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HIV in Afrika: Durch Trumps Hilfsstopp droht eine neue Aidskatastrophe

Für die globale Gesundheit spielten US-Hilfen bisher eine zentrale Rolle. Nun ist die US-Behörde für Internationale Entwicklung USAID zerschlagen, Aidshilfen sind eingefroren. Im Globalen Süden sind Millionen Menschenleben in Gefahr.
Eine Person in einem gelben T-Shirt und grauer Mütze sitzt in einem medizinischen Zelt mit USAID-Logo. Eine andere Person in Schutzkleidung und Haube sitzt gegenüber und hält ein Dokument. Beide tragen Gesichtsmasken. Auf dem Tisch liegen Papiere und ein roter Behälter. Das Zelt ist mit dem Text »USAID - From the American People« bedruckt.
Die jetzt zerschlagene US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) finanzierte weltweit wichtige Gesundheitsprogramme, darunter zur Bekämpfung von Aids im südlichen Afrika.

In der Innenstadt der Wirtschaftsmetropole Johannesburg herrscht reger Betrieb. Im zehnten Stockwerk eines Hochhauses ist es dagegen ungewöhnlich still. Die Zentrale der Treatment Action Campaign (TAC), der einflussreichsten Organisation von Aidsaktivisten in Südafrika, wirkt wie ausgestorben. Die Rezeption ist nicht besetzt, die meisten Büros sind menschenleer. »Normalerweise sind hier alle bei der Arbeit, aber jetzt sitzt nicht einmal jemand am Empfang, weil alle entlassen wurden«, sagt TAC-Vorsitzende Sibongile Tshabalala-Madlala. »Das bricht mir das Herz. Diese Entscheidung wurde uns aufgezwungen. Wir müssen mitansehen, wie unsere Leute hungern und leiden.«

Die Entscheidung war 17 Flugstunden entfernt gefallen, in Washington. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte US-Präsident Donald Trump angeordnet, alle US-Hilfsgelder für 90 Tage einzufrieren und einen sofortigen Arbeitsstopp verhängt. Die US-Behörde für Internationale Entwicklung (USAID) ist mittlerweile zerschlagen. Und auch die Zukunft der Programme des Notfallplans des US-Präsidenten für die Aidshilfe (PEPFAR) ist ungewiss.

In Südafrika leben etwa acht Millionen Menschen mit HIV, die meisten weltweit. Das Land war bislang der größte Empfänger von PEPFAR-Hilfen. Zuletzt flossen über 440 Millionen US-Dollar vor allem in Löhne: an Ärzte, Krankenschwestern, Laboranten, Pharmazeuten, aber auch an über 8000 Community Health Workers. Diese Gesundheitshelfer führen in ihren Gemeinden HIV-Tests und Präventionsprogramme durch, erheben Daten, klären auf, helfen in Kliniken für Risikogruppen. »Wir haben 102 Mitarbeiter und ich weiß nicht, ob wir sie am Monatsende bezahlen können«, sagt Tshabalala-Madlala. Das sei besonders schmerzhaft, weil es um Menschen gehe, die nicht »einfach so zwei Monate lang auf ihren Lohn verzichten« können. In ganz Südafrika wurden etwa 15 000 Stellen mit PEPFAR-Geldern finanziert, die US-Mittel machen laut Angaben des Gesundheitsministeriums 17 Prozent des Budgets für die Bekämpfung von Aids aus.

Medikamente gegen Aids werden knapp

In anderen afrikanischen Ländern ist die Abhängigkeit weitaus größer, die US-Gelder stellen den Löwenanteil der Gesundheitsbudgets und umfassen außerdem die Versorgung mit Medikamenten und Präventionsmitteln. Seit die Gelder nicht mehr fließen, werden die Vorräte knapp – von antiretroviralen Medikamenten, Prä- und Postexpositionsprophylaxe, Kondomen, HIV-Tests.

Sibongile Tshabalala-Madlala hat als Aidsaktivistin in Südafrika für bezahlbare Medikamente gekämpft und fürchtet nun einen Rückfall in düstere Zeiten. Infektionskrankheiten kennen keine Grenzen, ohne Schutzmaßnahmen wird sich das Virus wieder weiter ausbreiten. »Selbst wenn unsere Regierung die Medikamente für uns in Südafrika kauft – was passiert, wenn Simbabwe keine mehr hat?«, fragt sie und antwortet gleich selbst: Dann wachse der Druck auf die ohnehin schon überlasteten Gesundheitssysteme.

Eine erste Maßnahme der südafrikanischen Regierung besteht darin, den Andrang auf die Kliniken zu reduzieren: Wer schon länger medikamentös eingestellt ist, bekommt nun Medikamente für sechs Monate, statt bisher nur für ein Vierteljahr. Dafür hatte die TAC 2024 noch auf den Straßen Johannesburgs demonstriert.

Doch ein anderes Problem löst das nicht. Durch die Engpässe bei der Versorgung könnten die lebensrettenden Medikamente zu einer begehrten Ware werden, befürchtet Tshabalala-Madlala. »Dann werden Patienten, die in der Klinik ihre Sechsmonatsration abholen, auf dem Heimweg überfallen und ausgeraubt.« Weder die Klinik noch Nachbarn würden ihnen dann helfen, weil sie selbst nur begrenzte Vorräte hätten. »Es geht hier nicht um Politik, sondern um Menschenleben.«

Vom verlässlichen Partner zum Gegner der Gesundheitsversorgung

Weltweit hatten mehr als 20 Millionen Menschen über PEPFAR antiretrovirale Medikamente erhalten. Ohne Behandlung werden sie innerhalb von ein bis zwei Wochen wieder infektiös, können andere anstecken, selbst an Aids erkranken und sterben. Zwar haben die USA Ausnahmeregelungen verkündet. Doch viele Anträge seien bis heute nicht bearbeitet worden, sagt die Menschenrechtsanwältin Sasha Stevenson. Sie ist Direktorin der südafrikanischen Organisation Section 27, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt. »Die notwendige Infrastruktur ist demontiert worden. Wer die US-Behörden anschreibt, bekommt keine Antwort mehr. Und Mitarbeiter, die noch nicht entlassen wurden, wissen sie oft auch nicht weiter, weil sich alles ständig ändert.« Section 27 ist nicht von dem Arbeitsstopp betroffen, aber die Folgen für ihre Partnerorganisationen seien dramatisch, sagt Stevenson.

Der für die Gesundheitsversorgung vieler afrikanischer Staaten einst verlässliche Partner USA ist nicht nur unberechenbar, sondern zum Gegner geworden. Die präsidiale Entscheidung droht jahrzehntelange Fortschritte zunichtezumachen. US-Unterstützung wird an teils unerfüllbare Gegenleistungen geknüpft. So sollen etwa Medikamente zur HIV-Prävention nur schwangeren Frauen verschrieben werden. Um das internationale Ziel zu erreichen, dass Aids bis 2030 keine Bedrohung mehr für die öffentliche Gesundheit darstellt, müssen aber auch andere so genannte Schlüsselpopulationen einbezogen werden, unter denen die Neuinfektionen weiterhin hoch sind.

Zu ihnen gehören Menschen, die im Weltbild des US-Präsidenten keinen Platz haben. Organisationen, die für Diversität, Gleichheit und Inklusion eintreten oder über Abtreibungsmöglichkeiten aufklären, werden von US-Hilfen ausgeschlossen. Menschenrechtsanwältin Stevenson spricht von einem inakzeptablen Versuch, Kontrolle zu gewinnen. »Südafrika hat eine sehr progressive Verfassung«, sagt sie. Das Herzstück dieser Verfassung, die Bill of Rights, hängt gerahmt hinter ihr. Darin heißt es: Jeder hat das Recht auf einen Zugang zu Gesundheitsdiensten, dazu gehört explizit das Recht auf reproduktive Gesundheit.

Abtreibungen sind in Südafrika bis zur 20. Schwangerschaftswoche legal, betont die Anwältin. »All das wird nun eingeschränkt, weil jemand aus einem anderen Land seine Ideologie durchsetzen will.« Das bedeute, dass Mädchen in Südafrika, »die oft keine andere Wahl haben, als sexuelle Beziehungen zu älteren Männern einzugehen, keinen Zugang zu Verhütungsmitteln oder einer Abtreibung bekommen«.

Forschungsprojekte liegen auf Eis

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist im südlichen Afrika unter Mädchen und jungen Frauen besonders hoch. Viele Präventions- und Behandlungsprogramme wurden von PEPFAR gefördert. Das von Trump zerlegte USAID hatte auch wissenschaftliche Projekte finanziert. Der medizinische Forschungsrat Südafrikas beklagt drastische Einschnitte. Eines der renommiertesten Forschungsinstitute, das Centre for the Aids Programme of Research in South Africa (CAPRISA) in Durban, sollte nach dem Willen Washingtons sofort die Arbeit an zwei klinischen Studien niederlegen. Dabei handele es sich um eine Impfstoffstudie, die noch nicht begonnen hatte, erzählt Institutsdirektor Salim Abdool Karim, und um eine Sicherheitsstudie eines Vaginalrings, der Frauen vor HIV schützen soll.

Ein Mann steht vor einem Schild mit der Aufschrift »CAPRISA« und einem roten Aids-Bewusstseinsband. Darunter steht »Centre for the Aids Programme of Research in South Africa«. Der Mann trägt ein helles Hemd mit dem CAPRISA-Logo. Die Umgebung wirkt professionell und modern.
Salim Abdool Karim | Das Centre for the Aids Programme of Research in South Africa (CAPRISA) in Durban gehört zu den renommiertesten Forschungsinstituten für HIV in Afrika. Als dessen Gründungsdirektor leitete Salim Abdool Karim unter anderem jene Studie, die erstmals die Wirkung der Präexpositionsprophylaxe zeigte. Nun musste das Institut zwei Studien vorzeitig beenden.

»Als die Mitteilung kam, dass diese Studie abgebrochen werden muss, war das sehr besorgniserregend«, sagt er. Denn es handele sich um ein neues Produkt und sein Institut sei für die Sicherheit der Teilnehmerinnen verantwortlich. »Es wäre unethisch, einfach so aufzuhören. Also haben wir die Studie kontrolliert beendet und die Nachbeobachtung aus eigenen Mitteln finanziert.« Es sei wichtiger gewesen, zu tun, was richtig sei, statt sich an eine inakzeptable Weisung zu halten. Der vielfach preisgekrönte Professor für Infektionskrankheiten, der auch in wissenschaftlichen Beiräten der WHO sitzt, warnt vor HIV-Neuinfektionen und Medikamentenresistenzen, schweren Rückschlägen im Kampf gegen Aids.

Und für die nächste Pandemie sieht Abdool Karim die Welt nach dem angekündigten Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlechter aufgestellt. »Im Moment geht eine der größten Bedrohungen für die nächste Pandemie von den USA aus.« Dort hat sich ein unkontrollierter Ausbruch der Vogelgrippe bereits auf Kühe ausgebreitet und ebenfalls schon Menschen infiziert. Im Moment gebe es noch keine Infektionen von Mensch zu Mensch, aber das könne jederzeit passieren, sagt Abdool Karim. Die Tatsache, dass die Trump-Regierung das Centre for Disease Control (CDC) angewiesen habe, nicht mit der WHO zu kommunizieren, sei eine wirklich schlechte Nachricht. »Denn sie bedeutet, dass wir alle die aktuelle Lage nicht kennen. Wir wissen nicht, wie sich das Virus entwickelt, wie viele Fälle es gibt, ob Menschen sterben.« Diese Informationen seien für die WHO sehr wichtig, als Teil ihrer Planung für den Pandemiefall.

Afrikas Gesundheitsbudgets müssen unabhängiger werden

Die Führungsrolle in der WHO, die Finanzierung erprobter HIV-Programme müssten nun andere Länder und Institutionen wie der Global Fund übernehmen, sagt Abdool Karim. Er ist dabei nicht ohne Zuersicht. Die WHO werde nicht »einfach nur dasitzen und Trübsal blasen«. Sie habe eine Aufgabe zu erfüllen. »Das ist zwar nicht einfach, wenn erhebliche Mittel gestrichen werden, aber die WHO ist eine widerstandsfähige Organisation.«

»Die WHO ist eine widerstandsfähige Organisation«Salim Abdool Karim, CAPRISA

Mittelfristig, da sind sich Wissenschaftler und Aktivisten einig, muss die Gesundheitsversorgung in afrikanischen Ländern unabhängig von externer Hilfe werden. Die Länder des Kontinents müssten enger zusammenarbeiten, fordert TAC-Vorsitzende Sibongile Tshabalala-Madlala. Gesundheit habe höchste Priorität »und so sollte sie auch behandelt werden«. Afrikanische Regierungen müssten nicht nur über Gleichheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sprechen, sondern auch entsprechend entscheiden und handeln.

Das Ende der US-Hilfen an sich kommt nicht überraschend, es hatte sich schon abgezeichnet. Etwa als der US-Kongress die PEPFAR-Förderung 2024 erstmals nur um ein Jahr verlängerte statt um fünf. Auch Trumps Weltbild und dessen Einfluss auf seine Politik waren bekannt. Aber mit einer derart brutalen Zerstörungswut, mit einem solch abrupten Stopp hatte niemand gerechnet. Über eine unabhängigere Finanzierung des afrikaweiten Gesundheitssektors werde schon lange gesprochen, erste Veränderungen seien schon geschehen, sagt die Menschenrechtsanwältin Sasha Stevenson. Sie ist Mitglied einer panafrikanischen Arbeitsgruppe zur HIV-Kontrolle. Eine nachhaltige Struktur und Finanzierung bauten sich jedoch nicht über Nacht auf. »Es ist falsch, zu versuchen, das System mit einem Schock dahin zu zwingen. Hier sind Menschenleben in Gefahr.«

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