramayana"-Epos. Yusups halbstündige Kurzfassung des Epos ist allerdings ziemlich verwirrend. Die Ramayana nämlich ist reicher an Intrigen als Dallas und Denver zusammen und bietet so viele Prinzen, Prinzessinnen, Götter, Halbgötter, Affengötter, intrigante Verwandte, böse Prinzen und gute Könige, dass die Nibelungen wie ein Kammerstück wirken.
Die Geschichte Prambanans selbst liegt ziemlich im Dunkeln: "Es gibt keine schriftlichen Zeugnisse aus der Zeit, die Aufschluss geben, wann genau und wer Prambanan erbauen ließ, noch warum der Tempel nach einer nur relativ kurzen aktiven Zeit aufgegeben wurde", erklärt Sudadi. Vermutet werde, dass Prambanan um das Jahr 850 entweder unter Rakai Pikatan, dem König der zweiten Mataram-Dynastie, oder unter Balitung Maha Sambu während der Sanjaya-Dynastie entstand. Yusup ist sich sicher, dass Ausbrüche des Vulkans Merapi eine wesentliche Rolle für das Ende Prambanans gespielt haben. Vor allem der Monsterausbruch des nahe gelegenen Vulkans Merapi vor genau einen Millennium im Jahr 1006 habe zum jähen Ende von Prambanan beigetragen.
Im Schatten des Vulkans
Zum "Beweis" seiner Vulkantheorie fährt Yusup mich zu der bereits zum Teil ausgegrabenen Tempelanlage Candi Sambisari in der Nähe von Prambanan. Der Tempel liegt in einer vielleicht fünf Meter tiefen Grube. "Ursprünglich sind diese Tempel auf Anhöhen erbaut worden", sagt Yusup. Die Tatsache, dass die Anlage jetzt unterhalb des heutigen Bodenlevels liege, zeige, dass er im Laufe der letzten tausend Jahre durch Auswürfe des Merapi verschüttet worden sei.
Obwohl Candi Sambisari eine viel kleinere Anlage ist als Prambanan, beeindruckt sie stärker – denn störender touristischer Rummel fehlt. Zudem regt die wegen Geldmangels nicht beendete Ausgrabung mehr die Fantasie an. Wie viele Tempel mögen noch unentdeckt unter der grünen Wiese schlummern? Auch der Tempel von Candi Sambisari ist Schiva gewidmet, wie der mächtige Linga in der schummerigen Kammer auf der Spitze des Tempels beweist.
Einen Kilometer weiter ist es neben fehlendem Geld Wasser, das die Ausgrabung eines weiteren Tempels erschwert. Durch die Regenzeit ist die Grabungsgrube zu einem See geworden. Nur die gestapelten schwarzen Steine am Ufer deuten an, dass es sich um einer archäologische Grabungsstätte handelt.
Es gibt noch mehr zu sehen. Etwa vierzig Kilometer südlich von Prambanan steht der mächtige, an eine Pyramide erinnernde buddhistische Tempel Borobudur, der in etwa zur gleichen Zeit wie Prambanan erbaut wurde. Auch Borobudur war nur wenige Jahrhunderte in Betrieb und erlitt wohl ein ähnliches Schicksal wie Prambanan. Allerdings hat Berichten zu Folge das aktuelle Erdbeben an Borobudur nur "kosmetische Schäden" angerichtet. Borobudur ist eine massive Anlage, ohne Kammern und Innenräume.
Auch Borobudur steht im Rang eines Weltkulturerbes. Zusammen mit Prambanan und dem Vulkan Merapi bildet Borobudur das touristische Dreigestirn Yogyakartas, das jährlich Zehntausende Besucher anzieht. Sudadi befürchtet jedoch, dass durch das Erdbeben der Tourismus als der neben den Bereichen Landwirtschaft und Bildung – dank seiner vielen Universitäten und Akademien ist Yogyakarta das akademisch-intellektuelle Zentrum Indonesiens – wesentlichste Wirtschaftsfaktor vorerst zum Erliegen kommt. Zumal der Region weiteres Unheil droht: Schon vor dem Erdbeben hatten die Vulkanologen eine Hyperaktivität des Merapi registriert und gewarnt, der Ausbruch des gefährlichen Vulkans stehe kurz bevor. Seit dem Erdbeben hat sich die Aktivität des als Hochrisikovulkan eingestuften Merapi verdreifacht.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.